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Italien
Seehilfe für Flüchtlinge vor dem Aus

Die Operation Mare Nostrum rettet Flüchtlinge in Seenot vor den Küsten Italiens und verhindert damit menschliche Tragödien. Doch Italien möchte den Einsatz der Kriegsmarine nun beenden - und sieht Europa in der Verantwortung.

Von Jan-Christoph Kitzler | 19.08.2014
    Schlauchboot treibt mit Flüchtlingen aus Afrika auf dem Mittelmeer.
    Die italienische Marine rettet bisher Flüchtlinge im Mittelmeer. (dpa / Italian Navy Press Office )
    Dass die Operation Mare Nostrum funktioniert, kann man fast täglich den Meldungen entnehmen: Allein am vergangenen Wochenende retteten Schiffe der italienischen Kriegsmarine rund 1900 Migranten auf dem Mittelmeer. Die Operation war im vergangenen Oktober gestartet worden, nachdem vor Lampedusa mehr als 360 Migranten ertrunken waren, als ihr völlig überfülltes Schiff kenterte.
    Solche Unglücke sollte es nicht mehr geben. Seitdem werden die Migranten schon auf hoher See aufgenommen - mehr als 100.000 Menschen haben allein in diesem Jahr Italien erreicht.
    Doch die Regierung in Rom will den Einsatz beenden - nicht nur, weil er fast zehn Millionen Euro im Monat kostet, sondern auch, weil man die Rettung der Migranten für eine europäische Aufgabe hält, sagt Innenminister Angelino Alfano:
    "Das Meer gehört uns allen, und das geht immer weiter. Unser Ziel, mein Ziel ist es, dass Mare Nostrum, was von Anfang an für eine Übergangszeit eingerichtet wurde, in Frontex aufgeht."
    Mare Nostrum würde beendet, und Europa übernähme im Mittelmeer seine Verantwortung, mit den Schiffen von Frontex, die den Platz der italienischen Schiffe einnähmen.
    Im Oktober soll Hilfe beendet werden
    Im Oktober soll es soweit sein. Doch bei den Hilfsorganisationen in Italien sorgen diese Pläne für Alarmstimmung. Denn wenn Europa nichts tut und Italien Mare Nostrum beendet, wird die Zahl der Toten auf dem Mittelmeer wieder steigen. Italien wird mit dem Flüchtlingsproblem allein gelassen, darin ist man sich mit der Regierung einig.
    Dass Europa bis Oktober bei der Rettungsmission einspringt, mag auch Monsignore Giancarlo Perego, der Direktor der Organisation Migrantes nicht glauben:
    "Wir hoffen, dass der Hilferuf nach Frontex nach einem Jahr Mare Nostrum nicht bedeutet, dass wir wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren."Europa müsse für diesen humanitären Korridor Verantwortung übernehmen.
    Denn auch trotz Mare Nostrum und obwohl die italienischen Schiffe bis weit vor die Küste Libyens fahren, gab es in diesem Jahr schon Hunderte Tote. Und den Vorwurf, der in Italien von rechtspopulistischen Politikern immer wieder vorgebracht wird, Mare Nostrum locke die Migranten erst nach Europa, weil die Reise dadurch scheinbar ungefährlicher werde, halten die meisten Hilfsorganisationen für zynisch angesichts der vielen Toten und angesichts der sich ausweitenden Krisen zum Beispiel in Syrien und im Irak.
    Europa müsse aktiv werden, meint auch Flavio di Giacomo, Sprecher der Internationalen Organisation für Migration, kurz IOM, in Italien. Zur Zeit seien an Mare Nostrum, das Tausende Leben gerettet habe, große Schiffe der Kriegsmarine beteiligt, auch in internationalen Gewässern. Sie seien angesichts eines humanitären Notstands aktiv, nämlich dass Menschen ihr Leben riskierten und im Mittelmeer sterben - auch in internationalen Gewässern.
    Italien fordert neue Wege in der Flüchtlingspolitik
    "Und das geht nicht nur Italien an, sondern ganz Europa, denn das Mittelmeer ist ein europäisches Meer, und das betrifft alle", meint er.
    Italiens Innenminister Alfano geht noch einen Schritt weiter: Europa sollte nicht nur die Aufgaben von Mare Nostrum übernehmen, sondern gleich neue Wege in der Flüchtlingspolitik suchen:
    "Europa soll nach Afrika gehen und dort in den Herkunfts- und Transitländern ein System organisieren, damit die Migranten gar nicht erst losfahren. Und wer ein Recht auf die Anerkennung als Flüchtling hat, sollte schon dort genau identifiziert werden."
    Bis das soweit ist, wird aber wohl noch viel Zeit vergehen. Italiens Regierung hatte sich zwar vorgenommen, das Thema Flucht und Migration nach Europa zum Schwerpunkt der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft zu machen. Bisher hat das aber keine Ergebnisse gebracht - und Europa ist, so scheint es, vor allem mit sich selbst beschäftigt.