Freitag, 19. April 2024

Archiv

Italien
Venetiens Sehnsucht nach mehr Autonomie

Viele Venetier wünschen sich schon lange mehr Autonomie vom Zentralstaat Italien. Ende Oktober wird die Bevölkerung in einem Referendum darüber abstimmen. Doch bei vielen besteht auch die Sorge vor einem Konflikt wie in Spanien.

Von Kirsten Hausen | 04.10.2017
    Aussichtsfernrohr auf dem Campanile ermöglicht den Blick über die Altstadt von Venedig
    Auch in Venedig brodelt es im Vorfeld des geplanten Referendums am 22. Oktober 2017 (imago stock&people)
    "Es ist nur gerecht, dass jede Region ihre Autonomie hat", sagt dieser Mann von Mitte 50, der in einer Bankfiliale im historischen Zentrum von Vicenza arbeitet. Die Kleinstadt zwischen Verona und Venedig ist in herbstlichen Nebel gehüllt und strahlt den Charme der Provinz aus, in der nicht viel passiert. Doch hinter den Kulissen brodelt es: in Vicenza, in Padua, in den hügeligen Weinanbaugebieten rund um Verona und Treviso, in den Dörfern der Po-Ebene im Süden. Die ganze Region Venetien brodelt vor Erregung. Am 22. Oktober wird die Bevölkerung darüber abstimmen, ob Venetien mehr Autonomie vom Zentralstaat erhalten soll oder nicht. Für viele Bürgerinnen und Bürger in Venetien ist das gar keine Frage.
    "Natürlich bin ich dafür. Venetien erwirtschaftet viel mehr Geld als Süditalien. Unsere Industrien und Unternehmen, die besser arbeiten als die im Süden, sind hoch besteuert, um die mitzufinanzieren, die gar nicht oder zu wenig arbeiten. Wenn wir mehr Autonomie haben, haben wir mehr Ressourcen für uns hier."
    "Unabhängigkeit ist ein schönes Projekt"
    Das Referendum am 22. Oktober wird von der Regionalregierung organisiert und ist verfassungskonform. Die erste Version, in der es um die staatliche Unabhängigkeit Venetiens ging, wurde vom italienischen Verfassungsgericht abgelehnt. Luca Zaia, Präsident der Region Venetien und Lega-Nord-Politiker, hält die abgeschwächte Variante für einen guten Kompromiss mit Rom.
    "Ich bin nicht der Ideologe des Unabhängigkeitsgedankens, und ich bin auch nicht der treibende Motor dieser Entwicklung. Ich bin Gouverneur der Region und ich setze Forderungen des Volkes um. Die Unabhängigkeit ist ein schönes Projekt, das vorangetrieben werden muss, aber so, dass es einer rechtlichen Auseinandersetzung standhält - demokratisch und friedlich."
    Ungewöhnlich leise Töne für einen Lega-Nord-Politiker. Die Partei hatte sich 1991 gegründet, um Norditalien vom Rest Italiens abzuspalten und einen eigenen Staat, das fiktive "Padanien", zu errichten. Inzwischen sind die radikal separatistischen Forderungen einem Föderalismusgedankens gewichen, der vor allem nach fiskalischer Autonomie strebt. 20 Milliarden Steuereinnahmen aus Venetien fließen pro Jahr an den Zentralstaat und zurück kommt deutlich weniger. Das wollen die Lega-Nord-regierten Regionen Venetien und Lombardei ändern. Auch in der Lombardei wird am 22. Oktober über mehr Autonomie abgestimmt.
    Kein Vergleich mit Katalonien ?
    Nach den Ereignissen in Katalonien wird von den Organisatoren befürchtet, dass weniger Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben - aus Angst vor einem Konflikt wie in Spanien. Deshalb betont Lega Parteiführer Matteo Salvini die Unterschiede zwischen dem Vorgehen der Katalanen und dem seiner Partei.
    "Wir haben völlig verschiedene Ansätze gewählt. Wir haben den friedlichen Weg eingeschlagen und respektieren die Regeln. Wir wollen mehr Autonomie und mehr Kompetenzen. Am 22. Oktober wird es keine Polizeieinsätze geben, keine Gewalt, sondern ein reguläres Referendum mit Wahllokalen, die von 7 bis 23 Uhr geöffnet haben. Das ist eine ganz andere Sache."
    Die Parteibasis versteht die konzilianten Töne als taktisches Manöver. Viele Lega Nord Sympathisanten hoffen, die Abstimmung sei nur ein erster Schritt hin zu weiterreichenden Forderungen. Die Separatistenbewegung "Indipendenza Veneta" mit Alessio Morosin an der Spitze empört sich dagegen über das Nachgeben der Regionalregierung vor dem Verfassungsgericht.
    "Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein Naturrecht."
    Die radikalen Separatisten sind in Venetien eine politische Minderheit, die Lega Nord ist dagegen eine führende Partei. Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, ist die Devise der meisten Menschen in Venetien, wenn es um Fragen von Autonomie und Unabhängigkeit geht.