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"Italien wäre sehr schnell in akuter Not"

Weder der Komiker Beppe Grillo noch der Ex-Premier Silvio Berlusconi seien Europa zu wünschen, sagt der EU-Abgeordnete Wolf Klinz (FDP). Die Märkte würden Italien nicht mehr vertrauen, das Land müsste von anderen Eurozonen-Mitgliedern unterstützt werden und damit sei "die Feuerkraft der EU am Ende".

Das Gespräch führte Mario Dobovisek | 25.02.2013
    Mario Dobovisek: Während wir also auf die Ergebnisse aus Italien noch warten müssen, liegen jene aus Zypern bereits vor. Der Konservative Nikos Anastasiades gewinnt die Stichwahl um das Präsidentenamt und setzt sich damit gegen seinen kommunistischen Konkurrenten durch. Jetzt brauche er die Hilfe Europas, sagte er gleich noch am Abend. Gemeinsam mit seinen europäischen Partnern wolle er schnellstmögliche Hilfspakete für das angeschlagene Zypern schnüren.

    In Italien treten an Professore Monti, der Cavaliere Berlusconi, der Komiko Grillo und la pecora rossa, das rote Schaf Bersani – zwei Populisten und, sagen wir, zwei meist an der Sache orientierte Politiker, deren Abschneiden entscheiden wird, wie es mit Italien, ja wie es mit dem Euro insgesamt weitergehen wird, denn trotz seines Schuldenberges gehört Italien nach wie vor zu den Geberländern der Europäischen Union, unterstützt also gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und den anderen die angeschlagenen Krisenstaaten. Das könnte sich ändern, sollte Silvio Berlusconi etwa zurückkehren, oder der Berufskomiker Beppe Grillo mit seiner Protestbewegung Cinque Stelle überraschend gut abschneiden. Alles Unwägbarkeiten, über die wir am Abend erst Genaueres wissen werden.
    Am Telefon begrüße ich nun den Europaabgeordneten Wolf Klinz, für die FDP leitete er den einstigen Sonderausschuss des Europäischen Parlaments zur Euro-Krise. Guten Tag, Herr Klinz!

    Wolf Klinz: Schönen guten Tag.

    Dobovisek: Welche Regierung hat denn Italien aus Ihrer Sicht verdient?

    Klinz: Mit Sicherheit nicht Grillo oder Berlusconi. Ich glaube, beide führen einen Wahlkampf, der nur so strotzt von populistischen Aussagen, die völlig unrealistische Forderungen stellen. Wenn Grillo sagt, er will eine 20-Stunden-Woche einführen, er will die zwei Billionen Schulden überhaupt nicht bedienen, er will möglicherweise aus dem Euro austreten, und wenn Berlusconi seinen ganzen Wahlkampf sehr stark zumindest aufbaut auf antideutschen Ressentiments, das ist nicht die Führung, die ein großes Land wie Italien verdient und braucht, und Italien ist nach wie vor eine sehr große Wirtschaftsnation in der Eurozone, die drittgrößte, und wir als Deutsche haben alles Interesse, dass Italien wirklich stabil und solide regiert wird. Berlusconi verkörpert im Prinzip aufgrund seiner Lebensführung, sowohl beruflich wie auch privat, all das, was wir nicht wünschen in Europa. Er ist genau das Gegenteil der Werte, die wir für richtig halten und die einzuführen und durchzusetzen wir uns bemühen. Es wäre ein herber Rückschlag, wenn Berlusconi tatsächlich wieder im Fahrerhäuschen säße.

    Dobovisek: Was würde denn dieser herbe Rückschlag, wie Sie sagen, für Europa, für den Euro bedeuten, wenn tatsächlich heute Abend oder spätestens morgen früh die Populisten als Sieger dastehen?

    Klinz: Ja, ich glaube, das ist relativ schnell gesagt. Die Spreads, also die Zinsabstände der italienischen Staatsschulden zum deutschen Bund, also zu den deutschen Staatsanleihen, würden sprunghaft nach oben gehen, weil die Märkte Italien nicht mehr vertrauen. Italien wäre sehr schnell in akuter Not, Finanznot, und müsste von den anderen Eurozonen-Mitgliedern unterstützt werden. Und wenn wir dann ein Land wie Italien mithilfe der bestehenden Stabilitäts- und Sicherungsmechanismen, Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM sei nur als Beispiel genannt, herauspauken müssten, um es einmal salopp zu formulieren, dann wäre unser Feuer, unsere Feuerkraft am Ende.

    Dobovisek: Wäre das das Ende des Euros?

    Klinz: Ob es das Ende des Euros wäre, das weiß ich nicht. Ich würde vermuten, man würde sich dann, um den Euro zu erhalten, zu weiteren Stützungsmaßnahmen bereit erklären. Aber es wäre eine enorme Anspannung und es wäre mit Sicherheit ein Rückschritt und wir wären zurückgeworfen auf eine Situation, wie wir sie vor einem Jahr oder sogar vor eineinhalb Jahren hatten.

    Dobovisek: Bewegen wir gemeinsam unseren Blick ins östliche Mittelmeer, und zwar nach Zypern. Dort haben wir ja ein konkretes Wahlergebnis bereits. Der neue Regierungschef, der neue Präsident dort wird heißen Nikos Anastasiades und ist ein Konservativer. Ein Regierungswechsel, ein Machtwechsel steht dort an. Was bedeutet das aus Sicht der Euro-Retter?

    Klinz: Na ja, es bedeutet zumindest, dass wir es als Euro-Gruppe mit einem Verhandlungsführer zu tun haben, der schon im Wahlkampf klargestellt hat, dass sein Land nicht so weitermachen kann wie bisher, dass es wirklich nötig ist, den Gürtel enger zu ziehen, dass es nötig ist, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, und dass es auch die eine oder andere Maßnahme erfordern wird, die Einschnitte für den Bürger bedeuten. Also er hat insofern einen Wahlkampf geführt, der nicht versucht hat, die Bürger zu täuschen. Das ist positiv, weil er muss jetzt nicht eine Politik verfolgen und auch in den Verhandlungen etwas akzeptieren, was im Gegensatz zu dem steht, was er seinen Bürgern versprochen hat. Leicht wird es nicht, das Land ist natürlich in einer auch sehr kritischen Situation. Es ist natürlich gar nicht vergleichbar mit einem Land wie Italien oder so, aber 17 Milliarden – und um den Betrag geht es – sind kein Pappenstiel. Dazu kommt, dass das Land natürlich inhärente Schwächen hat, die mit der Überweisung von 17 Milliarden ja nicht behoben sind. Das Land hat einen weit aufgeblasenen oder überdimensionierten Bankensektor, sechs bis siebenmal so groß wie die Wirtschaft, wie das Bruttosozialprodukt. Das heißt, dieser Bankensektor muss reduziert werden, und das muss in einer Art und Weise passieren, dass es nicht wiederum Schockwellen in den Finanzbereich hinaussendet. Das Land hat immer noch nicht den Nachweis erbracht, dass es tatsächlich die Gesetze zur Verhinderung von Geldwäsche nicht nur erlassen hat, sondern auch strikt und ohne jede Konzession umsetzt.

    Dobovisek: Industrie, Herr Klinz, gibt es auf Zypern kaum. Die Insel lebt im wesentlichen vom Tourismus und eben auch von der Finanzwirtschaft. Deshalb auch, wie Sie sagen, der aufgeblähte Bankensektor. Zypern lockt Investoren mit niedrigen Steuern, Stichwort russisches Schwarzgeld.

    Klinz: So ist es.

    Dobovisek: Kann der neue Präsident darauf überhaupt verzichten?

    Klinz: Na ja, sicherlich nicht von heute auf morgen. Es wird darauf ankommen, dass die Troika, also wiederum die Vertretung von der Europäischen Union, in Form der Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, dass diese Troika ein Programm erarbeitet, was zumindest ein realistisches Ziel formuliert, wie über einen Zeitraum von, sagen wir mal, drei bis fünf Jahren dieser Restrukturierungsprozess vonstatten gehen kann. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es muss angepackt werden. Wir können so nicht ...

    Dobovisek: Aber wo liegt für Sie denn die Grenze zwischen durchaus legalen, niedrig angesetzten Steuersätzen und der Förderung von Geldwäsche?

    Klinz: Die Förderung von Geldwäsche ist völlig inakzeptabel. Wenn der Beweis nicht erbracht wird, dass wirklich zumindest von jetzt an systematisch und ohne jegliche Ausnahme gegen Geldwäsche vorgegangen wird, dann hat dieses Land den Kredit verspielt und dann können wir anderen auch unmöglich diesem Land weiter Kredit geben. Was die Steuersätze betrifft, so haben wir ja nicht nur Zypern, wir haben auch andere Länder – denken Sie an Irland. Da bin ich persönlich der Meinung, wir sollten zwar den Mitgliedsstaaten ihre Souveränität bei der Festsetzung von Steuersätzen belassen, aber gleichzeitig sicherstellen, dass die sich innerhalb eines gewissen Korridors bewegen, so wie wir es bei der Mehrwertsteuer machen. Bei der Mehrwertsteuer liegen wir zwischen 15 und 25 Prozent und bei der Körperschaftssteuer oder Einkommenssteuer könnte man sich andere Sätze vorstellen, aber sicherlich nicht so einen niedrigen Satz wie zehn Prozent, wie er im Moment in Zypern herrscht. Das ist natürlich ein ...

    Dobovisek: ... , sagt der liberale Europaabgeordnete Wolf Klinz - wir müssen zum Ende kommen, Herr Klinz -, über die Bedeutung der Wahlen in Italien und Zypern. Ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Einschätzungen.

    Klinz: Danke Ihnen – schönen Tag. Tschüß!

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