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Italienische Abgeordnete gelten als Spitzenverdiener

Der italienische Journalist Gian Antonio Stella hat mit einem Buch vor sechs Jahren den Begriff "La Casta" für die herrschende Klasse Italiens geprägt. Er prangerte die Privilegien und die Selbstbedienungsmentalität der italienischen Politiker an. Doch bis heute fehle vielen Abgeordneten immer noch das Bewusstsein, im Dienste des Landes zu arbeiten.

Von Stefan Troendle | 19.02.2013
    Es war ein Buch, das einen Skandal auslöste: In "La Casta" – die Kaste beschrieb Gian Antonio Stella, Journalist bei der Tageszeitung "Corriere della Sera", vor sechs Jahren die Privilegien und die Selbstbedienungsmentalität der italienischen Politiker. Vom Unterhalt des Präsidentenpalastes auf dem Quirinal in Rom, der etwa vier Mal so hohe Kosten verursacht wie Buckingham Palace, bis hin zu teuren Dienstreisen oder den verhassten Auto Blu, den Dienstwagen mit Fahrern, von denen allein der Behörde des Ministerpräsidenten 115 zur Verfügung stehen. Die Kaste ist seitdem ein Negativ-Begriff – er steht für Verschwendung, Bereicherung und Abschottung der herrschenden Klasse vor der sozialen Realität. Inzwischen beschreibt Gian Antonio Stella die Lage wie folgt:

    "Seit 2007, als wir 'La Casta' geschrieben haben, bis zum letzten Jahr sind die Ausgaben des Regionalparlaments im Latium beispielsweise um 36 Prozent gestiegen: Wenn wir das also daran messen, hat nicht nichts geändert oder nur sehr wenig."

    Zahlreiche Skandale gab es erst im letzten Jahr - unter anderem wurden Parteigelder zweckentfremdet. Was vielen Abgeordneten immer noch fehlt, ist das Bewusstsein, im Dienste des Landes zu arbeiten, sagt Stella, oft haben die sogar mehrere Jobs gleichzeitig.

    "Mich hat zum Beispiel der Anwalt Ghedini angerufen – der Anwalt von Berlusconi. Und der hat mich gebeten, ihm zu helfen, weil er kein Geld mehr vom Parlament will. Er wolle auf seine Abgeordnetendiät verzichten und er sei auch dafür, dass eine Möglichkeit eingeführt wird, sein Abgeordnetengehalt nicht mehr zu beziehen. Ich habe ihm gesagt, dass ich damit nicht einverstanden bin. Ich habe gesagt: Ich will, dass du als Abgeordneter bezahlt wirst, aber dass du nicht auch noch als Anwalt arbeitest und dann als Parlamentarier Gesetze machst, die deinem Klienten nützen."

    Einen Effekt hatte sein Buch jedoch, sagt Gian Antonio Stella:

    "In der Wahrnehmung der Menschen hat sich viel geändert. Vorher wusste man gar nicht, dass wir da ein Problem haben. Jetzt ist das anders, aber die Früchte dieses Bewusstseins erntet jetzt vielleicht Beppe Grillo."

    Grillo ist ein ehemaliger Komiker, der in die Politik gegangen ist. Berühmt wurde er für seine Vaffa-Days, die Leck-mich-am-Arsch-Tage, mit denen er der etablierten Politik sozusagen den virtuellen Mittelfinger zeigte. Beppe Grillos Partei, wohl am ehesten zu vergleichen mit den Piraten in Deutschland, profitiert von der Politikverdrossenheit insbesondere junger Wähler sie könnte bei den kommenden Wahlen mit 15 bis 20 Prozent sogar drittstärkste Kraft werden. Auch wenn Grillo ein Populist und Demagoge ohne vernünftiges Programm ist: Einen Vorteil hat er jedenfalls, sagt Gian Antonio Stella: Wer ihn wählt, wählt keine rechtsextremen Parteien. Und seine ständigen Proteste haben auch dazu geführt, dass Politiker inzwischen über die Kosten der Politik sprechen – selbst Silvio Berlusconi, unter dessen Regierung diese Kosten gewaltig in die Höhe gegangen sind. Zudem haben die etablierten Parteien bestimmte Personen nach lauter Kritik nicht mehr aufgestellt – Abgeordnete, die rechtskräftig verurteilt sind oder gegen die ein Verfahren läuft. Und Mario Monti? Der scheidende, technische Regierungschef, der es auf einmal vorzog mit einer eigenen Liste gegen diejenigen zu kandidieren, die ihn ein Jahr lang unterstützt haben, hat zwar das Image Italiens im Ausland gerettet, sagt Buchautor Stella, aber:

    "Ich glaube, dass die Macht jemand zu Kopfe steigen kann. Ich glaube, dass Monti sehr viele enttäuscht hat und wenn die Umfragen stimmen, sind seine Popularitätswerte stark eingebrochen."

    Stella glaubt übrigens nicht an stabile Verhältnisse nach der Wahl. Und je nachdem, wer gewinnt, könnte der Effekt der einjährigen Arbeit von Mario Monti recht schnell verfliegen, vor allem, wenn La Casta - die Kaste – nur an sich selbst und nicht an die Bürger denkt.

    "Wir haben international leider ein sehr beschädigtes Ansehen. Dem Index von Transparency International zufolge stand Italien auf dem 33. Platz unter den am wenigsten bestechlichen Ländern. Das war 1995 zu den Zeiten der Tangentopoli-Prozesse. Inzwischen befindet sich Italien auf Platz 72."