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Italienische Fünf-Sterne-Bewegung
Aus Protest wird Partei

Rom und Turin - erstmals wird die Fünf-Sterne-Bewegung zwei Großstädte regieren. Mit dem überraschenden, aber klaren Erfolg bei den Bürgermeister-Stichwahlen ist die eurokritische Bewegung angekommen im politischen System Italiens. Wofür die Partei steht, ist aber nicht immer leicht zu sagen.

Von Jan-Christoph Kitzler | 20.06.2016
    Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung feierten spontan eine Wahlparty in den Straßen von Rom
    Ausgelassen feierten die Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung die neue Bürgermeisterin von Rom. (picture-alliance/ dpa /Alessandra Di Meo)
    Auch wenn die Fünf Sterne nur in 250 Kommunen des Landes angetreten sind. Vor allem nach der Kommunalwahl in Rom sagen viele, dass sie ganz angekommen sind im politisches System Italiens.
    An Virginia Raggi, der 37-jährigen künftigen Bürgermeisterin der italienischen Hauptstadt liegt das kaum. Politische Erfahrungen hat sie keine, und wenn konkrete Aussagen gefragt waren, blieb sie oft wolkig. Ihr Wahlkampf war ein Kampf der Gefühle. Sie hat die erreicht, die unter dieser Stadt leiden, am "degrado", dem Verfall, an der Egal-Haltung vieler Politiker und vieler Bürger, an Korruption und Inkompetenz:
    "Wir arbeiten, um die Richtung zu ändern in dieser Stadt, dieser Gesellschaft, die für zu viele Jahre vollständig vergessen wurde. Wir müssen das Thema Verschwendung und Privilegien angehen. Rom muss wieder starten, es geht um einen nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr, um eine Stadt, in der es schön ist zu leben, nicht nur einfach. Es geht um einen Neuanfang im Bereich Kultur – das werden wir tun."
    Zum ersten Mal werden die Fünf Sterne eine Großstadt regieren und mit Turin gleich noch eine zweite. Und für Beppe Grillo, den Übervater der Bewegung, die keine Partei sein will, ist das ein Weckruf:
    "Jetzt nehmen wir uns das Land. Wir sind bereit. Seit 2009 gibt es die Bewegung, wir kämpfen gegen Parteien, die 50 Jahre auf dem Buckel haben, 50 Jahre der verborgenen Macht in allen Bereichen des Landes. Und es sind kompetente Leute aufgetaucht, die sich vorher nie in den Machtzentren gezeigt haben, die keine geheimen Absprachen treffen. Die einfach nur die Sprecher der Bürger da draußen sind."
    Anti-Europa-Haltung und einer harten Hand in der Migrationspolitik
    Wofür die Partei steht, ist nicht immer leicht zu sagen: eher linke Positionen, wie das bedingungslose Grundeinkommen und der Einsatz für die Energiewende vermischen sich mit einer Anti-Europa-Haltung und einer harten Hand in der Migrationspolitik.
    Die Partei organisiert sich über Online-Abstimmungen. Parteidisziplin wollen die Fünf Sterne mit der Brechstange durchsetzen. Gewählte Vertreter, die sich nicht an Parteibeschlüsse halten, werden ausgeschlossen und müssen hohe Strafen zahlen. 37 Parlamentsabgeordnete sind bisher schon von der Fahne gegangen.
    Beppe Grillo, Gründer der "Fünf-Sterne-Bewegung", spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung. Im Hintergrund das Logo seiner Partei.
    Beppe Grillo, hier bei einer Wahlveranstaltung im Mai 2013, kann Erfolge für seine "Fünf-Sterne-Bewegung verbuchen. (dpa / picture alliance / Donatella Giagnori / Eidon)
    Auch deshalb wirkt Beppe Grillo, der selbst kein Mandat hat, als "Garante", als der Hüter der Regeln. Fragt man ihn, ob das eine wirklich demokratische Rolle ist, sieht der gelernte Komiker kein Problem:
    "Wir haben ein System, das kollabiert und es gibt keinen Notfallplan. Vielleicht ist das die Fünf-Sterne-Bewegung. Ich bin da als Garantie für die Regeln. Wenn Du Fußball spieltst, kannst Du nicht jedes Mal neue machen, es gibt Regeln. Es gibt einen Schiedsrichter der entscheidet: Wenn Du den Ball mit der Hand berührst, gehst Du raus, oder etwas anderes. Das ist das Gleiche."
    Bürger sollen wieder zu Akteuren werden
    Beppe Grillo selbst spricht von der Partei eher als einer Bürgerbewegung. In Zeiten von undurchsichtiger Politik und Frust bei den Wählern sollen die Fünf Sterne die Stimme derer sein, die den Bürger wieder zum Akteur machen wollen. Und das möglichst nur für kurze Zeit:
    "Ich hoffe, dass es die Fünf Sterne Bewegung in zehn Jahren nicht mehr gibt und dass die Bürger endlich die Institutionen in Besitz genommen haben. Dann hat die Fünf Sterne Bewegung keinen Sinn mehr. Dann ist das Ende erreicht. Unser Ende ist das Aussterben der 5 Sterne."
    In Rom übernimmt die Partei nun erst einmal das Ruder. Das könnte auch eine Falle sein. An Italiens Hauptstadt, die als schwer regierbar gilt, haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen. Auch deshalb vielleicht hat sich Matteo Renzi aus dem Wahlkampf herausgehalten. Denn das Scheitern der Fünf Sterne könnte ihm am Ende nutzen, sagt auch Beppe Grillo:
    "Sie wetten darauf, uns hier ein Jahr regieren zu lassen, und dann kommt der Haushalt fürs nächste Jahr. Und wenn wir den nicht durchbringen, gibt es Neuwahlen. Und wenn das in dieser Stadt passiert, ist die Fünf-Sterne-Bewegung am Ende."
    Für Renzi wird das Regieren nicht einfacher
    Danach sieht es zur Zeit noch nicht aus, im Gegenteil: Die Fünf Sterne haben sich in Italiens Parteienlandschaft festgesetzt und sind als dritter Block zwischen den Mitte-links- und Mitte-rechts-Lagern etabliert.
    Für Matteo Renzi wird das Regieren nicht gerade einfacher – das wird er schon beim großen Referendum über die Verfassungsreform im Herbst erfahren. Die Fünf Sterne machen dagegen massiv mobil.