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Italienische Küche
Nonnenbrüstchen und Heiligenphallus

Italien ist ein katholisch geprägtes Land. Das gilt auch für die italienische Küche. Hunderte Rezepte gibt es, die an Heiligenfiguren erinnern. Eine Journalistin und eine Historikerin haben die Geschichten und Rezepte jetzt in einem Buch zusammengefasst. In Italien sind die "Heiligen Zubereitungen" bereits ein Bestseller.

Von Thomas Migge | 29.05.2017
    Italienisches Gebäck, von oben fotografiert
    Italienisches Gebäck (imago stock&people)
    "Die Zutaten sind: 600 Gramm Mehl, 120 Gramm Schweineschmalz, zwei Tütchen Vanillepulver, 500 Gramm Puderzucker, 80 Gramm normaler Zucker, Schokoladensplitter, kandierte Früchte, Orangen beispielsweise, 500 Gramm Schafsfrischkäse, kandierte Kirschen, zwei Esslöffel Zitronensaft, vier Eier."
    Die Zubereitung dauert nicht länger als dreißig Minuten – wie in dieser Koch-Sendung des sizilianischen Lokalfernsehens erklärt wird.
    "Der Teig muss kräftig durchgeknetet werden, denn aus ihm machen wir ja einen leckeren und Lust weckenden Busen."
    Einen Busen? Was hat die Zubereitung einer weißen, halbrunden Süßspeise mit einer kandierten Kirsche als Krönung obenauf mit einer weiblichen Brust zu tun? Viel, wenn man aus Sizilien stammt, oder auch aus Kalabrien und Apulien.
    Vor allem Süßspeisen
    Aber vor allem auf Italiens größter Insel kennt jeder die "Minne di Sant'Agata", zu Deutsch: die Brüste der Heiligen Agatha. Sie lebte der Legende nach im dritten nachchristlichen Jahrhundert im sizilianischen Catania. Während ihres Martyriums sollen ihr die beiden Brüste abgeschnitten worden sein. Sant'Agata mit einem Tablett in der Hand, auf dem ihre abgeschnittenen Brüste liegen, das ist ein bekanntes Sujet in der Barockmalerei. Und nicht nur das:
    "Die ‚Minne di Sant'Agata' sind eine der berühmtesten italienischen Süßspeisen. In Erinnerung an das Martyrium der Heiligen Agatha isst man im wahrsten Sinne des Wortes ihre Brüste."
    Erzählt die Gastrojournalistin Lydia Capasso. Sie und die Historikerin Giovanna Esposito spürten der gastronomischen Geschichte der "Agathenbrüste" nach, die im Volksmund auch "Nonnenbrüstchen" genannt werden. Dabei entdeckten sie, dass es nirgendwo sonst in Europa so viele Speisen gibt, die mit den Heiligen der Katholischen Kirche in Zusammenhang gebracht werden. In ihrem jetzt erschienenen Buch mit dem Titel "Heilige Zubereitungen" stellen sie etwa 120 Rezepte vor, die sich auf Heilige beziehen. Es sind vor allem Süßspeisen. Lydia Capasso:
    "Die Rezepte sind der Ausgangspunkt von Geschichten, die zum Teil 2000 Jahre alt sind. Wenn Heilige sehr verehrt werden, wie etwa der Heilige Antonius von Padua oder die Heilige Agatha, dann gibt es besonders viele Rezepte."
    Üppige Speisen für den Eremiten
    Der Heilige Antonius, so fanden die Autorinnen des Buches heraus, steht vor allem für verführerische Gerichte. Kein anderer Heiliger steht Pate für so viele Rezepte, und zwar vor allem für üppige, kalorien- und fleischreiche Gerichte. Wie etwa die Pancotto di Sant'Antonio, eine dickflüssige Schweinefleischsuppe. Oder ein Risotto con la luganega, ein Reisgericht mit herzhaften Schweinewürsten. Und das, obwohl Antonius ein radikal bescheidener Eremit gewesen sein soll.
    Der Heilige Josef hingegen wird in ganz Italien mit den "frittelle" in Verbindung gebracht. Am 19. März, dem Gedenktag Josefs, isst man von Mailand bis Palermo frittierte Teigbällchen.
    Augen, Beine, Zehen
    Ein eigenes Kapitel haben die Autorinnen den Körperteilen von Heiligen gewidmet. Lydia Capasso:
    "Es handelt sich um Körperteile, die in den Heiligenlegenden bei den einzelnen Martyrien oder Wundern zur Sprache kommen: Brüste, Augen, Beine, Zehen etc. Die Formen dieser Körperteile werden als Speisen nachgebildet. Wie beispielsweise im Fall des Heiligen Blasius."
    Der Heilige Blasius, Bischof von Sebaste in der heutigen Türkei, starb wahrscheinlich im Jahr 316. Mit einer berühmten Wunderheilung soll er einen Erstickenden vor dem Tod gerettet haben: Der traditionelle Blasiussegen wird immer noch gegen Halskrankheiten genutzt. An diesen Segen und an Blasius erinnern die vielen "Ciambelle" in Italiens Konditoreien: ungemein schmackhafte süße und auch salzige Kringel.
    Ein Phallus für Frauen
    Der selig gesprochene Gonsalvo di Amarante, er lebte im 13. Jahrhundert in Portugal, war zwar kein Italiener, aber mit seiner Person wird eine so kuriose Speise in Verbindung gebracht, dass die Autorinnen auf diese Geschichte nicht verzichten wollten:
    "Die Bolos di Sao Goncalvo haben die unverkennbare Form eines Phallus. Das ist eine aus Teig hergestellte portugiesische Süßspeise. Und der Legende nach sollen Frauen sie essen, wenn sie auf der Suche nach einem Mann fürs Leben sind."