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Italienische Kulturhauptstadt
Palermos Packpapieravantgarde

Noch immer kämpft die sizilianische Metropole Palermo mit einem schlechten Ruf. Doch die italienische Kulturhauptstadt 2018 ist im Umbruch. Das zeigt auch ein kreatives Kunstprojekt, das sich den traditionellen Märkten der Stadt widmet.

Von Martin Becker | 21.02.2018
    Markt in Palermo auf Sizilien
    Mit Packpapier von den Märkten der Stadt schafft die "Edizioni Precarie" kleine Kunstwerke, die über das Leben in der sizilianischen Hafenstadt nachdenken lassen (dpa/ lnw/ dpa - Report/ Achim Scheidemann )
    Er ist chaotisch, er ist hektisch, er ist laut: der "Mercato Ballarò", einer der größten Märkte von Palermo. Und obwohl die Stadt gerade einen Umbruch erlebt und an Coolness gewinnt, ist die Zeit hier stehen geblieben. Die Gemüse- und Obsthändler sortieren ihre Waren. Immer wieder fegt der Wind vom Meer durch die schmalen Gänge.
    "Ich habe mich wirklich in die historischen Märkte verliebt, in den Lärm, in die Farben, in den Geruch, in die Energie, die man mit allen Sinnen fühlt."
    Die Künstlerin Carmela Dacchille ist aus freien Stücken nach Palermo gekommen. Obwohl die sizilianische Metropole nach wie vor mit ihrem angeschrammten Image kämpft: Mafia, wispert es immer noch aus den unrenovierten und heruntergekommenen Gemäuern der Altstadt. Und von denen gibt es so viele wie Vorurteile: Luftverschmutzung. Arbeitslosigkeit. Kriminalität. Und das soll wirklich schön sein?
    "Ich habe nach einem Ort mit besserem Wetter gesucht und bin vor acht Jahren nach Palermo gezogen. Das war tatsächlich das genaue Gegenteil zu meinem vorherigen Wohnort, nicht nur wegen des Wetters, sondern auch wegen dieser unglaublichen Energie. Es war interessanter, weil hier viele Dinge passieren."
    Die 36-jährige Carmela Dacchille hat in Rom Architektur studiert und lebte danach in Amsterdam, wo alles sortierter war als in Italien. Heute betreibt sie zusammen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern mitten im historischen Zentrum einen Werkstattladen: die "Edizioni Precarie".
    "Gentrifizierung könnte auch hier passieren"
    Gerade findet in dem kleinen Laden ein Grafikworkshop statt. In den Regalen daneben stapeln sich Papiere und Notizbücher, die sofort ins Auge fallen: Sie sind hergestellt aus Verpackungsmaterial. Das alltägliche Packpapier von Palermos Märkten bekommt in der "Edizioni Precarie" eine neue Bedeutung:
    "Wenn man von Papier spricht, denkt man nur an eine Sorte - auf den Märkten habe ich dann so viele verschiedene Arten von Packpapier entdeckt, und sie waren wunderschön. Weil ich auch die Märkte schön finde, wollte ich diese Geschichte erzählen."
    Jedes einzelne Notizbuch, mal mit dickem Papier vom Fleischer oder vom Obsthändler als Deckblatt, unternimmt einen Ausflug auf die Märkte der Stadt. Von der zarten Folie, mit der Pralinen und Süßigkeiten bedeckt werden, bis hin zur saugfesten Pappe, in der die Fische landen: Man blättert durch ein Archiv des Markthandels.
    Die "Edizioni Precarie" ist ein typisches Projekt für das neue Palermo: Aus einem an sich kleinen Kunstobjekt wie dem Notizbuch aus Packpapier wird ein Nachdenken über das Leben in der sizilianischen Hafenstadt. Seit einigen Jahren ist Palermo im Umbruch. Die häufiger werdenden Billigflugangebote sind ein untrügliches Zeichen für die schleichende Hipsterisierung. 2018 kommt auch noch die "Manifesta" nach Palermo. Und ob durch Kunstbiennalen oder Werkstattläden: Das Gespenst der Gentrifizierung geht bereits um. Andererseits ist das wahrscheinlich besser als eine gespenstisch leere Altstadt. Zur Not helfen ja auch noch die alten Klischees zur Abschreckung:
    "Gerade sind wir an einem Kipppunkt, denn die Gentrifizierung könnte auch hier passieren. Vielleicht ist es also besser, nicht so viel Werbung für Palermo zu machen: Palermo ist ein wirklich furchtbarer Ort!"