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Italiens Gefängnisse
Zu wenig Zellen, zu viele Häftlinge

Italiens Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt, zwei Mal schon ist das Land vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der Haftbedingungen verurteilt worden. Ein Gefängnisdirektor sieht die Grundrechte der Häftlinge gefährdet.

27.01.2014
    Ein Gefängnis in Italien
    Über 40 Prozent der Häftlinge in Italiens Gefängnissen warten auf ein definitives Urteil, die Untersuchungshaft ersetzt in vielen Fällen die eigentliche Strafe. (dpa / picture-alliance / Alessandro Di Meo)
    Regina Coeli ist das wohl berühmteste Gefängnis der italienischen Hauptstadt. Mitten in der Innenstadt gelegen mit langer Tradition. Jeder, der in Rom und Umgebung in Haft kommt, landet zuerst hier. Mauro Mariani, der Gefängnisdirektor, ist ein freundlicher Mann. Aber er hat die unangenehme Aufgabe, den Mangel zu verwalten und gleichzeitig den Überfluss. Das ist im Regina Coeli nicht anders als in den anderen rund 200 Gefängnissen Italiens. Einerseits musste sein Haus bei den letzten Sparrunden der Regierung heftig bluten, zum Beispiel beim Personal: von 620 Planstellen sind zur Zeit nur rund 490 besetzt. Gleichzeitig gibt es viel zu viele Gefangene. Eigentlich hat das alte Gebäude etwa 900 Plätze. Aber zur Zeit sitzen hier rund 1.000 Häftlinge - und das, während ein Viertel der Anlage zur Zeit nicht belegt wird. Wegen Renovierungsarbeiten.
    Gefängnisse sind heillos überfüllt
    Heillos überfüllt ist Regina Coeli - und das wirkt sich aus auf die MeItaliens Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt. nschen, die hier arbeiten und auf die Häftlinge, sagt der Gefängnisdirektor: "Das hat natürlich auch einen Einfluss auf die Bedingungen hier, die Zellen. Was früher eine Einzelzelle war, ist jetzt eine für drei. Wo zwei Häftlinge waren, werden es sechs. Es gibt da auch eine Vermischung, die einen optimalen, individuellen Umgang mit den Häftlingen nicht mehr gestattet." Regina Coeli ist typisch für viele Gefängnisse in Italien. Zwei Mal schon wurde das Land vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der Haftbedingungen verurteilt. Und für Mauro Mariani, den Gefängnisdirektor, heißt das ganz konkret: sein Haus hat Schwierigkeiten, den gesetzlichen Auftrag zu erfüllen: "Das Gefängnis wird zu einem Entzug im Entzug der Freiheit. Und das droht auszuarten in eine Verletzung der Grundrechte, die wir garantieren müssen. Unsere Verfassung unterscheidet zwei Grundbedingungen in der Haft: den Respekt der Menschenwürde und das Ziel den Häftling wieder zu resozialisieren. Und das wird mit der Überfüllung kompliziert."
    3.000 bis 4.000 Neuzugänge gibt es im Regina Coeli in Rom jedes Jahr. Viele werden bald in andere Häuser verlegt, um wenigsten etwas Platz zu machen, andere werden entlassen. Dass aber das mit der Resozialisierung oft nicht klappt, beobachtet auch die Organisation Antigone, die mit großem freiwilligen Aufwand die Haftbedingungen in italienischen Gefängnissen dokumentiert. Viele, die einmal im Gefängnis waren, kommen wieder, hat Alessio Scandura festgestellt: "Dass die Gefängnisse versagen, sieht man auch an den Rückfallquoten, die in Italien sehr hoch sind. Es gibt nur wenige Daten, aber man geht von 60, 70 Prozent der Personen aus, die entlassen werden und wieder im Gefängnis landen. Das Versagen ist so gesehen offensichtlich."
    Verfahren in Italiens Justiz dauern lange
    Und auch die lahme Justiz Italiens tut ihr Übriges: Prozesse dauern hier so lange wie nirgendwo sonst in Europa. Vier Jahre und neun Monate dauert im Schnitt ein Strafprozess - über 40 Prozent der Häftlinge in Italiens Gefängnissen warten auf ein definitives Urteil, die Untersuchungshaft ersetzt in vielen Fällen die eigentliche Strafe. Von einer Justizreform war schon viel die Rede, passiert ist bisher nur wenig. Aber weil die Zeit drängt, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien bis Mai Zeit gegeben hat, die Lage zu verbessern, hat Alessio Scandura von Antigone einen einfachen Vorschlag: "Wenn man die Grundrechte der Gefangenen ernst nimmt, dann gibt jetzt nur eine Lösung: eine Amnestie. Das ist ein quantitatives Problem. In Italien haben wir 15.000 bis 20.000 Häftlinge mehr als wir in den Gefängnissen Plätze haben. Und der einzige schnelle Weg, das Problem zu lösen ist eine Amnestie, bei der wir 20.000 Menschen freilassen."
    Das würde Gefängnissen wie Regina Coeli die dringend nötige Entlastung bringen. Aber wohl nicht für lange. Denn Justizministerin Annamaria Cancellieri hat gerade erste vor dem italienischen Parlament eine Bankrotterklärung der italienischen Justiz abgegeben und folgende Zahl veröffentlicht. Zur Zeit sind rund neun Millionen Prozesse an Italiens Gerichten anhängig, die auf ein Urteil warten. Neun Millionen, davon 3,5 Millionen Strafprozesse. Es kommt also vermutlich noch einiges zu auf Italiens Gefängnisse.