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Italiens populärster Kalender
Ratschläge vom vorausschauenden Mönch

Medienprodukte und auch Kalender ändern je nach Mode, Trends und Interessen ihr Aussehen und ihre Inhalte. Nicht so ein Kalender, den Kapuzinermönche im italienischen Umbrien herausgeben: Er wirkt extrem altmodisch - und ist ein Bestseller - jedes Jahr.

Von Thomas Migge | 29.12.2016
    "Für unsere Stadt ist das eine sehr große Gelegenheit auf uns aufmerksam zu machen. Wir haben jetzt hier in Gualdo Tadino eine begehbare Krippe, die die ganze Weihnachtszeit bis zum sechsten Januar geöffnet ist. Das ist eine ungewöhnliche Krippe - einmalig nicht nur in Italien, sondern weltweit."
    Massimiliano Presciutti hatte als Bürgermeister von Gualdo Tadino, einer Kleinstadt in Umbrien, Anfang Dezember das Vergnügen, eine Krippe in Form eines Mini-Dorfes zu eröffnen, untergebracht auf rund 300 Quadratmetern Fläche in der örtlichen Franziskuskirche. Die einzelnen Gebäude im Stil einer typisch umbrischen Ortschaft sind aus Pappe und Holz und können von Alt und Jung begangen werden. Da gibt es das Haus eines Tischlers, eines Bäckers, einen Priesters und es gibt einen Stall, in dem das Jesuskind zur Welt kommt.
    Sechs Millionen Mal verkauft
    Titelblatt des Kalenders "Frate Indovino" für das Jahr 2017, darauf zu sehen ist unter anderem ein Mönch mit Rauschebart
    Jedes Jahr wieder ein Bestseller: Der Kalender "Frate Indovino" (Deutschlandradio/ Thomas Migge)
    Die Idee zu der begehbaren Krippe in einer katholischen Kirche hatte Mauro Collarini. Er ist der eigentliche Star der Krippeneröffnung in Gualdo Tadino. Wegen seiner Präsenz sind Vertreter lokaler und nationaler Medien angereist, Funk und Fernsehen. Collarini ist nicht irgendwer. Der Kapuzinermönch ist Kurator des meistverkauften und populärsten Kalenders Italiens. Der Kalender trägt den Titel "Frate Indovino", zu Deutsch: der vorausschauende Klosterbruder - und geht jährlich mehr als sechs Millionen Mal über den Ladentisch. Mario Collarini:
    "Diese Rolle einzunehmen ist schon sehr anstrengend. Ich habe ziemlich viel Verantwortung, denn: 'Frate Indovino' kann sich nicht täuschen."
    Ratschläge - auch auf YouTube
    Bruder Collarini hat sein Büro im umbrischen Perugia. Hier hat der Verlag "Frate Indovino" seinen Sitz. Ein kleines Imperium, denn neben dem Kalender kümmern sich die Mitarbeiter des Kapuziners auch um eine Website und um kurze Filme für YouTube: Ratgeberfilme für alle Aspekte des Alltags.
    Im Zentrum der Arbeit des Verlages steht aber der Kalender. Kein anderer Kalender Italiens ist so gefragt. Ab Anfang Dezember wird er in Buchhandlungen aber vor allem an Zeitungskiosken verkauft. Für fünf Euro. Jedes Jahr hat der Kalender ein Thema. So prangt auf dem 29 Mal 46 Zentimeter großen Kalender für 2017 die Frage: "Altes Handwerk – wird es auch in Zukunft überleben?". Fester Bestandteil des Titelblatts ist die Zeichnung eines älteren Kapuzinermönchs mit Rauschebart, der den Betrachter anlächelt und an den Weihnachtsmann erinnert. Bruder Mario Collarini trägt nur einen Dreitagebart:
    "Mönche haben in früheren Jahrhunderten neben ihrer religiösen Arbeit immer auch Ratschläge gegeben: zu Gesundheitsfragen, zur Landwirtschaft, zu praktischen Fragen des Alltagslebens. Wir kennen den Begriff des 'Gartens des Suchenden': Neben dem klassischen Klostergarten gab es früher ein Extragrundstück zur landwirtschaftlichen Produktion. Dessen Erträge verteilten die Mönche an die Bevölkerung, dabei gaben sie immer wieder Ratschlägen für den Alltag."
    Tipps der Mönche treffen oft ins Schwarze
    Seit 1946 wird der Kalender herausgegeben. Immer unter dem gleichen Namen "Frate Indovino", und immer in Form eines Kalenders, der nicht nur die Heiligen des jeweiligen Tages und Uhrzeiten für Sonnenauf- und Untergang nennt, sondern eine Vielzahl praktischer Ratschläge gibt. Immer begleitet von sinnigen Kalendersprüchen. Mario Collarini:
    "Weil die ratgebenden Mönche oft mit ihren Tipps in Schwarze trafen, entstand die Bezeichnung 'Frate Indovino', der voraussehende Klosterbruder. Ein solcher Mönch genoss ein besonderes Ansehen."
    Stetige Weiterentwicklung
    Der erste Verfasser dieses Kalenders war der umbrische Kapuzinermönch Mario Budelli. Er entwarf das Modell eines Kalenders, den es so in Italien noch nicht gab. In den ersten Jahren richtete sich der Kalender vor allem an die in der Landwirtschaft arbeitende Bevölkerung – und enthielt viele Tipps zum richtigen Anbau von Obst und Gemüse, zu Mondzeiten etc. Mit der Zeit wurde der Kalender immer populärer auch in den Großstädten. Mario Budelli änderte daraufhin das Konzept und den Inhalt von "Frate Indovino". Heute wohnt etwa die Hälfte der Käufer des Kalenders auf dem Land und in kleinen Orten, die andere Hälfte in Metropolen wie Mailand und Rom. Mario Collarini:
    "Wir haben also neue Rubriken seit einigen Jahren. Mit Rezepten, mit psychologischen Ratschlägen, mit Tipps zur Kindererziehung und Ökologie und so weiter. Wir publizieren auch Bücher, das sind Ratgeber, und bieten eine Internetplattform."
    Der Kalender ist auch deshalb so beliebt, weil er informativen, kuriosen und auch witzigen Lesestoff für alle bietet. Rubriken wie "Das Buch der Sterne" mit astrologischen Interpretationen, "Wussten Sie's?", "Unglaublich, aber wahr", mit Anekdoten, Rezepten etc. kommen ungemein an.
    Auch als extravagante Küchendeko beliebt
    Obwohl sich das Kalenderkonzept in seiner Aufmachung als extrem hausbacken und anachronistisch präsentiert, mit Texten, die in keiner Weise auf aktuelle gesellschaftspolitische Aspekte eingehen, findet der "Frate Indovino" jedes Jahr mehr Käufer. Unter jungen Leuten ist er sogar "in": als extravagante Küchendeko. Auch Papst Franziskus soll einen "Frate Indovino"-Kalender in seiner Suite im Vatikanhotel "Domus Sanctae Marthae" an der Wand hängen haben. Das jedenfalls habe man ihm aus Rom zugeflüstert, verrät Kapuziner Mario Collarini augenzwinkernd.