Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ja oder Nein zum Brexit?
Der Tag der Entscheidung in Großbritannien

Es ist soweit: Mehr als 46 Millionen Britinnen und Briten sind heute dazu aufgerufen, über die Zukunft des Vereinigten Königreichs zu entscheiden. "In or out" - in der EU bleiben oder austreten? Trotz aller Umfragen bleibt es spannend. Auch der Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox könnte eine Rolle spielen.

Von Gerwald Herter | 23.06.2016
    "We love British" steht auf einem ausgedienten Karton.
    Die Briten stimmen am 23. Juni in einem Referendum über den Verbleib in der EU ab. (picture alliance / dpa/ Lukas Schulze)
    Kuldip Singh ist 78 Jahre alt, er kann sich noch gut daran erinnern, als Großbritannien der EG beitrat. 1973 war das - Edward Heath war der Premierminister, später, ach ja Thatcher und inzwischen David Cameron. Singh hält ihn offenbar nicht für besonders sympathisch, da bleibt er zurückhaltend. Er sagt lieber, was er mag – seine europäische Heimat zum Beispiel:
    "Ja, ich fühle mich europäisch, weil ich seit 61 hier wohne und ich fühle mich viel wohler als in Indien."
    Singh trägt einen Turban und besitzt in London einen kleinen Laden, in dem er Jeans und T-Shirts verkauft. Er will heute auf jeden Fall abstimmen. Und wie wird es wohl ausgehen? Auch dazu mag er lieber nichts sagen.
    Cameron wirbt für den Verbleib in der EU
    Die meisten britischen Politiker halten das ohnehin so - schon aus Respekt vor den Wählern. Doch davon abgesehen, scheint sich tatsächlich niemand sicher zu sein, auch der britische Premier David Cameron nicht. Noch gestern war er stundenlang unterwegs, um für "remain", also den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union zu werben:
    "Ich denke, dass es für das Schicksal unseres Landes wirklich wichtig ist, in der EU zu bleiben und auch so abzustimmen - wichtig für die Wirtschaft, für die Sicherheit und die Stärke unseres Landes".
    Wirtschaft und Einwanderung – das waren die Hauptthemen der Kampagnen.
    Die Befürworter des Brexit hatten Zuwanderer aus anderen EU-Staaten zu einem großen emotionalen Thema gemacht. Der mögliche Beitritt der Türkei zur Union könnte aus ihrer Sicht die Zahl deutlich erhöhen. Solche Prophezeiungen scheinen viele Briten zu erreichen, vor allem solche, die schlecht bezahlte Jobs haben. Der Ukip-Politiker Nigel Farage hatte schon lange vor anderen, noch prominenteren Brexit-Aktivisten für einen EU-Austritt geworben. Auch Farage warb bis zuletzt für seine Sache.
    Brexit-Befürworter wie Brexit-Gegner hatten die UKIP-Kampagne kritisiert, denn Farage hatte mit einem umstrittenen Plakat geworben. Darauf waren Flüchtlinge zu sehen, die angeblich nach Großbritannien wollen. Tatsächlich wurde es an der Grenze zwischen Kroatien und Slowenien aufgenommen.
    Nach Mord an Jo Cox Kampagnen kurzzeitig ausgesetzt
    Wegen des Mordes an der Labour-Abgeordneten Jo Cox waren die Kampagnen knapp drei Tage ausgesetzt worden. Anfang der Woche gedachten britische Parlamentarier ihrer Kollegin. Gestern kamen Hunderte auf dem Londoner Trafalgar Square zusammen, um an sie zu erinnern. Viele hatten weiße Rosen dabei, andere trugen Plakate. Jo Cox setzte sich für Flüchtlinge ein. Sie hinterlässt zwei Kinder und ihren Mann Brendan.
    Was ist es für eine schöne Ironie, so Brendan Cox, dass nun anstelle von Hass Liebe stehe, obwohl mit dem Mord wohl das Gegenteil bewirkt werden sollte. Viele Politiker haben dazu aufgerufen, den Umgang miteinander zu überdenken, auch in politischen Auseinandersetzungen. Kein prominenter Befürworter oder Gegner des Brexit hat den Mord aber in einen direkten Zusammenhang mit den Kampagnen und dem Referendum gestellt, obwohl Jo Cox gegen den Brexit eingetreten war.
    Von Ausnahmen abgesehen, haben sich Befürworter und Gegner des EU-Austritts an die Regeln gehalten. Allerdings versuchten beide Seiten emotionale Themen anzusprechen. Auch an Kuldip Singh, dem indischen Europäer mit dem Laden in London ist das nicht vorbeigegangen:
    "Die machen den Leuten doch nur Angst, das Pfund wird abstürzen, jeder Haushalt wird einige Tausend Pfund verlieren. Lasst doch die Menschen entscheiden! Die Briten sind nicht so schlecht, das sind intelligente Menschen. Ich denke, die werden schon das Richtige tun."