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Jacques Offenbach: ''La belle Hélène''

Der Theaterwissenschaftler Ullrich Schreiber vermerkte in den 70er Jahren, dass es mit dem diskographischen Angebot in Sachen Offenbach, also mit erhältlichen Tonträgern reichlich trostlos bestellt sei. Auch heute, drei Jahrzehnte nach diesem vernichtenden Urteil, ist die Lage kaum besser: Offenbach-Aufnahmen, die dem Geist der Offenbachiaden zu entsprechen, diesen gar auszureizen vermögen, sind nach wie vor rar auf dem Markt.

Frank Kämpfer | 31.08.2003
    Umso erfreulicher, dass sich das österreichische Label Preiser Records in seiner Subreihe Paperback Opera mehrerer historischer Produktionen erinnert, die diese Leerstellen beispielhaft füllen. Die eben gehörten Aufnahmen entstammen zwei französischen Schallplattenfassungen der frühen 50er Jahre, die trotz des Mono-Klangbilds wie keine späteren die theatrale Subtilität und Sprengkraft der Offenbachschen Harlekinaden zu vermitteln verstehen. Kein Geringerer als der heute fast vergessene Musikschriftsteller, Komponist und Dirigent René Leibowitz zeichnet verantwortlich für die Interpretation.

    Leibowitz, geboren 1913 in Warschau, verstand sich als Schüler Anton von Weberns und galt Mitte der 40er Jahre in Paris als alleiniger Vertreter der 'Schönbergschen Richtung' der Zwölftonmusik. Seine Offenbach-Studien begann er, als er - ein Traditionalist - als Komponist bei den Darmstädter Ferienkursen 1948/49 im Disput mit den Serialisten um Pierre Boulez unterlag.

    Über Leibowitz' Zugang zu Offenbach findet sich leider nichts in den nur dürftigen Booklets von Preiser Records , umso mehr im Offenbach-Kapitel der L'histoire de l'Opera, die Leibowitz 1957 in Paris selbst veröffentlicht hat. Der Schönbergianer setzt darin auf Analyse und er versteht Offenbachs Partituren als hochwertige Musik. Namentlich die hochkomplexen Ensembles haben es ihm angetan. Am Pult des Paris Philharmonic Orchestra musiziert er die raschen Wechsel theatralischer Gesti, Tempi und Stimmungen höchst präzise heraus. Analytisch geradezu wirken instrumentale Passagen, doch am überzeugendsten gelang die Arbeit mit dem Sänger-Sprecher-Darstellern. Nicht Schönklang und technische Perfektion des Singens, sondern Richtigkeit im theatralischen Sinn werden hier demonstriert. Stimmen charakterisieren Personen in ihrer Ambivalenz. Sie gehören verwandlungsfähigen Solisten wie dem Tenor André Dran, der im Orphée Aristheus und Pluto und in der Hélène den Paris darstellt. Oder Jean Hoffmann als Styx oder Ajax-Deux. Markant auch Roger Giraud in der Hélène als Ménélaus, oder Claudine Collart im Orphée als Public opinion.

    Sie und andere lassen Offenbachs Stücke in einer Weise näher treten, die Lust am Theater vermittelt. Und sie ermöglichen gar, wie René Leibowitz in seinen Texten vorschlägt, dass das Publikum, das über Offenbachs Figuren zu lachen beginnt, sich selber im Spiegel erkennt, und folglich sich über sich selbst amüsiert.

    Letztes Musikbeispiel für heute: Orphée aux enfer, 2. Akt, 4. Bild: In der Hölle. Jupiter tanzt, die Hofschranzen heucheln unterwürfige Aufmerksamkeit. Eurydike, verkleidet nunmehr als Bacchantin, reißt alle in den feurigen Lauf des Cancan. * Musikbeispiel: Offenbach - aus: Orpheé aux enfers Wiederveröffentlicht beim österreichischen Label Preiser records: René Leibowitz' legendäre frühe Schallplatten-Aufnahmen der Offenbach-Operetten Orpheus in der Unterwelt, Die Schöne Helena und Die Perlenfischer. Im Internet auffindbar unter www.preiserrecords.at.