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Jahresbericht "Deutsche Tafel"
Tafeln entwickeln sich zu Kontaktbörsen

Bäckereien und Supermärkte schmeißen gute Lebensmittel nicht einfach weg, nur weil das Mindesthaltbarkeitsdatum in wenigen Tagen abläuft oder schon abgelaufen ist. Sie verschenken sie an Bedürftige. Organisiert wird dies in Deutschland seit gut 20 Jahren von den "Tafeln". Beim heute vorgestellten Jahresbericht ging es nicht nur um Zahlen.

Von Verena Kemna | 01.06.2015
    In der Matthäus Gemeinde in Berlin Steglitz sitzen Rentner, alleinerziehende Mütter, Harz-IV Empfänger an runden Tischen. Für alle ist die Lebensmittelausgabe der Berliner Tafel ein fester Termin im Wochenkalender.
    "Mir hilft es über die Woche hinaus. Man weiß, dass man halt nicht alles kriegt, aber man spart eine Menge dadurch, ansonsten würde es auch schlecht aussehen. Ich bin Hartz-IV-Empfänger schon seit einigen Jahren. Es entlastet, man kriegt das eine oder andere, was man sonst sich nicht leisten könnte."
    Bei den Lebensmittelspenden handelt es sich meistens um Obst, Gemüse, Brot- und Backwaren. Aber auch Milchprodukte, Nudeln, Reis, Konserven oder Marmelade werden gespendet. Vieles stammt aus Überproduktionen, aber auch private Spenden werden bei den bundesweit über 900 Tafeln regelmäßig verteilt. Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V.
    "Wir merken, dass sich in unserer Gesellschaft sehr viel voneinander trennt. Viele Menschen wissen nichts mehr von der Lebenswirklichkeit anderer Menschen. Das führt zu Missverständnissen, das führt zu Ängsten und da merken wir, dass die Tafeln neben ihrer Aufgabe, Menschen mit Lebensmitteln zu unterstützen, eine ganz wichtige Funktion haben."
    Bundesweit über 900 Tafeln
    Eine Arbeit, die ohne die etwa 60.000 Ehrenamtlichen in ganz Deutschland undenkbar wäre. Angela Griesmeier hilft jede Woche ehrenamtlich in einem Kinder- und Jugendzentrum in Berlin-Reinickendorf. Sie steht in der Großküche und schneidet Gemüse für das Mittagessen.
    "Ja ich denke mir das hängt auch mit Hartz IV zusammen. Wichtig wäre es natürlich, dass die Kinder ihr Essen haben, aber aufgrund dessen, dass sie vielleicht rauchen, trinken wie auch immer, kann man nicht generell unterstellen, kommen die Kinder vielleicht zu kurz."
    Ein Drittel Kinder und Jugendliche
    Unter den eineinhalb Millionen Menschen, die regelmäßig bei den Tafeln versorgt werden, sind ein Drittel Kinder und Jugendliche. Tafeln sind nicht nur Orte, an denen Lebensmittel verteilt werden. Je nach Spendern, Sponsoren und Partnern, bietet jede Tafel Kontakte etwa zu Wohlfahrtsverbänden und anderen gemeinnützigen Initiativen. Die Palette reicht von Schuldner- und Suchtberatung bis hin zu Kochkursen für junge Eltern.
    Die Tafeln entwickeln sich immer mehr zu Kontaktbörsen, erklärt Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V.. Außerdem registrieren die Mitarbeiter der Tafeln bundesweit, dass die Zahl der Flüchtlinge bei den Tafeln stetig wächst. Eine besondere Herausforderung für die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Tafeln.
    "Mit traumatisierten Flüchtlingen umzugehen, mit auch zum Teil spürbarer Ablehnung, dass Flüchtlinge in diesem Stadtteil angekommen sind und da merkt man natürlich auch, dass Tafelmitarbeiter auch überfordert sind."
    Über 5.000 Paletten an Sachspenden
    Brühl fordert eine bessere Vernetzung der Hilfsangebote in den Kommunen.
    "Diese Menschen kommen zu uns und die Tafeln sind ein Teil der Willkommenskultur, aber wir merken auch, dass das für Tafelmitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine extreme Herausforderung ist."
    Im vergangenen Jahr hat der Bundesverband über 5.000 Paletten an Sachspenden in ganz Deutschland verteilt. Die Höhe der Geldspenden lag im vergangenen Jahr bei über 4 Millionen Euro. Doch auch bei dieser Jahrespressekonferenz stellt der Bundesverband fest, dass die Schere zwischen arm und reich immer größer wird. So fordert der Bundesverband der Tafeln seit Jahren gerechtere Steuersätze, armutsfeste Renten, eine Erhöhung der Hartz IV Sätze sowie kostenlose Kinderbetreuung.