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Jahrestagung des Netzwerk Recherche
Journalistische Zwei-Klassen-Gesellschaft

Recherche ist essentiell für journalistische Qualität. Doch sie ist zeitaufwändig und kostet Geld. Einmal mehr zeigte die Jahrestagung der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche in Hamburg, dass es nicht an den einzelnen Journalisten hängt, wenn in Deutschland zu wenig recherchiert wird.

Von Antje Allroggen | 12.06.2017
    Das Logo «nr netzwerk recherche», aufgenommen am 09.06.2017 in Hamburg bei der Jahreskonferenz des «netzwerk recherche». Rund 700 Journalisten des Netzwerks Recherche treffen sich in Hamburg, um über aktuelle Themen des Journalismus zu diskutieren.
    In Hamburg traf sich das Netzwerk Recherche zur Jahrestagung (dpa/picture alliance)
    Weniger Schreibtischjournalisten, mehr Rechercheure und Autoren. Diese Maßnahmen haben der New York Times im ersten Quartal dieses Jahres viele neue Abonnenten beschert. In Deutschland sind Rechercheverbünde wie der von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bisher noch selten.
    Tom Schimmeck würde das gerne ändern. Der Mitbegründer der taz und freie Autor für Radio und Print wollte dem journalistischen Nachwuchs auf der Jahrestagung des Netzwerk Recherche Mut machen, mehr investigative Geschichten zu erzählen – auch im Radio: "Bei Features gibt es eine Menge wunderbarer Plätze. Auch lange Sendungen, in denen man sich richtig reinhängen kann".
    Das Resumé der Veranstaltung fiel allerdings ernüchternd aus: Recherche werde im Radio stiefmütterlich behandelt. Das investigative Online-Portal Correctiv arbeite mit keinem einzigen Radiosender zusammen. Kein Preis, noch nicht einmal der Deutsche Radiopreis, verfüge über eine Kategorie "Investigativer Journalismus".
    Tom Schimmeck: "Also die bürokratischen Strukturen sind zu eng zugeschnitten auf den Output von Sendebeiträgen und nicht auf Recherchestundentagewochen, dass, sobald der Sender selbst versucht, ein halbwegs angemessenes Honorar zu zahlen für Recherche sozusagen über die eigenen Füße fällt."
    Vorteile für Festangestellte
    Ein Budgetproblem also, das Recherchearbeit zu einer Arbeit von fest angestellten Redakteuren werden lässt. Auch die Entwicklungsredaktion von Zeit Online arbeitet erst einmal mit festen Teams.
    Sascha Venohr leitet dort den Bereich Datenjournalismus: "Das ist ganz wichtig von vornherein, bevor ein großes Rechercheteam losläuft, sich die Struktur zu überlegen, dass man dann an einer Stelle schon die Geschichte denkt, die man dann strukturiert auf Basis der Fakten erzählen kann."
    Redaktionen wie Spiegel Online, BR Data oder Zeit Online lassen sich die Arbeit an einer langen Story durchaus etwas kosten. Auch dann, wenn eine anrecherchierte Geschichte ins Leere führt. Etwa ein Viertel aller Recherchen landet hier auf dem Datenfriedhof. So war es zum Beispiel bei der Idee, anhand der Flüge der Deutschen Luftbereitschaft zwischen Berlin und Köln Bonn aufzuzeigen, wie viele Steuergelder in die Luft gehen.
    "Die Geschichte hat stattgefunden, aber nicht in der Opulenz, die wir uns erhofft hatten. Jetzt konnten wir einfach die Frequenz erzählen: wie häufig sind die Flüge? Wir konnten skandalisieren, dass nach wie vor zwischen Köln und Berlin gependelt werden muss und wir konnten das Ausmaß der Betankungsflüge zeigen. Was wir gerne noch weiter verfolgt hätten, wäre, welche Politiker sitzen denn wann in welchem Flieger."
    Doch dafür wartete die Redaktion viel zu lange und vergeblich auf die Daten. Einzelkämpfer können sich einen solchen langen Atem nicht leisten.
    Von Recherche kann man nicht leben
    Das zeigt der Fall eines jungen Journalistinnentrios aus Berlin, das Frauen in der Hauptstadt interviewte, um mehr über das Thema sexuelle Gewalt in Berliner Flüchtlingsheimen zu erfahren. Ende Mai erschien – immerhin - ein Artikel im Tagesspiegel und auf einem internationalen Internetportal. Und es gab ein Stipendium vom Netzwerk Recherche. Trotzdem fällt die Bilanz ernüchternd aus, resümieren Yasmin Polat und Pascale Müller.
    Yasmin Polat: "Also allein von der Recherche können wir nicht leben. Auf keinen Fall."
    Pascale Müller: "Die hat sich so lange hin gestreckt, dass wir natürlich nebenher irgendwie unsere Miete verdienen mussten. Dieses Stipendium hat schon sehr geholfen, aber man muss da auch die Übersetzung bezahlen, noch andere Dinge, die mit der Veröffentlichung zu tun hatten."
    Ein Aspekt, der auf der Jahrestagung deutlich zu kurz kam. Wenn sich nur vereinzelte Redaktionen überhaupt noch Recherche leisten, gibt es dann bald einen Zwei-Klassen-Journalismus, in dem die einen in aller Ruhe recherchieren und die anderen unter Zeitdruck der Aktualität hinterherhecheln? Den wenigsten investigativen Journalisten bescheren aufwändige Recherchen jedenfalls ein gut gefülltes Konto.
    Pascale Müller: "Das steht in keinem Verhältnis. Wo ich mich dann auch frage, die Rolle von uns in der Gesellschaft. Also die Kontrollinstitution ist da auch schwer beschädigt. Es hilft einem auch nicht, wenn am Ende der Geschichte einem dann jemand auf die Schulter klopft, wenn man dann stark im Defizit ist mit allem, was man so gemacht hat. Und dann kann man sich natürlich auf seinem Idealismus ausruhen, aber irgendwo ist ds auch die finanzielle Wertschätzung nicht da."