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Jahrestagung: Schule gegen Rassismus
"Es gibt kein Wundermittel"

Schule gegen Rassismus - zu diesem Netzwerk gehören heute 2.000 Schulen. Für alle gilt: Mindestens 70 Prozent der Schüler, Lehrer und Mitarbeiter haben unterschrieben, dass sie sich an der Schule gegen jede Form der Diskriminierung und für ein gleichwertiges Miteinander einsetzen. In Berlin fand jetzt die Jahrestagung des Netzwerks statt mit Pädagogen, Sozialarbeitern und Wissenschaftlern.

Von Philip Banse | 03.06.2016
    Lara González geht in die 11. Klasse der Wilma-Rudolph-Oberschule im wohlhabenden Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Lara hat spanische Wurzeln und das sieht man ihr an. Richtigen Rassismus habe sie an ihrer Schule noch nicht erlebt, aber es würden schon Witze gemacht, die nicht mehr lustig sind:
    "Wenn mal halt so Witze macht wie: Spanier kommen immer spät oder sowas. Ja, ok, stimmt ein bisschen. Aber wenn es dann halt auch so heißt, weil du Spanierin bist, kommst Du auch immer zu spät, wenn man das dann so aus Persönliche bezieht."
    Am Eingang zu Lara González´ Schule hängt ein großes Schild: "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" steht da.
    "Ich würde mir wünschen, dass, wenn jemand diskriminiert wird oder schlecht angemacht wird, die Leute, dass die Außenstehenden oder die Leute, die halt zugucken oder dabei sind, sich auch einmischen und keine Angst haben auch zu sagen: halt, hier reicht´s; dass die Leute keine Angst haben und was dagegen machen.
    Das passiere immer noch zu selten, sagt Lara – trotz privilegierter Schüler und engagierter Lehrer.
    "Ja, ich glaube, die Leute haben ziemlich oft Angst, wenn sie dazwischen gehen, dass sie auch in die Mitte geraten und auch angemacht werden. Das ist glaube ich das Problem. "
    "Was könnte man denn da machen?"
    "Keine Ahnung."
    Wie lässt sich ein angstfreies, kooperatives und nichtdiskriminierendes Schulklima schaffen? Das war Thema auf der Jahrestagung des Netzwerks Schule gegen Rassismus, das bis heute in Berlin stattfand.
    "Die schlechte Nachricht ist: Es gibt kein Wundermittel. Wir schütten ein Pülverchen ins Glas, trinken und gut ist – das gibt es nicht."
    Die Kunst-Lehrerin Sanem Kleff ist Leiterin des Netzwerks und engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Diskriminierung an Schulen.
    "Du, Jude!" Hm. Es ist ein Unterschied, ob es der Siebenjährige sagt, ob´s der Siebzehnjährige sagt, ob´s einmal oder mehrmals, aber: Wahrnehmen muss ich es auf jeden Fall."
    Jede noch so kleine und spaßig gemeinte Form der Herabwürdigung anderer müsse angesprochen, thematisiert werden: seien es Hakenkreuze auf dem Klo oder Ausrufe wie "Du bist doch schwul!". Pädagogen hätten einen umfangreichen Werkzeugkasten für solche Interventionen: Von Einzelgesprächen, Gruppengesprächen, Arbeitsgemeinschaften bis zu strengen Sanktionen, sagt Wolfgang Brust, seit 22 Jahren Schulsozialarbeiter an der Gesamtschule Schwerte bei Dortmund:
    "Da empfehlen wir den Eltern auch eine Anzeige zu erstatten. Auch wenn es die eigenen Kinder sind, auch wenn sie erst 14 sind und noch nicht strafmündig. Einfach zu wissen, das geht einfach nicht. Wir wissen natürlich auch, dass die keine Strafe bekommen, aber einfach diese ganze Prozedur über sich ergehen zu lassen, eine Vorladung zu bekommen, einfach zu merken, auch wenn ich jemandem im Netz beschimpfe, das geht nicht, das ist verboten."
    Offene Kommunikationsräume nötig
    Sanem Kleff vom Netzwerk Schule ohne Rassismus sagt: Die Schule müsse ein offener Kommunikationsraum sein mit Klassenräten, offenen Diskussionsrunden und mehr Zeit für die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern:
    "Wir brauchen Menschen, die interpersonelle Beziehungen aufbauen können, dem Kind wirklich ins Gesicht schauen können und fragen: "Hey, wie geht´s denn Dir?" Und zwar nicht nur in der ersten und zweiten Klasse."
    Damit Kinder dann auch über Diskriminierungen berichten, brauchen sie Vertrauen, sagt der Schulsozialarbeiter Wolfgang Brust:
    "Das muss man erst mal respektieren als einen Akt des Mutes – und dann muss auch was passieren. Das heißt, dann muss ich Nägel mit Köpfen machen, mir Bündnispartner suchen und sagen: Da tue ich was. Und wenn die Kinder das dann mitkriegen, dass dann was passiert, dann kommen die eigentlich auch."
    Schüler müssten das Gefühl haben, kein Opfer der Umstände zu sein, sondern aktiv mitreden zu dürfen, ihre Umwelt ändern zu können. Schüler brauchten Erfolgserlebnisse.
    "Unsere These ist: Gewaltausüben ist eine Art Ersatzdroge für das, was ich nicht kriege: Anerkennung, Wertschätzung, ja, Liebe letzten Endes, und vor allem Selbstwertgefühl, dass ich mich selber in Ordnung finde."