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Jamaika-Sondierungen
"Alle arbeiten konstruktiv an einem gemeinsamen Ziel"

Die Jamaika-Sondierungen in Berlin laufen stockend. Besonders die Grünen attackierten zuletzt die beiden CSU-Politiker Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer. Doch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann beschwichtigt: "Jeder arbeitet daran, dass möglichst viel seiner eigenen Überzeugungen zum Tragen kommt."

Joachim Herrmann im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.11.2017
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) äußert sich in Berlin, vor ihm die Mikrofone mehrerer Sender.
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) (Jörg Carstensen/dpa)
    Ann-Kathrin Büüsker: Dass eine Jamaika-Koalition keine Liebesheirat werden würde, das haben ja alle, an den Sondierungen in Berlin Beteiligten mehrfach mehr als klar gemacht. In den vergangenen vier Wochen sind gerade diese Seiten der Sondierungstische immer wieder aneinander geraten, nämlich CSU und Grüne. Wahrscheinlich wird auch heute Abend wieder ein bisschen was passieren, wenn der Endspurt angesagt ist. Heute Nacht oder vielleicht auch morgen Früh, da soll eine erste Einigung stehen, oder das war's. Die Voraussetzungen sind sehr schwierig. Das hat gestern auch noch mal der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann klar gemacht. Ihm ist ein bisschen der Kragen geplatzt, weil ihm die CSU auf den Keks geht, vor allem in Person von Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer.
    O-Ton Winfried Kretschmann: "Entweder verhandelt man, dann verhandelt man und lässt pauschale Angriffe auf andere Seiten mal bei Seite, und zwar radikal. Oder ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Herren das gar nicht wollen, dass hier konstruktiv und erfolgreich verhandelt wird; dann sollen sie es sagen."
    Büüsker: Ärger also vor allem zwischen den Grünen und der CSU. Ist da noch was zu kitten? Fragen wir nach bei Joachim Herrmann, Innenminister von Bayern. Er sitzt mit am Sondierungstisch. Guten Morgen, Herr Herrmann.
    Joachim Herrmann: Hallo! Guten Morgen.
    Büüsker: Herr Herrmann, Ihre Kollegen Scheuer und Dobrindt, die werden in den vergangenen Wochen immer wieder als die Aggressoren wahrgenommen. Haben Sie für die beiden für den heutigen Abend schon Maulkörbe besorgt?
    Herrmann: Heute braucht es keine Maulkörbe, sondern zielbewusstes konstruktives Verhandeln. Das erlebe ich Tag für Tag. Ich bin ja bei vielen Gesprächen dabei und insgesamt ist das Gesprächsklima in der Regel jedenfalls ein sehr vernünftiges. Dass es zum Teil in der Sache um unterschiedliche Positionen geht, das ist, wenn Sie sehen, mit welchen Programmen die Parteien vor der Wahl die Bürgerinnen und Bürger angesprochen haben, ja nicht völlig überraschend. Das sind einfach mal unterschiedliche Positionen, auch zum Teil unterschiedliche Versprechen, die den Wählerinnen und Wählern gemacht worden sind, und deshalb ist es natürlich nicht so einfach, das unter einen Hut zu bringen. Aber es wird hart daran gearbeitet.
    Büüsker: Aber finden Sie nicht, dass die Kollegen da vielleicht auch manchmal ein bisschen übertreiben in ihrer Wortwahl vor den Kameras?
    "In allen Parteien gibt es immer wieder einzelne Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Temperament"
    Herrmann: Ich glaube, das ist in allen Parteien so, dass es immer wieder einzelne Persönlichkeiten gibt mit unterschiedlichem Temperament oder manchmal auch unterschiedlicher Tonart in der Aussage. Aber das ändert nichts daran, dass alle, die ich erlebe, konstruktiv an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Deswegen wird das heute sicherlich noch ein sehr, sehr spannender Tag. Ich weiß noch nicht, ob wir alle Dissonanzen, alle Widersprüche auflösen können, aber ich habe keinen Zweifel, dass alle, die da heute zusammenkommen, daran arbeiten werden.
    Büüsker: Und Sie sind sich da absolut sicher? Weil Winfried Kretschmann, der hat ja doch erste Zweifel, ob tatsächlich alle in der CSU eine Jamaika-Koalition wollen.
    Herrmann: Ich kann jetzt nicht beurteilen, ob alle 170.000 Mitglieder der CSU da dafür sind. Es gibt sicherlich auch in der CSU Mitglieder, die davon nicht so begeistert sind, so wie es übrigens, wie ich in den Gesprächen ja auch immer wieder erfahre, natürlich auch unter den Grünen eine ganze Reihe von Mitgliedern gibt, die sich im Laufe ihrer bisherigen Mitgliedschaft vieles haben vorstellen können, nur nicht eine Koalition mit der CSU. Da braucht man sich nichts vormachen. Deshalb sind wir natürlich alle, jede der vier beteiligten Parteien in der Situation, dass wir möglichst heute Abend, heute Nacht zu einem Ergebnis kommen müssen, das wir auch unserer eigenen Partei, unseren Mitgliedern, unseren Mitgliedern des Parteivorstandes und so weiter einigermaßen vernünftig nahebringen können, das wir auch gegenüber unseren eigenen Wählerinnen und Wählern vertreten können. Jede der Parteien ist in dieser Situation und deswegen muss man natürlich auch sehr exakt an den Themen arbeiten. Da hilft es nichts, nur oberflächliche Formelkompromisse zu finden, nur irgendwelche Formulierungen, die irgendwas überdecken. Wir müssen den Wählerinnen und Wählern klipp und klar sagen können, was wir die nächsten vier Jahre machen wollen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) stehen am 26.10.2017 in einer Verhandlungspause der Sondierungsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft.
    Schwierige Sondierungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer unterhalten sich in einer Verhandlungspause in Berlin. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Büüsker: Herr Herrmann, Sie haben die Basis angesprochen. Die Grünen werden die Basis tatsächlich auch befragen. Die Basis darf da mit entscheiden, ob überhaupt Koalitionsverhandlungen angestrebt werden. Und dann über die letztliche Koalition wird auch die Basis mit entscheiden. Warum machen Sie das nicht auch bei der CSU, wenn Sie sagen, dass es da sicherlich auch Leute gibt, die das gar nicht wollen? Dann wäre es doch ein guter Schritt, die so mitzunehmen, oder?
    Herrmann: Wir werden ja am Wochenende zuerst in der Bundestagsfraktion, der CSU-Landesgruppe, dann in der Landtagsfraktion in München und dann auch im Parteivorstand intensiv über dieses Sondierungsergebnis – es ist ja noch kein Koalitionsvertrag – beraten.
    Büüsker: Das ist aber nicht die Basis.
    Herrmann: Ja. Aber für die Frage, ob man jetzt nur überhaupt in Koalitionsverhandlungen eintreten will, da sehen wir bei uns jetzt nicht die Notwendigkeit, das noch in größerem Maßstab zu klären. Wenn wir dann einen Koalitionsvertrag haben sollten, im Dezember, dann wird darüber der Parteitag, der große Parteitag mit über tausend Delegierten entsprechend beraten und entscheiden.
    Büüsker: Und Sie sind sich sicher, dass da alle mitgehen, wenn Sie dann mit den Grünen koalieren wollen?
    "Wollen ein Ergebnis, mit dem wir eine klare Mehrheit auch in der eigenen Partei überzeugen können"
    Herrmann: Ob jetzt 100 Prozent mitgehen, weiß ich nicht. Aber klar ist jedenfalls, wir wollen ein Ergebnis erreichen, mit dem wir eine klare Mehrheit auch in der eigenen Partei überzeugen können. Und das bedeutet natürlich auch, wenn es nicht zu einem, aus unserer Sicht tragfähigen Ergebnis kommt, dann muss man immer sich auch die Möglichkeit offenhalten zu sagen, Leute, das ist keine Basis für vier Jahre Regierungsarbeit, so geht das nicht. Aber ich bin immer noch zuversichtlich, dass wir das heute vernünftig hinkriegen.
    Büüsker: Auch mit der anstehenden Landtagswahl, die es kommendes Jahr in Bayern geben wird, sind Sie eigentlich, die CSU, die Partei, die bei diesen Sondierungsgesprächen und auch eventuellen Koalitionsverhandlungen am meisten zu verlieren hat?
    Herrmann: Ich glaube, jeder arbeitet daran, dass natürlich möglichst viel seiner eigenen Überzeugungen jetzt zum Tragen kommt. Dass das natürlich Auswirkungen hat auf die Glaubwürdigkeit, mit der man den Wählerinnen und Wählern bei der nächsten Wahl gegenübertritt, ist logisch. So ist das natürlich auch bei uns in Bayern. Es werden übrigens zum ähnlichen Zeitpunkt im Herbst nächsten Jahres auch in Hessen Landtagswahlen stattfinden. Das beschäftigt sicherlich die Parteien dort genauso. Und es wird weitere Wahlen geben. Vor allen Dingen geht es aber jetzt darum, eine wirklich tragfähige Basis für eine handlungsfähige Regierung für Deutschland zu gestalten, und hier steht jeder auch in der Verantwortung. Die SPD hat sich abgemeldet und sagt, Opposition ist bequemer als Regierung. Das ist sicherlich keine neue Erfahrung, aber hilft insgesamt in Deutschland nicht weiter. Deshalb haben jetzt diese vier Parteien, die hier zusammensitzen, eine besondere Verantwortung, aus dem Wählervotum, einfach so, wie die Wählerinnen und Wähler entschieden haben am 24. September, jetzt etwas Vernünftiges daraus zu machen. Ich weiß noch nicht, ob es gelingt, aber wir haben, denke ich, eine große Verantwortung, es zumindest bestmöglich zu probieren.
    Büüsker: … sagt Joachim Herrmann, bayerischer Innenminister, für die CSU auch Mitglied des Sondierungsteams. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Herrmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.