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Jan Böhmermanns "Reconquista Internet"
Bürgerrechtsbewegung aus Versehen

Jan Böhmermann hat mit "Reconquista Internet" eine erfolgreiche Initiative gegen Hass und Hetze im Netz ins Leben gerufen, die auch offline wirkt. Doch daran gibt es auch Kritik.

Von Stefan Fries | 09.05.2018
    03.05.2018, Berlin: Jan Böhmermann, Satiriker; ist zu Internetkonferenz re:publica zugeschaltet. Die Konferenz über die digitale Gesellschaft findet gemeinsam mit der Media Convention statt.
    Der Satiriker Jan Böhmermann ist auf der Internetkonferenz re:publica 2018 zugeschaltet (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Ich bin Rayk Anders, Journalist und YouTuber."
    Seit über vier Jahren macht Rayk Anders Videos über Politik, seit anderthalb Jahren auch bei "Funk". Bei YouTube folgen ihm fast 100.000 Nutzer. Im vorigen September kritisierte er in einem Video die AfD, daraufhin geriet Anders ins Visier des rechtsradikalen Troll-Netzwerks "Reconquista Germanica" und erhielt innerhalb von nur zwei Tagen zweieinhalbtausend Hasskommentare zum Video.
    "Wir werden Dich suchen und finden. Der Tag wird bald kommen, Du Verrätersau." - "Und weil wir schon bei Deinem behinderten Kommentar sind…" - "Diese Welle wird Dich, Rayk, wegfegen."
    Anders: "Zielschiebe bin ich, meine Familie, unzählige andere: Journalisten, YouTuber, aber auch Ihr."
    Stahlhelm der Liebe
    Für die Dokumentation "Lösch Dich!" begab sich Rayk Anders auf die Suche nach dem Hass im Netz – und wurde fündig. Vor zwei Wochen veröffentlichte er den Film bei YouTube. Gleichzeitig präsentierte Jan Böhmermann in seinem "Neo Magazin Royale" eine satirisch aufbereitete Kurzfassung der Recherche und rief dann zum Gegenschlag auf – verkleidet wie einer der Trolle, die in der Doku zu sehen waren: mit Sturmmaske und Stahlhelm.
    "Macht mit bei Reconquista Internet. Wir sind die Wichser, die den Wichsern, die uns den Spaß am Internet verderben, den Spaß am Internet verderben. Kommt auf unseren geheimen Discord-Channel. Bei Reconquista Internet veröffentlichen wir Informationen, die Reconquista Germanica nicht veröffentlicht haben wollen. Zum Beispiel eine Liste mit den Pseudonymen, Facebook-Accounts und Twitter-Handles der echten Reconquista-Germanica-Mitglieder, mit denen Ihr dann machen könnt, was Ihr wollt: blocken, melden, mit Liebe überschütten…"
    Auf diese Weise will die Gruppe auf den Hass mit Liebe antworten. In ihrem Kodex heißt es:
    "Wir sind nicht GEGEN etwas. Wir sind FÜR Liebe und Vernunft und ein friedliches Miteinander."
    Der Kodex beginnt wie der erste Artikel des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die Mitglieder sollen nicht beleidigen, immer freundlich, verständnisvoll, vernünftig und zugeneigt bleiben, wenn sie auf Posts und Kommentare reagieren.
    Satire "ohne Bezug zur Wirklichkeit"
    Einer der geposteten Links führt auf ein YouTube-Video eines Accounts namens "Reconquista Internet", das die Urheber als "satirisches Internetprojekt ohne Bezug zur Wirklichkeit" nennen. So bezeichnet sich auch das Troll-Netzwerk "Reconquista Germanica". In dem Video verliest eine vermummte Person mit technisch veränderter Stimme einen dreiminütigen Aufruf und verweist auch auf die Listen mit bis zu 1.270 Twitter-Profilen, die sich an Reconquista-Germanica-Aktionen beteiligt haben oder zu einem rechten Netzwerk von Accounts gehören sollen. (*)
    "Wer forschen will, forscht nach, wie viel Liebe und Vernunft in diesen Listen steckt, wie die einzelnen Twitter-Profile miteinander verbunden sind und wie sie untereinander kommunizieren. Wer handeln kann, verbreitet Liebe und Vernunft in die Blase. Wer Ruhe und Kraft braucht, benutzt diese Listen als Blocklisten für ein bisschen weniger Angst und Hass im Internet."
    Auf den Listen befinden sich neben Accounts anonymer Personen, die rechtsextreme Inhalte verbreiten, auch solche der AfD und einiger Bundestagsabgeordneter.
    Erste Offline-Aktion in Dresden
    Zu Wochenbeginn machte auch eine Offline-Aktion von sich reden. Auf die Frauenkirche in der Pegida-Stadt Dresden wurde ein Text mit dem Logo von Reconquista Internet projiziert. Dort hieß es:
    "Durchhalten, freundliches Dresden! Ihr seid nicht alleine! #ReconquistaInternet"
    Mittlerweile haben sich 53.000 Nutzer für die Aktion angemeldet. Wer dabei sein will, muss beweisen, dass es ihn gibt. Nach Angaben des Vereins Mimikama, der auch beteiligt ist, wurden bisher knapp 10.000 Nutzer verifiziert. Auf der Digitalkonferenz Republica in Berlin berichtete Jan Böhmermann in der vorigen Woche per Skype zugeschaltet, wie sehr ihn der Rücklauf von Nutzern überrascht habe.
    "Wir haben tatsächlich, das stimmt schon, aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung, glaub ich, ins Leben gerufen. Und ich teile auch die Einschätzung der anderen auf dem Podium, dass das natürlich ernst ist und freundlich ist. Und ich glaube aber nicht, und bin da jetzt nicht so desillusioniert, dass ich denke, dass das nicht die Lösung ist. Weil: Was ist denn sonst die Lösung?"
    Kritik wegen "Blockwart-Denke"
    An der Aktion gibt es auch Kritik. Beim ZDF-Fernsehrat haben sich bisher rund 50 Zuschauer beschwert, ein Teil davon als förmliche Programmbeschwerde, die in dem Aufsichtsgremium besprochen werden könnte. Einige richten sich auch gegen die Troll-Listen, die Jan Böhmermann allerdings auf seinem privaten Account veröffentlicht und den Tweet dazu später wie angekündigt gelöscht hatte. Das ZDF lehnte deshalb im Twitter-Account von ZDFneo eine Verantwortung für die Aktion ab und wollte sich auch gegenüber dem Deutschlandfunk nicht weiter äußern.
    FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte dem Internetportal t-online, es könne nicht Aufgabe öffentlich-rechtlich finanzierter Social-Media-Angebote sein, diese Listen zu verbreiten – was diese allerdings nicht getan hatten. Auf Twitter verglich sie sie mit schwarzen Listen der Nationalsozialisten und der SED.
    Die FDP kommt im Video übrigens als Referenz auch vor. Am Ende ihres Aufrufs spricht die vermummte Person noch leise an der Kamera vorbei:
    "Wir haben nach fünf Tagen jetzt schon mehr Mitglieder als die FDP? Warum sind wir denn dann nicht im Bundestag?"
    * In der ursprünglichen Fassung des Beitrags haben wir an dieser Stelle aus dem Reconquista-Internet-Video falsch zitiert. Wir haben den Fehler korrigiert.