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Japan und Russland
Tokios Sanktiönchen

Auch Japan hat in dieser Woche Sanktionen gegen Russland verhängt. Trotzdem fährt Tokio gegenüber Moskaus einen anderen Kurs als die EU und die USA. Lange fanden keine Staatsbesuche zwischen den Nachbarstaaten Japan und Russland statt, doch mit Premier Shinzo Abe hat sich das geändert.

Von Martin Fritz | 02.08.2014
    Japans Regierungschef Shinzo Abe
    Putin und Abe bei einem Treffen der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) (picture alliance / dpa - Mikhail Klimentyev / Ria Novosti)
    Japan und Russland sind Nachbarländer. Doch Russlands Präsident war das letzte Mal vor neun Jahren in Japan. Genauso war ein japanischer Premierminister zehn Jahre lang nicht in Russland. Unter Shinzo Abe ist diese Distanz dramatisch geschrumpft. Fünf Mal haben sich der japanische Regierungschef und Russlands Präsident Wladimir Putin seit März vergangenen Jahres getroffen - und wurden dabei so etwas wie Freunde. Abe fuhr sogar als einziger G7-Regierungschef zu den Olympischen Winterspielen nach Sochi, wo er erklärte:
    "Unsere Beziehungen haben sich mit sehr gutem Tempo vorwärts bewegt. Wir wollen konstruktiv und offen unsere Standpunkte austauschen. Auf jeden Fall sollten wir dieses Problem nicht an die nächste Generation weitergeben. Ich bin entschlossen, zum frühest möglichen Zeitpunkt eine Lösung zu finden."
    Annäherung gestoppt
    Das Problem, von dem Abe spricht, ist die Kurilen-Frage. Vier japanische Inseln der Kurilen-Kette, die Japan und Russland verbindet, wurden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Moskau besetzt. Japan nennt sie die "nördlichen Territorien" und will sie zurückhaben. Dann könnte man 70 Jahre nach Kriegsende endlich Frieden mit Russland schließen. Doch die Annäherung der beiden Länder wurde durch die russische Annexion der Krim gestoppt.
    Die USA und die EU verhängten Strafen gegen Russland. Japan folgte, beließ es aber bei Sanktiönchen. Es wurden nur geplante Gespräche über Visaerleichterungen, Investitionen und andere Kooperationen auf Eis gelegt. Auch den neuen Sanktionen des Westens von dieser Woche schloss sich Japan an, wie Regierungssprecher Yoshihide Suga erläuterte:
    "Wir nehmen an den Sanktionen teil, die zuvor von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Kooperation mit der EU verhängt wurden. Wir verbieten auch den Import alle Produkte aus der Krim, weil wir die russische Annexion nicht akzeptieren."
    Aber auch das hört sich entschlossener an als es ist. Während der Westen die Banken, die Rohstoffe und das Militär Russlands treffen will, bleibt Japans Haltung windelweich. Denn wohl niemand aus dem Umfeld von Putin hat Vermögen in Japan, das man einfrieren müsste. Und der einzige japanische Importartikel von der Krim ist offenbar Wein. Der Russland-Experte James Brown von der Temple-Universität in Tokio beschreibt Japans Position daher als ausgeglichen:
    "Ja, die Sanktionen werden vollzogen, aber sie sind wirklich schwach. Japan scheint Russland zu signalisieren, dass es nicht voll hinter den Strafen steht, dass es Russland nicht isolieren will. Statt dessen signalisiert Japan, dass es sich verpflichtet fühlt, wie die G7-Länder zu handeln, aber eine ausgeglichene Position behalten will."
    Das gegenseitige Interesse von Japan und Russland hat verschiedene Gründe. Wirtschaftlich gesehen braucht Japan russisches Gas und möchte Infrastruktur verkaufen. Russland wünscht sich japanische Investitionen und Technologien für eine modernere Wirtschaft. Politisch gesehen möchte Japan seine Isolation in Ostasien überwinden. China und Südkorea verweigern ein Treffen mit Premier Abe, er ist ihnen zu nationalistisch. Da biete sich Russland als Partner an, meint Professor Shigeki Hakamada von der Universität Niigata.
    "Präsident Putin hat eine positivere Einstellung zu Japan als sein Vorgänger Medwedew. Das zeigt schon seine Liebe zu Judo. Und Japan will gute Beziehungen zu Russland haben, da sein Verhältnis zu seinen anderen Nachbarn China, Süd- und Nordkorea problematisch ist."
    Japans Isolation in Ostasien
    Natürlich weiß auch Russland um die Isolation von Japan in Ostasien. Daher ist es für Moskau ein Leichtes, die chinesische Karte zu spielen, um Japan vorzuführen. Japan streitet mit China um Inseln. Da ist es unschön, wenn auch Russland auf Chinas Seite steht. Doch so geschah es nach den ersten Sanktionen. Da schloss Moskau einen Liefervertrag mit China über Erdgas ab. Und nach der zweiten Sanktionsrunde in dieser Woche kündigten Russland und China eine gemeinsame Gedenkveranstaltung für den Weltkrieg an. Russlands Außenminister Sergei Lavrov stimmte dabei in die chinesische Klage über Premier Abe ein:
    "Wir hoffen, dass Japan eine aktive Rolle in der Entwicklung eines Kooperationsmechanismuses in der Region Asien-Pazifik spielen kann. Es ist eine Schande, dass einige Politiker immer noch Militarismus unterstützen, wenn es um regionale Streitigkeiten geht. Ich hoffe, dass alle Länder der Region sich vom Militarismus zurückhalten werden."
    Die japanische Regierung will diese Demütigungen anscheinend ertragen. Noch haben weder Japan noch Russland den bereits verabredeten Besuch von Putin in Tokio im Herbst abgesagt. Regierungschef Abe hofft darauf, dass der Westen den Gipfel tolerieren werde, da Japan die Sanktionen mitgetragen habe. Doch womöglich mache sich Abe Illusionen über die Bereitschaft von Russland zum Einlenken in der Kurilen-Frage, meint der Russland-Experte Brown:
    "Ich sehe nicht, dass es wirklichen Fortschritt in der Kurilen-Frage geben wird. Und das hat mit der Ukraine-Krise zu tun. Auf der Krim hat Russland das Bild aufgebaut, die russischsprachige Bevölkerung zu schützen. In diesem Kontext kann man sich nur schwer vorstellen, dass Russland die Kurilen zurückgibt, vor allem nicht die beiden größeren Inseln mit ihrer russischsprachigen Bevölkerung."
    Dennoch könnten die Nationalisten Abe und Putin eine Lösung finden. Denkbar wäre eine Besitzteilung oder eine gemeinsame Verwaltung. Die vier winzigen Kurilen sind für Putin jedenfalls viel unwichtiger als die Krim.