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Japanischer Teilchenbeschleuniger
Präzision statt Power

Der LHC am CERN in Genf ist der Star der Teilchenforschung. Mit ihm wurde 2012 das Higgs-Teilchen entdeckt, aber darüber hinaus bislang nichts. Nun hat er Konkurrenz bekommen: der japanische SuperKEKB. Er ist kleiner, kostengünstiger und schießt statt Wasserstoffkerne Elektronen und ihre Antiteilchen aufeinander.

Von Frank Grotelüschen | 08.08.2016
    Das LHC, der größte und stärkste Teilchen-Beschleuniger der Welt.
    Der LHC ist der Star unter den Teilchenbeschleunigern; der neue japanische SuperKEKB will aber präziser arbeiten (CERN)
    Drei Kilometer statt 27. 650 Physiker statt 6.000. Eine halbe Milliarde Euro statt fünf Milliarden. In einem Teilchenphysik-Quartett würde der neue japanische Beschleuniger SuperKEKB glatt den Kürzeren ziehen gegenüber dem Rekordhalter, dem LHC. Allerdings tritt der Japaner in einer anderen Disziplin an als der Riese aus Genf: Statt Wasserstoffkerne schießt er Elektronen und ihre Antiteilchen aufeinander. Die sind deutlich leichter und kleiner – weshalb auch der Beschleuniger eine Nummer kleiner ausfallen darf, sagt Tom Browder, Physiker an der Universität Hawaii und einer der 650 beteiligten Forscher.
    "Wir feuern Elektronen auf Positronen, so heißen die Antiteilchen der Elektronen. Dabei entstehen Teilchen, die aus sogenannten b-Quarks bestehen. Und diese exotischen, kurzlebigen Teilchen wollen wir mit einem Detektor unter die Lupe nehmen: Wir wollen extrem genau herausfinden, wie sie zerfallen und welche Eigenschaften sie besitzen."
    Präziser messen und genau beobachten
    Das Entscheidende: Die Anlage soll das alles viel präziser vermessen als alle Beschleuniger zuvor. Insbesondere soll sie extrem genau beobachten, wie die exotischen b-Quarks in andere Teilchen zerplatzen. Das Standardmodell, also das derzeitige Theoriegebäude der Teilchenphysik, macht genaue Aussagen darüber, wie dieses Zerplatzen vor sich gehen sollte. Fänden sich in den Messdaten Abweichungen von diesen Aussagen, hätte man eine Bruchstelle in der Theorie entdeckt.
    "Wir wollen eine solche Bruchstelle im Standardmodell finden – und damit eine neue, über das Standardmodell hinausgehende Physik. Unsere Strategie: Wir suchen nach seltenen Phänomenen, an denen sich dieser Zusammenbruch zeigt."
    Diese seltenen Phänomene, nach denen Browder und seine Leute Ausschau halten, sind äußerst seltsam, sie gehorchen den Regeln der Quantenphysik. Das Kalkül: Wenn ein b-Quark zerplatzt, könnten neue, bisher unbekannte Teilchen in diesen Zerfall hineinfunken – Teilchen, die zufällig in der Nähe auftauchen und sofort wieder verschwinden.
    "Das wäre so, als wenn Sie Ihr Bankkonto um einen irrsinnigen Betrag überziehen würden, sagen wir eine Billiarde Euro. Wenn Sie die Schulden schnell genug wieder zurückzahlen, vielleicht innerhalb einer billionstel Sekunde, merkt das die Bank nicht. Doch wenn Sie das dauernd machen, wird die Bank vielleicht irgendwann mitkriegen, dass etwas Seltsames auf Ihrem Konto vor sich geht."
    Es soll der Einfluss von unbekannten Teilchen registriert werden
    SuperKEKB wird neue, unbekannte Teilchen also nicht direkt erzeugen und nachweisen können. Stattdessen will er ihren heimlichen Einfluss auf andere Teilchenphänomene registrieren, sie also anhand von Indizien überführen. Das aber kann nur klappen, wenn der japanische Beschleuniger enorme Mengen an Messdaten erzeugt. Nur dann ließe sich bildlich gesprochen beweisen, dass etwas mit dem Girokonto nicht stimmt. Dazu aber braucht es einen technologischen Durchbruch.
    "Wir müssen die Elektronen- und Positronenpakete, die wir aufeinander feuern, extrem gut bündeln, damit möglichst viele Teilchen in diesen Paketen kollidieren. In Zahlen: Mithilfe von Spezialmagneten müssen wir die Pakete auf einen Querschnitt von weniger als einem Mikrometer zusammenquetschen. Das zu schaffen, ist eine große Herausforderung."
    Manche Fachleute bezweifeln sogar, dass der Beschleuniger seine Zielmarken erreicht. In ihren Augen scheint das Projekt schlicht zu ehrgeizig. Tom Browder dagegen gibt sich zuversichtlich. Seit Anfang dieses Jahres ist der Beschleuniger fertig, und die ersten Elektronen kreisen im Ring. Die ersten Kollisionen sind für nächstes Jahr vorgesehen, die Datennahme soll 2018 beginnen. Und dann, so die Hoffnung, wird der japanische Zwerg vielleicht doch mit dem europäischen Giganten, dem LHC, mithalten können.
    "Ich würde sagen, beide Ansätze sind berechtigt, und man sollte beide verfolgen."