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Japans schwierige Rückkehr zur Normalität

Tsunami und Reaktorkatastrophe haben in Japan viele Menschen heimatlos gemacht. Trotzdem bemühen sich die Menschen, zur Normalität zurückzukehren - auch wenn die Zeit in Turnhallen und anderen Notunterkünften länger wird als geplant.

Von Peter Kujath | 06.09.2011
    Bis Ende August wollte die japanische Regierung all die Menschen, die durch die dreifache Katastrophe vom 11. März ihr Zuhause verloren hatten, in vorübergehende Wohneinheiten untergebracht haben. Das hat nicht ganz geklappt. Noch immer leben einige Hundert in Turnhallen in den Präfekturen Miyagi und Fukushima. Dabei gäbe es genügend freie Wohnblocks.

    "Ich muss oft zum Krankenhaus hier in der Nähe der Notunterkunft. Weil ich nur ein Fahrrad habe, kann ich nicht irgendwohin weit weg ziehen."

    Einige der neugebauten Quartiere liegen abseits im Landesinneren, weil der Tsunami kein sicheres Bauland zurückgelassen hatte. Aber das ist nur ein möglicher Grund. Andere bleiben lieber in der Gemeinschaft der Turnhalle, weil sie sich vor der Einsamkeit fürchten.

    "Viele ältere Menschen fühlen sich sehr verunsichert durch die Katastrophe. Und wenn sie jetzt allein in einer kleinen Wohnung leben sollen, dann haben sie noch mehr Angst vor der Zukunft. Deshalb ziehen sie es vor in der Gemeinschaft hier unter den Älteren zu bleiben."

    So einer der Betreuer in einer Notunterkunft in Fukushima. Schon vor der Katastrophe vom 11. März war das Problem der zunehmend älter werdenden Gemeinden im Nordosten Japans bekannt. Viele der jungen Menschen sind in die Ballungszentren, nach Tokio oder Osaka gegangen. Zurück blieben die Alten, die durch den verheerenden Tsunami alles verloren haben.

    "Von meinem Haus aus konnte ich sehen wie eine Woge Rokku Nobori überschwemmte. Ich bin sofort ins Auto gesprungen und landeinwärts nach Wakabayashi gefahren. Es war eine schwarze Welle, auf deren Oberfläche ich weißen Rauch aufsteigen sah. Es war ein erschreckender Anblick. Deshalb bin ich gleich mit dem Auto weg."

    In Sichtweite der aufgeschütteten Schnellstraße, die die Wucht des Tsunamis endlich eindämmen konnte, hatten nach der Katastrophe die Mitglieder der Gemeinde Rokku Nobori Unterschlupf gefunden. Das Erdbeben, so diese älteren Frauen in der Turnhalle einer Schule, hätte keinen so großen Schaden angerichtet. Dann aber sei der Tsunami gekommen.

    "Was mich betrifft, so hatten wir unser Haus erst vor einem Jahr fertiggestellt. Die Raten dafür müssen immer noch abbezahlt werden. Teile meiner Familie sind jetzt an verschiedenen Orten untergebracht. Und meine Mutter, die zu der Zeit im Krankenhaus lag, ist wohl vor Schreck gestorben. Das war ein zusätzlicher Schock."

    Es war dem Gemeindevorsteher wichtig, zumindest zu versuchen, die Menschen zusammenzuhalten. Deshalb haben sie die Turnhalle erst geräumt, nachdem alle zusammen in eine Einheit mit vorübergehenden Wohnblocks ziehen konnten. Die Küstenstadt Miyako weiter im Norden hatte sich diese Idee zum Prinzip gemacht, so Katsunori Konari.

    "Wer in die bereits fertiggestellten Häuser einziehen darf, wird in Miyako nicht per Los entschieden. Wir haben festgelegt, dass die Gemeinde, die Nachbarschaft immer als Ganzes dort einziehen soll. Damals beim großen Kobe-Beben 1995 gab es viele alte Menschen, die in die vorübergehenden Wohneinheiten gezogen und dann an Vereinsamung gestorben sind. Solche Probleme wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Deshalb hat sich die Stadt Miyako für diese Vorgehensweise entschieden."

    Auf einer Anhöhe am Rande Miyakos gelegen stehen rund 40 dieser Fertighäuser aufgereiht. Davor wurde ein Spielplatz errichtet und Bänke aufgestellt. Ine Okura und Kikuno Hoshiba sitzen zusammen, um ein bisschen zu reden. Sie sind schon über 70 Jahre alt und froh, endlich aus der Notunterkunft heraus zu sein.

    "Jetzt haben wir wieder Hoffnung. Das ging nicht per Los, sondern uns wurden von der Stadt diese Einheiten zugeteilt."

    Die beiden wohnten früher in der gleichen Nachbarschaft, ehe der Tsunami alles mit sich riss.

    "Zuerst war ja da das Erdbeben. Wenig später fuhr ein Auto mit der Warndurchsage, dass gleich ein Tsunami kommen wird, entlang. Ich hatte bis dahin nicht über einen Tsunami nachgedacht. Dann habe ich entschieden, in die Berge zu laufen."

    Ine Okura blieben nur die Kleider am Leib, alles andere verschlang das Meer. Anfang Mai konnte sie in eines der Fertighäuser einziehen, die mit Kühlschrank, Reiskocher, Fernseher und Geschirr ausgestattet sind. Für den Verlust ihres Hauses haben die beiden jeweils eine Million Yen, knapp 9000 Euro, an staatlicher Entschädigung erhalten.

    "Es heißt, wir dürfen hier zwei Jahre ohne Miete leben. Aber zwei Jahre ist viel zu kurz für uns. Wir sind ja bereits ziemlich alt und genügend Geld haben wir auch nicht. Wir können unsere Häuser nicht wieder aufbauen und wir haben auch keine Angehörigen mehr. Wir haben also keine andere Chance, als auch über die zwei Jahre hinaus hier wohnen zu bleiben."

    Zweimal in der Woche kommt ein kleiner Laster des örtlichen Supermarkts hier hinauf gefahren, so dass Ine Okura und Kikuno Hoshiba sich mit dem Nötigsten versorgen können. Beschwerlich ist der Weg zum Arzt. Aber die Jüngeren nehmen sie manchmal mit, wenn sie mit dem Auto zur Arbeit fahren oder die Kinder in die Schule bringen. Es ist den beiden durchaus anzumerken, was sie durchgemacht haben, aber die Möglichkeit, hier gemeinsam auf der Bank zu sitzen und zu sprechen, bedeutet ihnen viel. Bisher haben weder die japanische Regierung noch die Präfekturen oder Gemeinden ein schlüssiges Konzept, wie der Wiederaufbau gerade für die ältere Generation möglich gemacht werden kann.

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