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Jaqueline Fontyn
Verständnisbrücke zwischen Leben und Werk

Die belgische Komponistin Jaqueline Fontyn schuf über 120 Kompositionen zwischen solistischer Kammermusik und großen sinfonischen Stücken, die von gedanklicher Durchdrungenheit und vor allem klanglicher Intensität zeugen. Eine neue Superaudio-CD stellt vier Werke aus den Jahren 1975 bis 2008 vor.

Von Yvonne Petitpierre | 27.04.2014
    Eine Geige, eine Flöte, eine Mundharmonika und ein Banjo liegen auf einem Notenblatt.
    Eine Geige, eine Flöte, eine Mundharmonika und ein Banjo liegen auf einem Notenblatt. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Thieme)
    Heute stelle ich Ihnen eine drei Super Audio CDs umfassende Edition vor, die der belgischen Komponistin Jaqueline Fontyn gewidmet ist. Erschienen ist die kleine CD-Box kürzlich beim Label Cybele Records im Rahmen der label-internen Reihe "Künstler im Gespräch". Erklärtes Anliegen dieser musikalischen Hörbuchedition ist es, den Zugang zum Schaffen des jeweils vorgestellten Komponisten zu erleichtern oder zu ermöglichen. Es ist der ambitionierte Versuch, eine Verständnisbrücke zu schlagen, die sich im Spannungsfeld zwischen Leben und Werk des Komponisten bewegt. Die "Erkundung des Fremden soll zu einem Abenteuer werden, auf das man sich gerne einlässt", so die Herausgeber.
    Die vorliegende Edition stellt vier Kompositionen von Jaqueline Fontyn aus den Jahren 1975 bis 2008 vor, und präsentiert Aufnahmen mit der Originalstimme der Komponistin sowie ein Gespräch mit dem Geiger und künstlerischen Weggefährten Kolja Lessing.
    Fontyns Werkverzeichnis umfasst über 120 Kompositionen zwischen solistischer Kammermusik und großen sinfonischen Stücken, die von gedanklicher Durchdrungenheit und vor allem klanglicher Intensität zeugen.
    Hören Sie am Beginn einen Ausschnitt aus "Capricorne". 2003 im Auftrag des luxemburgischen Ensembles Les Musiciens entstanden, - ursprünglich für einen Schlagzeuger und Kammerorchester komponiert, hat Fontyn das Werk 2008 in eine Fassung mit zwei Solisten umgearbeitet, die insgesamt 24 Schlaginstrumente bedienen. Das Werk lässt sich als eine Art imaginärer Spaziergang in verschiedenen Etappen beschreiben, auf dem sich die Solisten mit dem Orchester unterhalten und Reaktionen herausfordern. Eine Aufnahme mit den Schlagzeugern Tom De Cock und Sven Pollkötter sowie dem Göttinger Symphonieorchester unter der Leitung von Christoph-Mathias Mueller.
    Jaqueline Fontyn: Capricorne
    Tom de Cock, Sven Pollkötter, Perkussion
    Göttinger Symphonie-Orchester
    Die, inzwischen als Grand Dame unter den belgischen Komponistinnen geltende Jaqueline Fontyn wird am 27. Dezember 1930 in Antwerpen geboren. Ihre musikalische Begabung wird schnell entdeckt und vom Elternhaus gefördert, als sie im Alter von fünf Jahren dem russischen Klavierpädagogen Ignace Bolotine mit täglichen Klavierstunden anvertraut wird. Durch ihn wird sie zu ersten Kompositionsversuchen ermutigt, ehe im Alter von 13 Jahren die Entscheidung fällt, Komponistin zu werden.
    Heute lebt Jaqueline Fontyn seit über 50 Jahren auf dem Lande in Limelette bei Brüssel. Dort hat 2010 Mirjam Wiesemann, Mitherausgeberin der Hörbuchedition ein ausführliches Gespräch mit der Komponistin geführt. So wird der Hörer auf der zweiten SACD über einen sehr lebendigen, teilweise unterhaltsamen Dialog facettenreich und persönlich in die Lebenswelt von Jaqueline Fontyn entführt.
    Der Blick fällt auf familiäre Konstellationen, die politische Situation und das künstlerische Selbstverständnis. Trotz früh erfahrener schwerer Schicksalsschläge berichtet Fontyn von einer glücklichen Kindheit und einem Leben, das sie auch mit viel Humor und einer bejahenden Lebenseinstellung meistert. Ihre freigeistige Haltung zeichnen privates Leben und künstlerische Arbeit gleichermaßen, - spezifischen Moden oder Dogmen wollte sie sich als Komponistin nie unterwerfen.
    Jaqueline Fontyn im Gespräch mit Mirjam Wiesemann
    "Der schöpferische Prozess-ich bleibe der Boss"
    "Folgt Eurer Leidenschaft, seid nicht gehorsam"
    Klangvolle Harmoniekombinationen, eine sehr persönliche Formsprache und das Experimentieren mit Tradition prägt ihre kompositorische Handschrift. Beim Hören bleiben impressionistische Anklänge, aber eine stilistische Zuordnung dahingehend lehnt sie ab. Fasziniert äußert sie sich über die Musik von Bach, Ravel, Dutillieux und Lutoslawski. Einen Teil ihres kompositorischen Handwerks erlernt Fontyn in Paris bei dem Schönberg-Schüler Max Deutsch. Ab 1956 besucht sie dann die Dirigierklasse bei Hans Swarowsky in Wien. Bis 1970 hat sie mehrere Jahre eine Professur für Musiktheorie am Konservatorium in Antwerpen und lehrt zwischen 1970 und 1990 Komposition am Königlichen Konservatorium in Brüssel. Meisterklassen und Gastvorträge führen Fontyn über viele Jahre rund um die Welt.
    Den Moment des Komponierens empfindet Fontyn immer als ihre eigene, aktuelle Wahrheit, außerdem komponiert sie nach eigenen Aussagen für ein breites und vor allem neugieriges Publikum, das zuhören möchte. Ihre Kompositionen wirken oft schwebend und von Leichtigkeit gezeichnet, basieren aber auf umfangreichen Materialsammlungen und verändern sich über einen langen Zeitraum en Detail, ehe sie für die Öffentlichkeit hörbar werden.
    "Es ist ein Ozean .....", ein Auftragswerk anlässlich des Leipziger Bachfestes 2000 entstanden spielt auf eine angebliche Aussage Gustav Mahlers an, der über die vier Buchstaben B-A-C-H gesagt haben soll: "Es ist kein Bach, es ist ein Ozean".
    Der erste Satz "Präludium" spielt via Zuspielband mit 12 Anfängen aus Bach'schen Werken und mündet in dessen h-Moll Sonate für Flöte und Cembalo.
    Hören Sie eine Aufnahme mit Gaby Pas-Van Riet, Flöte, Martin Schmeding, Cembalo, - das Göttinger Symphonieorchester wird von Christoph-Mathias Mueller geleitet.
    Jaqueline Fontyn: Es ist ein Ozean .....
    1. Präludium
    "Musik gebe es immer in ihr" und so schöpft Jaqueline immer aus einer großen Fülle musikalischer Ideen. Das Orchester hat sie zu ihren Lieblingsinstrumenten erklärt, weil es über eine Vielsprachigkeit verfügt und sich alle Grenzen sprengen lassen. Sie gilt als eine der bedeutendsten zeitgenössischen Komponistinnen in Belgien und stößt mit stimmungsreichen Kompositionen auf eine breite Zuhörerschaft.
    Während Fontyn in ihren frühen Kompositionsjahren vermehrt mit 12-tönigem Material gearbeitet hat, bevorzugt sie später das Arbeiten mit den Errungenschaften der traditionellen Musik, die sie in farbigen Klangkombinationen mit Techniken und Ausdrucksformen unserer Zeit verbindet. Sie bediene sich der Avantgarde in spielerischer, aber niemals "gesuchter" Weise. Wie sehr sich Fontyns persönliche Kompositionssprache in vielen klanglichen Timbres bewegt und welche Faszination von ihrer Selbstverständlichkeit im Umgang mit Bildender Kunst und Natur ausgeht, davon zeugt ein weiteres Gespräch, das Mirjam Wiesemann mit dem Geiger und Pianisten Kolja Lessing auf der dritten SACD geführt hat. Aspekte der Freundschaft und künstlerischen Wertschätzung für Jaqueline Fontyn werden hier dokumentiert, beschrieben wird die Faszination, die von ihrer Musik ausgeht. Als neugieriger Geiger stößt Kolja Lessing angeregt durch einen gemeinsamen Freund 1987 erstmals auf die Komponistin und deren 1975 entstandenes Violinkonzert "Réverie & Turbulence". Nur ein Jahr später kommt es zu einer ersten persönlichen Begegnung mit Jaqueline Fontyn.
    Mirjam Wiesemann im Gespräch mit Kolja Lessing
    "Reverie & Turbulence", so der Titel des zweisätzigen Violinkonzertes wurde 1976 als Pflichtstück für den "Concours International Reine Elisabeth" in Auftrag gegeben. Der erste Satz "Tranquillo" lebt aus einem atmosphärischen, ruhigen und verträumten Gestus. Der Titel wurde dem Werk aber erst dreißig Jahre nach seiner Entstehung gegeben. Er bezieht sich auf die Rezension in einer deutschen Zeitung mit der Überschrift "Träumerei und Turbulenz", und beschreibt damit die Interpretation durch den Geiger Kolja Lessing.
    Jaqueline Fontyn: "Reverie e Turbulence"
    Mirjam Wiesemann im Gespräch mit Jaqueline Fontyn
    Hören Sie abschließend nun noch einen Ausschnitt aus "Colinda", einem 1991 entstandenen Konzert für Violoncello und Kammerorchester.
    Gewidmet ist das Werk einem 1989 während der Revolution in Bukarest verstorbenen Freund, der am Weihnachtabend von einer Kugel tödlich getroffen wurde. Fontyn erinnert mit diesem Stück an dessen moralischen Mut und greift auf Bela Bartok und dessen rumänische Weihnachtsvolkslieder zurück. Inspiriert für eine eigene musikalische Entwicklungsstruktur fühlte sie sich durch den großen melodischen Reichtum und die rhythmische Struktur der Vorlage. Christoph-Mathias Mueller leitet das Göttinger Symphonieorchester, der Solist ist Jan-Filip Tupa, Violoncello.
    Jaqueline Fontyn: "Colinda"
    Diskografie:
    Jaqueline Fontyn: Konzert sowie Aufnahmen mit der Originalstimme von Jaqueline Fontyn
    Mirjam Wiesemann im Gespräch mit Jaqueline Fontyn (2010) sowie mit Kolja Lessing (2012)
    3 SACDs Künstler im Gespräch / CYBELE Records KIG 005
    LC 3738 EAN: 809548014421