Donnerstag, 25. April 2024

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Jaroslav Rudiš
Meisterstück über Rechtsradikalismus

Mit dem Roman "Nationalstraße" ist Jaroslav Rudiš ein provozierendes und gleichzeitig humorvolles Porträt eines typischen Verlierers der heutigen Zeit gelungen. Dabei analysiert der Autor, was hinter der rechtsradikalen Einstellung seines Protagonisten stecken mag - und das fern von jeder politischen Korrektheit und wohlmeinendem Verständnis.

Von Lerke von Saalfeld | 14.09.2016
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis (dpa / picture-alliance / Horazny Josef)
    "Alles ist sehr fieberhaft.Er liegt da im Wald und betrachtet sein Leben und halluziniert. Wir wissen auch nicht, was sich wirklich abgespielt hat. Sicher ist vielleicht nur, dass dieser Vandam auf der Nationalstraße, das ist die Straße in Prag, die viele kennen, am Nationaltheater, am Café Slavia, eine der bekanntesten Prager Straßen oder Alleen. Da hat sich im November 1989 eine friedliche Demonstration abgespielt, die dann von der Polizei brutal zusammengeschlagen wurde. Und das war Anfang der Wende der samtenen Revolution in der damaligen Tschechoslowakei. Und Vandam war mit dabei, und wie er sagt, hat er den ersten Schlag gegeben, hat diese Geschichte der Welt in Bewegung gesetzt."
    "Nationalstraße", der neue Roman von Jaroslav Rudiš, ist mal wieder ein übermütiger, komischer, frecher, ein melancholischer und brutaler Roman. Die Nationalstraße liegt zwar im Herzen von Prag, aber Rudiš siedelt seinen Roman am Rande der Stadt an:
    "Ich fand es immer spannend, diese andere Seite von Prag. Jeder kennt die Karlsbrücke, den Hradschin, die Kleine Seite, die schönen Kneipen in Prags Zentrum. Jeder mag es, das ist das Wahrzeichen von Prag, aber es gibt auch eine andere Stadt Prag. Da braucht man nur wenige Stationen mit der U-Bahn fahren und hupps, schwupps ist man schon da - das ist die Stadt, wo wirklich viele Prager wohnen, diese Plattenbausiedlungen um die Stadt herum im Norden. Ich komm ja vom Lande, aber trotzdem hat mich immer diese monströse Betonwelt fasziniert. Es war für mich spannend, daraus eine Insel zu machen, so eine kleine Betonburg und über die Leute zu schreiben, die diese Welt überhaupt nicht verlassen, die da arbeiten, eine Stammkneipe haben. Und für die ist dieses Prag auch so ein Ausflugsort genau so wie für die deutschen Touristen, die da einmal oder zweimal pro Jahr hinfahren."
    Eine heikle Gratwanderung
    Vandam ist der traurige Held dieser Betonburg im Plattenbau, seine Heimat ist die Kneipe Severka, wo er mit seinen Kumpels herumhängt, säuft, schwadroniert, provoziert, sich als rechter Ultra ausgibt mit nationalistischen Parolen. Er ist ein proletiger Anarcho, der keinerlei Autorität anerkennt. Einmal in seinem Leben hatte er einen großen Tag, im November 89 auf der Nationalstraße, als die Revolution durch ihn losbrach, sagt er jedenfalls; aber danach ging es nur noch bergab. Er war bei der Polizei, wegen einer Schlägerei wurde er entlassen, kam in den Knast und später in die Klappse. Gern grüßt er mit dem Hitlergruß und klärt die empörten Zuschauer auf, das sei der römische Gruß, er sei ein Patriot aus der Prager Nordstadt, der letzte Krieger, der letzte Römer, der letzte Tscheche. Den Spitznamen hat Vandam bekommen, weil er wie der Actionfilmstar Jean-Claude Van Damme zweihundert Liegestütze hintereinander auf die Matte bringt, weil er fighten kann, sich nichts gefallen lässt, wer ihm blöd kommt, bekommt eins auf die Fresse. Eine heikle Gratwanderung, die der Autor in diesem Roman einschlägt angesichts eines wachsenden Rechtsradikalismus. Aber Vandam ist nicht nur der dumpfe Schläger, er ist auch gebildet, kennt sich aus in der Weltgeschichte – von der Schlacht im Teutoburger Wald über den 30-jährigen Krieg bis in die Gegenwart. Jaroslav Rudiš kann zwar wundervolle Geschichten und Figuren zusammenspinnen, aber für diese Figur Vandam gibt es ein reales Vorbild:
    "Ich hatte mal wirklich einen Abend mit einem Typen verbracht, der mir über seine Schlägereien und Schlachten, die er gewonnen und die er verloren hat, erzählt hat, und über seine Liegestützen und der hat mir so ein paar Tipps gegeben, wie man in einer Schlägerei überhaupt überlebt. Das war so eine Seite, aber die zweite Seite war eine unglaublich interessante poetische Sprache, über die er verfügt hat. Ich war auch fasziniert, wie viel er weiß, wie viel er gelesen hat, ein belesener Schläger – das ist der Vandam in der Tat auch. Der weiß nicht nur wie das Leben läuft, sondern ist auch richtig belesen was die Geschichte von Mitteleuropa angeht. Er gibt ja dauernd Vorschläge, wie man nicht nur in einer Schlacht überlebt, er zitiert und bezieht sich immer wieder auf die Weltgeschichte. Das ist immer für mich wichtig, dass die Geschichten heute spielen - in der Gegenwart, aber immer wieder spielt und schwimmt diese Geschichte von Mitteleuropa mit, die uns immer noch in der Hand hält, und das weiß auch der Vandam, dass das so ist."
    Mit der Wiederholung webt Rudiš den Text immer dichter
    Jaroslav Rudiš schont seine Leser nicht, er mutet ihnen Einiges zu. Gleich der erste Satz lautet: "Adolf Hitler hat mir das Leben gerettet." Vandam liegt in der dumpfen Stille des Waldes, noch weiß der Leser nicht, dass er schwer verletzt ist, er könnte genauso gut nur schwer besoffen sein. Dass er im Sterben liegt, scheint ganz unwahrscheinlich. Vandam hebt zu einem großen Monolog an, gerichtet an seinen Sohn. Ob es den allerdings gibt, bleibt offen, wie so Vieles in diesem Roman. Vandam fordert den fiktiven Sohn auf, sich hinzusetzen, zu trinken, und seinem Lebensbericht zu lauschen. Und dann geht es gleich mit einer großen Suada los. Der Sohn soll etwas für‘s Leben lernen, nur auf sich selbst vertrauen, auf den Bauch, nicht auf den Kopf; er warnt ihn vor all den Leuten, die andere in jeder Lebenssituation voll labern. Er erzählt ihm verschiedene sentimentale und gewalttätige Geschichten über Weihnachten, und er erzählt von seinen siegreichen Schlägereien.
    Als Leser könnte man auch denken, der kecke Autor labert auch ganz schön ausufernd daher. Aber Rudiš arbeitet mit der Kunstfigur der Wiederholung, fast wie eine Litanei bringt er den Text in monotone Schwingung und wird bewusst unerträglich, er will auf die Nerven gehen und zugleich den Text immer dichter verweben:
    "Ich wollte, dass sich ein gewisser Sog entwickelt und dass es musikalisch wirkt. Ich betrachte auch diese Wiederholungen als eine Art Refrain in einem Song. Ich mag ja Musik und mache Musik und versuche immer wieder auch Musik mit Literatur zu verbinden. Zum Beispiel mit der Kafka-Band. Wir haben Kafkas Schloss musikalisch umgesetzt und daraus ist in Bremen ein Theaterstück geworden. Vieles passiert auch unterschwellig, eigentlich wollte ich nur eine Geschichte über einen Vorstadtschläger schreiben, der durchaus auch sympathisch sein kann und über eine sehr kaputte Liebe zwischen ihm und einer Barfrau, die ich als Figur sehr mag, eine richtig scharfe Frau, die auch einiges hinter sich hat. Es gibt so ein Kapitel in dem Buch "Narben", alle diese Leute, die in der Severka hocken, haben Narben, sind irgendwie vom Leben gezeichnet, sind keine Gewinner dieser Zeit, sondern die Verlierer."
    Der Schriftsteller Rudiš ist ein Multitalent, das Theater ist für ihn eine wichtige Bühne, seine Geschichten umzusetzen; die Musik ist ein wichtiges Element der Belebung seiner Texte.
    Ein Roman in drei Akten
    Der Roman "Nationalstraße" ist in drei Akten komponiert. Im ersten Teil erzählt Vandam von seinen brutalen Heldentaten als Kneipenschläger, von seinem Vater, der sich aus dem 9.Stock der Betonburg in der Nordstadt von Prag in den Tod stürzt, von einer Familie, die nichts mehr zusammenhält. Das sind die Kapitel I bis IX. Dann folgt in der Mitte des Romans das Schlüsselkapitel, überschrieben "Narben". Vandam und die Barfrau Sylva kommen sich näher, haben heftigen Sex miteinander, begegnen sich beide ganz nackt, geben sich schutzlos einander hin und kommen doch nicht zueinander. In diesem Kapitel ist der Monolog unterbrochen, ein auktorialer Erzähler schreitet ein und beschreibt den verzweifelten Liebesakt der beiden, beide sind gezeichnet, beide tragen Narben. Blöde Sprüche gibt es nicht mehr, zwei Verzweifelte suchen im heftigen Dialog aneinander Halt, den sie nicht finden. Sie prügeln sich. Im dritten Akt, da will Vandam den großen Rächer spielen, Sylva wird von einem Schuldeneintreiber bedrängt, Vandam schreitet ein als Verteidiger der Gerechtigkeit und endet kläglich – sein Gegner ist ein professioneller Schläger und besser als Vandam, der unterliegt.
    "Das ist kein leichtes Buch für mich. Ich freue mich über jeden Leser, der es schafft, über die ersten 20 Seiten zu kommen. Ich weiß, vielen geht es nicht gut mit Vandam, die hassen ihn, weil mit seinen Nazi-Parolen, Heldentum, Liegestützen, Machismus, ist er nicht besonders sympathisch. Aber ich hab mich wirklich bemüht, in ihm eine Art Menschen zu finden, von dem man am Ende des Buches auch berührt ist, weil man auch kapiert, das ist eine Fassade, eine blöde Maske, die er immer aufsetzt, und drin ist das ein empfindlicher Mensch, der von der Geschichte geschlagen ist, von dem, was sich in seiner Familie abgespielt hat, von dem, was er selber gemacht hat, und es war mir wichtig, dass diese Figur bisschen Farbe hat und nicht so eindimensional ist."
    Eine Geschichte voller Humor - mal bitter mal befreiend
    Gewürzt ist die Geschichte Vandams mit dem typisch tschechischen Humor, man kann bitter oder befreit auflachen, aber man soll lachen, weil Lachen eine Taktik des Überlebens ist. Geschult an Jaroslav Hašek und Bohumil Hrabal verwandelt der Schriftsteller Rudiš auch die düsteren und schlimmen Zeiten in komisch-skurrile Abenteuer. Das Ende von Vandam ist traurig, er liegt nach verlorenem Kampf im Wald, wie schon gesagt, in der dumpfen Stille, er scheint zu sterben und im Waldboden zu versinken. Jaroslav Rudiš ist ein provozierendes Meisterstück über Rechtsradikalismus, und was dahinter stecken mag, gelungen. Fern von jeder Politischen Correctness, fern von wohlmeinendem Verständnis:
    "Das ist ein sehr fieberhaftes Buch und ein verrücktes Buch. Ganz anders als die Bücher, die ich bis jetzt geschrieben habe, immer wieder hat die Geschichte da mitgespielt, da waren auch so viele geisterhafte Szenen, tauchen da auf bei Alois Nebel in der Graphic Novel oder in dem allerersten Buch von mir, "Der Himmel unter Berlin". Für mich war das der Versuch, etwas Anderes zu schreiben - die anderen Romane von mir sind viel realistischer, und hier ist das eine Art Trip, ja ein Fieber mit sehr viel Musik."

    Jaroslav Rudiš: "Nationalstraße"
    Aus dem Tschechischen von Eva Profousova,
    Luchterhand Verlag, 159 Seiten, 14,99 Euro.