Freitag, 29. März 2024

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Schauspiel Düsseldorf
"Wir sind keine Barbaren"

Von Dorothea Marcus | 20.03.2016
    Wie unsicher man doch steht. Und wie tief man einsinken kann in der weichen Sofafläche, die den Wohlstand der beiden Mittelschichtsgroßstadtpärchen grundiert. Bühnenbildnerin Kathrin Kersten hat die Bühne des Düsseldorfer Central in eine Polsterlandschaft verwandelt. Ein schönes Bild für das gegenwärtige Europa: Weich und auf wackeligem Grund gebettet ist der eigene Luxus. Man trifft sich schön schwankend bei Prosecco, kocht vegan, macht Yoga und schenkt sich immer größer werdende Flachbildschirme, um die Sinnkrise zu betäuben.
    "Wir sind stolz auf uns. Auf alles, was wir produzieren. Auf die Technik, die wir produzieren. Auf die Technik, die wir produzieren. Das Essen, das wir produzieren. Auf die Kultur, wie wir produzieren. Auf den Müll, den wir produzieren. Deshalb sortieren wir ihn, nach Vorschrift. Wir lieben Kontrolle. Wir lieben Contenance."
    Ein mahnender Heimatchor ergänzt Philipp Löhles heiteres Pärchen-Boulevardtheater. In Pastellfarben gekleidet, repräsentiert er ironisierend die sogenannte Mitte der Gesellschaft.
    Die beiden Pärchen, die hier als neue Nachbarn aufeinandertreffen, sind klischeehaft und dennoch ätzend treffend gezeichnet als biedermeierlich durchschnittliche Luxuseuropäer: Eine vegane Köchin, die heimlich Torte in sich hineinstopft. Ein Ingenieur, der Geräusche für Elektroautos designt. Eine Fitnesstrainerin, die nur kohlegefiltertes Wasser trinkt. Ein permanent schlechte Witze reißender Prolet. Und dann wird die Gemütlichkeit auf eine schwere Probe gestellt.
    Ein Mensch sucht Asyl. Er taucht nie auf, man kann sich nicht einigen, ob er schwarz, braun oder schlitzäugig ist, aus welchem Land er kommt, in welcher Not er steckt. Vegan-Köchin Barbara kümmert sich mit zunehmend sexuellem Interesse um ihn. Und schon tauchen hintergründig alle Fragen auf, mit denen Deutschland seit September 2015 zunehmend überreizt ringt. Was tun mit Asylsuchenden? Fordern, fördern, abschieben, helfen?
    - "Was macht er denn so? Macht er tagsüber gar nichts? Mario hat vorgeschlagen, er kann putzen und aufräumen, der Flüchtling."
    - "Herzlich willkommen im Neokolonialismus. Er kriegt Dinge, die wir sowieso im Überfluss haben."
    - "Sag mal was redet ihr denn da eigentlich? Der arme Mensch hat eine Reise hinter sich. Ihr wollt ihn für uns schuften lassen."
    Schön schreien die vier Wohlstandsbürgern alle Argumente heraus, die sich im Deutschland der letzten Monate in erschreckender Unverblümtheit entladen haben: verklemmte Willkommensversuche, Gutmenscheneifrigkeit, exotische Erotikfantasien, westliche Arroganz des Mitleids, Selbstgeißelung und Eigenschuldzuweisung am Elend der Welt. Und natürlich schlichte Angst: Der Nachbar baut direkt einen Panic Room im Schlafzimmer.
    Und dann wird Barbara unter dem Flachbildschirm erschlagen aufgefunden, und natürlich der Fremde sofort des Mordes verdächtigt. Schön, wie sich die drei Verbliebenden in rassistische Schuldzuweisungen verstricken, bis es dann eben doch der – vielleicht mit dem Fremden betrogene - Ehemann gewesen ist. Oder ist das auch nur eine rassistische Fantasie?
    Das Stück "Wir sind keine Barbaren" spielt mit der vermeintlichen Zivilisiertheit des Mitteleuropäers. Und damit, wie schnell sie sich in Luft auflöst. Zunehmend hören sich die Verse des Heimatchors an wie AfD-Parteiparolen. Das Stück bringt auch zwei Jahre nach Uraufführung die überreizten Diskurse der letzten Monate auf den Punkt.
    Und dennoch macht es sich die allzu glatte und gut gespielte Inszenierung von Mona Kraushaar zu einfach. Denn um echte Antworten ringt sie nie. Und da zeigen sich eben doch die Grenzen von Philipp Löhles Stück: Denn die Lage stellt sich nun einmal anders dar, wenn aus einem einzelnen Flüchtling eine Million Menschen wird, wenn reale Verbrechen geschehen, wenn Werte und Kulturen kollidieren.
    Letztlich hilft da eine erneute Betrachtung der eigenen, eurozentristischen Hilflosigkeit nicht viel weiter und ist schon viel zu oft durchgekaut worden. Viel interessanter in der derzeitigen Lage wären Visionen und Lösungsansätze für ein Land, das immer noch den Moralapostel spielt, aber dennoch unverfroren von inhumanen Grenzschließungen der Balkanländer profitiert.