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Jean-Baptiste le Rond d'Alembert
Philosoph, Mathematiker, Herausgeber

Was heute mit Wikipedia im Netz ganz selbstverständlich ist - nämlich eine Enzyklopädie mit Querverweisen, die allen zugänglich ist - war vor knapp 300 Jahren ein revolutionäres Unterfangen. Einer der Herausgeber der großen französischen Enzyklopädie war Jean-Baptiste le Rond d'Alembert. Am 16. November 1717 wurde er geboren.

Von Maike Albath | 16.11.2017
    Historisches Stadtbild aus dem 18. Jahrhundert von Paris, Frankreich
    Jean-Baptiste le Rond d'Alembert wurde im Paris des 18. Jahrhunderts geboren (imago/imagebroker)
    Paris, im Winter 1751. Der erste Band einer groß angelegten Enzyklopädie soll erscheinen, herausgegeben von dem Mathematiker Jean-Baptiste le Rond d'Alembert und dem Philosophen Denis Diderot. D'Alembert, mit einer Abhandlung über Probleme der Mechanik in ganz Europa bekannt geworden, schreibt eine programmatische Vorrede. Er klagt die rationale Grundlage des Denkens ein, den esprit systematique.
    "Der erste Schritt, den wir in diesem Versuche zu unternehmen haben, besteht in der Untersuchung des Ursprungs und des Werdens unserer Erkenntnisse, der Ursachen, denen sie ihr Dasein verdanken, sowie der Eigentümlichkeiten, durch die sie sich unterscheiden."
    Ein bahnbrechender Gedanke, der bedeutete, Gewissheiten zu überprüfen und alte Hierarchisierungen zu überwinden. Die Enzyklopädie strebte eine alphabethisch geordnete Darstellung des theoretischen und praktischen Wissens aus allen Lebensbereichen an.
    Er verlagerte seine Interessen bald auf die Mathematik
    Das ambitionierte Unterfangen passte zu d’Alemberts durchsetzungsstarkem Charakter. Er war am 16. November 1717 in Paris als uneheliches Kind eines Generals und einer Marquise geboren und von seiner Mutter auf den Stufen der Kirche St-Jean-le-Rond ausgesetzt worden. Aus dem Fundort leitete sich sein Name ab; den Zusatz "d'Alembert" ergänzte er später selbst. Von seinem leiblichen Vater protegiert, wuchs er im Haushalt eines Glasermeisters auf, studierte zuerst Jura, später Medizin und verlagerte seine Interessen bald auf die Mathematik. Seiner Pflegemutter gefiel das überhaupt nicht.
    "Du wirst nie etwas anderes als ein Philosoph sein, und was ist ein Philosoph? Ein Irrer, der sich sein Leben lang quält, damit die Menschen über ihn reden, wenn er tot ist."
    Auf dem Gebiet der Mechanik gelangen d'Alembert tatsächlich mehrere Entdeckungen, die nach ihm benannt wurden. Mit seinen Kollegen pflegte er erbitterten Streit um die akademische Vorherrschaft. In den 1750er-Jahren war der Mathematiker mit der Enzyklopädie befasst, die sich glänzend verkaufte und zu einem Schlüsselwerk der Aufklärung wurde. D'Alembert, mittlerweile Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften und ein Pensionär Friedrich II., verfasste etwa 1.780 Artikel, meist zu naturwissenschaftlichen Fragen. Aber auch die Einträge zu der Stadt Genf und zum dictionnaire, dem Wörterbuch, stammten von ihm. Immer wieder betonte er die Notwendigkeit einer neuen Ordnung von Wissensgebieten:
    "Wenn man irgendjemandem die Vorstellung von einer einigermaßen komplizierten Maschine vermitteln wollte, so würde man zuerst diese Maschine auseinandernehmen, um alle ihre Teile einzeln und getrennt zu zeigen und dann die Beziehung jedes dieser Teile zu den nächstliegenden zu erklären."
    Nach dem Rücktritt als Herausgeber begann eine glückliche Zeit
    Es war der Artikel über die Stadt Genf, bei dem Voltaires seine Finger im Spiel hatte, der dann das gesamte Unternehmen gefährdete. Allzu freimütig hatte sich d'Alembert über die Gesetze und die religiösen Gepflogenheiten des protestantischen Stadtstaates geäußert und sowohl den Zorn der Genfer als auch das Misstrauen der Franzosen geweckt. Diderot mahnte zum Einlenken. Frankreich führte Krieg, ein Anschlag auf König Ludwig XV. hatte für Unruhe gesorgt, und die Enzyklopädisten durften nicht den Anschein erwecken, gegen den Staat oder die Kirche zu agieren. 1759 trat d'Alembert als Herausgeber zurück.
    Für den Mathematiker begann eine glückliche Zeit. Mit Julie Lespinasse gründete er erstmals einen eigenen Hausstand und unterstützte die junge Frau, mit der er eine platonische Beziehung pflegte, bei ihrem Salon, als dessen Hauptattraktion er selbst galt. 1763 reiste d'Alembert für drei Monate an den Hof Friedrich II. Der König umwarb ihn:
    "Es tut mir leid, den Augenblick Ihrer Abreise nahen zu sehen. Nie werde ich das Glück vergessen, einen wahren Philosophen gesehen zu haben. Ich war glücklicher als Diogenes, denn ich fand den Mann, den er so lange gesucht hat. Aber er geht fort! Trotzdem werde ich ihm den Platz als Akademiepräsidenten offenhalten, da er nur von ihm ausgefüllt werden kann."
    D'Alembert blieb standhaft. 1777 schlug er dem preußischen König eine Preisfrage für die Akademie vor: "Kann es von Nutzen sein, das Volk zu hintergehen?" Mit 43 Einsendungen wurde es die erfolgreichste Ausschreibung überhaupt. 1783 starb Jean Le Rond d'Alembert, sechs Jahre vor der Französischen Revolution, die er auf geistesgeschichtlicher Ebene vorweg genommen hatte.