Morondava auf Madagaskar

Ein Naturparadies und sein Untergang

23:15 Minuten
Grüne "Allée des Baobabs", in der Nähe von Morondava
Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Madagaskars: Die "Allée des Baobabs" in der Nähe von Morondava. © Getty Images / DeAgostini
Von Sira Thierij · 10.03.2020
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Traumhafte Strände und ein einzigartiges Naturerlebnis. So war das früher mal in Morondava. Nun geht der Ort leise unter. Sieben Kilometer Küste hat das Meer schon verschluckt. Der Grund scheint klar: Klimawandel. Doch ganz so einfach ist es nicht.
"Das was man da hinten sieht", sagt Chayoune Badouraly, "sind die Reste vom Coco Beach Hotel. Vorher ging es noch etwas weiter, gute zehn Meter. Und das hier waren mal die Zimmer. Es gab noch vier weitere auf dieser Seite. Da hinten, da war mal ein großes Gebäude, mit einem Restaurant. Wir haben auch fünf Bungalows verloren. Die standen dort. Auch ein Teil des großen Hotelgebäudes ist komplett im Wasser verschwunden. Das hier ist alles, was noch übrig bleibt."
Chayoune Badouraly balanciert zügig über die Trümmer seines Hotels - vorbei an Steinbrocken, riesigen Metallstangen, offengelegten Rohren und umgekippten Mauern. Immer wieder zeigt der junge Madagasse auf neue Stellen im Schutt. Sein Restaurant, weg. Die Rezeption, ebenfalls im Meer versunken. Die komplette linke Hälfte des Gebäudes, nicht mehr da.
Chayoune Badouraly balanciert über die Trümmer seines Hotels
Chayoune Badouraly balanciert über die Trümmer seines Hotels.© Sira Thierij
Eine Katastrophe für den Hotelbesitzer: "Es ist einfach so verschwunden, weil der Meeresspiegel hoch war. Es gab keinen Zyklon, nicht einmal einen Sturm oder so. Nur einen hohen Meeresspiegel mit ein bisschen Wind. Als es geschehen ist, wollte ich weinen. Ich wollte einfach nur noch weinen. Wir haben wirklich alles in den Bau dieses Hotels gesteckt. Früher gab es noch mindestens 500 Meter Strand. Ja, wenn du siehst, dass deine ganze harte Arbeit innerhalb von zwei Tagen untergeht, tut das im Herzen weh."

Überall entlang der Küste stehen kaputte Hotels

Chayoune ist Anfang 30, trägt ein enges, weißes T-Shirt, Drei-Tage-Bart und eine Sonnenbrille auf seinem kurzen, schwarzen Haar. Das Hotel ist sein wichtigstes Einkommen. Früher kamen viele Touristen hierher, heute verirren sich nur noch wenige ins Coco Beach. Die letzten Bewertungen im Internet: vernichtend. Überschwemmung im Zimmer, kein fließendes Wasser, Urlaubsfeeling Fehlanzeige.
"Ich habe Angst davor, dass das Meer alles zerstört. Wenn wir das Hotel verlieren, verlieren wir quasi alles. Das ist schlimm, weil es auch einen großen emotionalen Wert für uns hat. Wir sind hier aufgewachsen. Wir haben hier viel Zeit verbracht. Zu sehen, wie es langsam zu Grunde geht, das tut wirklich weh."
So wie Chayoune geht es vielen Menschen in Morondava. Überall entlang der Küste stehen kaputte Hotels. Fast so als wäre man in einer Geisterstadt. Früher gab es hier atemberaubende Strände, erzählen die Leute. Urlauber, die sich in der heißen Sonne gebräunt haben und viele Restaurants direkt am Meer. Doch jetzt kommen die Touristen bloß noch für wenige Nächte – als Startpunkt für Ausflugsziele im Umland. In die Sonne legt sich hier keiner mehr.
"Wir können einfach nicht vorhersehen, was das Meer als nächstes macht", erklärt Chayoune. "Es kommt immer in Zyklen. Manchmal bleibt viel Sand an der Küste und dann fangen die Leute hier an zu bauen. Sie bauen dann vielleicht ein bisschen zu nah am Meer. Aber in den letzten fünf bis zehn Jahren ist alles gut gegangen. Doch jetzt… Es ist ein riesiges Problem für die Wirtschaft. Die Leute hier verlieren ihre Arbeit."
Und die Stadt ihren Charme. Zwei große Straßen hat das Meer schon verschluckt. Außerdem das Zuhause vieler Bewohner, imposante Gebäude aus der französischen Kolonialzeit, ein Geburtshaus. Vom Leuchtturm ragt bloß noch die Spitze aus dem Wasser. Was hier passiert, ist nicht neu. Schon seit den 1940er Jahren frisst sich das Meer immer weiter ins Landesinnere. Ganze sieben Kilometer sind dadurch schon verschwunden. Manchmal wüten auch Zyklone an der Küste – dann steht die gesamte Stadt unter Wasser.

Das Meer war früher zweieinhalb Kilometer weiter weg

Einer, der das Phänomen seit vielen Jahrzehnten beobachtet, ist Ernest Rambeloson. Der 63-Jährige ist der Älteste in seinem Dorf.
"Als ich noch ein Kind war, habe ich dort hinten gewohnt", erzählt er. "Das Meer war zweieinhalb Kilometer weiter weg als jetzt."
Nahaufnahme von Ernest Rambeloson 
Der 63-jährige Ernest Rambeloson erzählt von früher.© Sira Thierij
Ernest ist dünn und klein, wie fast alle hier. Aus seinen Armen stechen kräftige Adern hervor, sein graues Hemd flattert wild um den schmalen Körper. Er trägt eine ausgeblichene gelbe Kappe, die Nähte sind gerissen. Er und die anderen Dorfbewohner leben direkt am Strand. In einfachsten Holzhütten, ohne Wasser, Strom und ohne Toiletten. Wer hierher kommt, achtet genau auf jeden Schritt.
Einige Frauen tragen bunte Bottiche auf ihrem Kopf den Strand entlang. Unten am Wasser spielen Kinder mit Reifen und einem Stock. Daneben laden die Männer kleine Fische von ihren Pirogen, den auf der Insel typischen kleinen Einbaumbooten. Konzentriert sortieren sie die Netze, um morgen direkt wieder aufs Meer zu fahren. Sie alle hier gehören zur ethnischen Gruppe der Vezos.
Sie identifizieren sich mit dem Fischfang und ihrem Leben am Meer - nicht etwa über ihre Gene oder die Hautfarbe. Die Vezos besiedeln die gesamte Westküste der Insel. Ihre Heimat am Meer zu verlassen, wie schon zu Kolonialzeiten von den Franzosen vorgeschlagen, ist für sie daher keine Option.
"Wenn der Meeresspiegel hoch ist, verschwinden die Leute. Doch sobald sich das Meer zurückzieht, kommen wir wieder. Wir leben vom Meer, vom Fischen. Das Meer ist unser Reichtum. Wir bleiben für immer hier in unserem Dorf", sagt Ernest.
Denn auf Unterstützung vom Staat können die Menschen nicht hoffen. Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt. Drei Viertel der Bevölkerung lebt von weniger als 1,70 Euro pro Tag. Die politische Lage ist instabil, die vielen Hilfsgelder kommen nicht bei den Bewohnern an. So bleibt auch den Vezos nichts anderes übrig, als ihre Dörfer immer wieder am Strand aufzubauen. Denn andere Arbeit gibt es nicht.

Ein junger Franzose will Morondava retten

Doch warum verliert die Stadt so große Teile ihrer Küste ans Meer? Mit dieser Frage beschäftigt sich Théo Grondin. Gerade erst hat der junge Franzose seinen Masterabschluss in Stadtgeografie absolviert. Jetzt leitet er ein Projekt, das Morondava vor dem Untergang retten soll.
"Wir erleben hier gerade ein Phänomen, das es so noch nicht gegeben hat", sagt er. "Aber es ist nicht komplett neu. Doch heute, durch das Einwirken der Menschen und wegen des Klimawandels geht alles noch viel schneller voran als vorher. Es ist deshalb unfassbar wichtig, dass wir jetzt etwas tun. Die Bevölkerung ist gefährdet, die Infrastruktur entlang der Küste kaputt. Wenn in den nächsten Jahren nichts passiert, wird ein ganzer Teil der Küste komplett verschwinden."
Théos Büro ist klein, nur ein Schreibtisch steht darin. Auf ihm stapeln sich Berge von Zetteln und Notizbüchern. An den Wänden hängen Karten, die die Auswirkung der Erosion verdeutlichen. Die vielen rot markierten Flächen könnten bald im Meer versinken. Konkrete Projekte gibt es aber noch nicht - erst einmal muss das Team die Ursache herausfinden.
Mit dem Tuk Tuk fährt Théo heute ins Landesinnere. Er ist mit Safara verabredet, einem Mann, der die Stadt Morondava jahrelang in Umweltfragen beraten hat.
Am Ende der Straße angekommen, wandern sie mehrere Kilometer durch den dicht bewachsenen Busch. Ausgerechnet hier, weit weg von der Küste und dem Meer soll die Ursache verborgen sein. An einer Klippe halten sie an.

Spurensuche im Landesinneren

"Der Fluss hier sollte eigentlich jede Menge Sand an die Küste bringen", erklärt Théo Grondin. "Aber das wird unterbrochen. Wir haben ein menschengemachtes Problem, aber auch ein klimatisches Phänomen: Es ist sehr trocken und es regnet viel weniger. Dadurch gibt es also kaum noch eine Strömung, die den Sand transportieren kann."
Théo Grondin im Gespräch mit Safara am Fluss
Théo Grondin (r.) unterhält sich mit Safara über die Auswirkungen der Trockenheit.© Sira Thierij
Der Fluss ist fast vollkommen ausgetrocknet. Früher gab es hier Krokodile, heute bewegt sich kaum mehr etwas - nur einige Dorfbewohner. Sie waschen ihre Kleidung im stehenden Wasser, andere waten problemlos von einer Flussseite zur anderen.
Safara erklärt, welche Auswirkungen die Trockenheit für die Menschen hier hat: "Der Klimawandel hat hier alles verändert. Früher haben wir alles um den Fluss herum bewirtschaftet. Aber jetzt gibt es keinen Regen mehr. Das was Sie hier sehen, die ganzen Leute, die müssen nach Morondava fahren, um Reis zu kaufen. Man kann hier nichts mehr anpflanzen. Hier, nicht einmal die Kartoffeln sind gewachsen und auch die Erbsen nicht. Dabei ist das hier die wichtigste Region, um Erbsen anzubauen."
Hinter ihm hocken mehrere Bauern über kleinen Pflanzen am Boden. Trotz der Trockenheit versuchen sie verzweifelt, Kartoffeln anzubauen. Sie alle stimmen Safara zu – früher, da gab es Regen. Heute fast nie.
Fast überall auf der Insel leben die Menschen von der Landwirtschaft. Besonders schlimm ist die Situation im Süden: Hier hat das Klimaphänomen El Niño vor fünf Jahren eine tödliche Dürre ausgelöst, die Produktion von Nahrungsmitteln ist um etwa 60 Prozent zurückgegangen. Insgesamt sind in Madagaskar mehr als 2,6 Millionen Menschen davon betroffen. Jeder vierte Bewohner ist unmittelbar auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, über 20.000 Kinder sind akut unterernährt.
Ein weiterer Grund für die Trockenheit: Rodung und Waldbrände. Das zumindest vermutet Safara: "Bevor die Leute angefangen haben, alles abzuholzen, gab es viel Regen. Aber seit so viel gerodet wird, gibt es keinen mehr."

Brandstiftern auf der Fährte

Mit dem Auto geht es weiter ins Landesinnere. Vorbei an der Allée des Baobabs – einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Madagaskar. Die Bäume sehen aus wie Flaschen, unten breit, oben ganz schmal. Auch sie sind vom Klimawandel bedroht.
Marivelo Antoine arbeitet ganz in der Nähe. Seit acht Jahren wandert er täglich viele Kilometer durch den trockenen Wald. Sein Job: Brandstiftern auflauern.
"Wenn ich es schaffe, das Feuer zu erreichen, während es noch klein ist, dann können wir es löschen", sagt er. "Aber wenn es zu groß ist, können wir nichts mehr machen. Die Feuer sind erst klein. Doch dann verbreiten sie sich auf einer riesigen Fläche. Es ist sehr gefährlich für uns."
Behutsam läuft Marivelo über den trockenen Boden. Vor drei Wochen haben hier etwa zwei Hektar Wald gebrannt. Übrig bleiben schwarze Baumstummel, über die gesamte Erde hat sich ein grauer Schleier aus Asche gelegt. Jedes Mal, wenn sein Fuß den Boden berührt, knackt es. Doch sonst ist es still - nichts scheint das Feuer überlebt zu haben.
"Wir benutzen ein Tablet mit einer Kamera und GPS", erklärt Marivelo Antoine. "Damit können wir wichtige Informationen weiterleiten. Wir wissen zum Beispiel, wo genau es gebrannt hat und wie groß die Fläche ist. Das ist wichtig, denn hier kann nichts mehr angepflanzt werden. Aber das ist den Leuten egal."
Als die Ernte 2016 im Süden ausgefallen ist, seien immer mehr Leute hierher kommen, erzählt Marivelo. Sie brennen die Wälder ab, um Mais anzubauen und bewirtschaften den Boden dann so lange, bis er unfruchtbar ist. Meist dauert das zwei bis drei Jahre. Dann ziehen sie weiter, um das Gleiche woanders zu wiederholen. Was genau das für Leute sind, wisse er nicht. Er habe sie noch nie gesehen.
Marivelo inmitten einer dürren, ausgetrockneten Landschaft
Marivelo Antoine wandert täglich durch den trockenen Wald, um Brandstiftern aufzulauern.© Sira Thierij
Seit letztem Jahr geht die madagassische Regierung gegen die Bauern vor. Einige wurden festgenommen und Maisfelder zerstört. Trotzdem: An die wirklich großen Fische, von denen auch internationale Unternehmen Mais kaufen, kommt die Regierung nicht ran. Zu viele Akteure sind in das Geschäft involviert.

Küstenabschnitte auf der ganzen Welt betroffen

Marivelo beugt sich runter zum Boden und hebt ein weißes Schneckenhaus auf. Es ist fast so groß wie eine Kokosnuss. "Hier leben viele verschiedene Tiere", sagt er. "Die Wälder sind so wichtig für sie und für uns und die zukünftigen Generationen. Wir brauchen den Wald."
Das Schneckenhaus ist leer. Es fliegen keine Schmetterlinge, nichts blüht. Dabei ist die Insel bekannt für ihre atemberaubende Natur. Über 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten sind endemisch. Es gibt sie also nur in Madagaskar. Nicht einmal alle anderen afrikanischen Länder zusammen beherbergen so viele einzigartige Pflanzen und Tiere. Durch die Feuer und den Einfluss des Klimawandels sind sie besonders vom Aussterben bedroht.
Doch die Bäume sind nicht nur wichtig für Mensch und Tier, sondern auch für den Küstenschutz. In Morondava pflanzen heute Soldaten, Fischer und Kinder gemeinsam hunderte Mangroven. Denn auch diese werden massiv abgeholzt - zum Beispiel um Holzkohle daraus herzustellen.
"Die Mangroven sind sehr wichtig. Sie schützen die Küste vor starkem Wind oder Tsunamis. Außerdem speichern Mangroven mehr CO2 als alle anderen Bäume hier", erzählt einer der Organisatoren von der regionalen Verwaltung.
Solche Aktionen seien wichtig, betonen auch die Umweltorganisationen vor Ort. Doch allein damit lässt sich die Stadt nicht retten. Auch Théo, der junge Franzose, hat keine perfekte Lösung.
"Mit unserem Projekt versuchen wir Wege zu finden, um irgendwie mit dem Problem fertig zu werden, um uns besser daran anzupassen", sagt er. "Aber mit den Mitteln, die wir zu Verfügung haben, ist es schwierig etwas umzusetzen. Es gibt keine perfekte Lösung. Wir haben keinen Zauberstab, der das Problem einfach in Luft auflöst. Das betrifft nicht nur uns, das betrifft Küstenabschnitte auf der gesamten Welt."

Steigender Meeresspiegel mit katastrophalen Folgen

Und während andere Länder Dämme bauen und ganze Städte umsiedeln, fehlt es hier an allem. Der Weltklimarat IPCC warnt, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um über zwei Meter steigen könnte. Für die Menschen in Morondava eine Katastrophe.
Chayoune, der junge Hotelbesitzer, glaubt nicht daran, dass sein Unternehmen noch gerettet werden kann.
"Ich habe aufgehört, zu investieren. Ich muss einfach abwarten, was passiert. Aber ich glaube nicht, dass das Gebäude noch lange stehen bleibt. Wenn am Ende des Jahres die große Flut kommt, könnte es verloren sein", erzählte er noch vor wenigen Monaten - mittlerweile hat er sein Hotel aufgegeben.
Trotzdem hat Chayoune Glück im Unglück: Seine Familie betreibt eine Saline am Rande von Morondava - das Einkommen ist gesichert. Doch viele Menschen hier verlieren nicht nur ihre Existenz, sondern auch ihr Zuhause, ihren Lebensmut und viele Erinnerungen.
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