Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Jede Entlastung Athens bedeutet Belastung "des deutschen Steuerzahlers"

Die Freigabe von 44 Milliarden Euro für Griechenland sei nur eine weitere "Zwischenlösung", sagt Gerhard Schick. Ein Schuldenschnitt für Athen sei damit nicht vom Tisch. Die Bundesregierung müsse endlich die Zahlen über die Kosten für die deutschen Steuerzahler auf den Tisch legen, so der finanzpolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Gerhard Schick im Gespräch mit Gerd Breker | 27.11.2012
    Gerd Breker: In der Nacht haben sich Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Euro-Kollegen, wie wir gehört haben, in relativ kurzer Beratungszeit im Grundsatz auf die Freigabe von 44 Milliarden Euro an aufgelaufenen Notkrediten für Griechenland geeinigt. Auch der Internationale Währungsfonds bleibt mit im Boot. Die klaffende Finanzierungslücke wird mit Zinssenkung, mit Kreditstundung und mit Gewinnen aus dem Anleihekauf der EZB gestopft. Zudem soll Athen für zehn Milliarden Euro unter Wert gehandelte Papiere von Privatinvestoren aufkaufen und so seinen Schuldenberg deutlich abbauen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gerhard Schick, er ist der finanzpolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Tag, Herr Schick.

    Gerhard Schick: Guten Tag!

    Breker: Der IWF wurde im Boot gehalten, 44 Milliarden Euro für Griechenland können nun fließen. Ist dieser Kompromiss aus Ihrer Sicht eine überzeugende langfristige Lösung, oder eine halbherzige Flickschusterei?

    Schick: Ich sehe ihn bei der Flickschusterei, denn aus den Zahlen ist für mich noch nicht ersichtlich, wie man eigentlich dieses angestrebte Schuldenniveau von 110 Prozent bis 2022 erreichen soll. Das ist nicht unterlegt mit Maßnahmen, und das ist ja auch gerade in Ihrem Beitrag schon deutlich geworden: man spricht dann von weiteren Maßnahmen. Also offenbar ist ein Schuldenschnitt ja als realistische Perspektive inzwischen akzeptiert worden. Dann sollte man allerdings das auch klar einplanen und sagen und sich dann auch darauf einstellen.

    Breker: Schon mit der jetzigen Lösung bezahlt der deutsche Steuerzahler für diese Hilfen, allerdings nicht aus vorhandenem Geld, was da liegt, sondern aus erwartetem Geld, was in Form von Gewinnen und Zinsabschlägen für die Deutschen zu Stande käme.

    Schick: Na ja, es ist zunächst einmal sinnvoll, hier die Zinsen für Griechenland abzusenken, denn es ist ja nicht einzusehen, dass wir an den Hilfen noch verdienen, und das ist von daher ein sinnvoller Teil der Schuldenentlastung für Griechenland und da wird eigentlich korrigiert, was man schon bei dem zweiten Rettungsprogramm für Griechenland hätte machen müssen, was damals falsch gemacht worden ist. Und das ist, glaube ich, wichtig, dass man das jetzt heute sieht. Wir diskutieren über das dritte Rettungspaket in zweieinhalb Jahren, die ersten beiden waren unrealistisch, das konnte man auch jeweils sehen zu dem Zeitpunkt, als sie verabschiedet worden sind, und man sollte jetzt nicht den Fehler erneut begehen.

    Breker: Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung nun erkannt hat, dass die Haftungsgemeinschaft in der Euro-Zone real ist, es geht nicht mehr nur um Bürgschaften und Garantien, die zu leisten sind, sondern es muss Geld fließen?

    Schick: Ich glaube, dass die Bundesregierung das erkannt hat, aber sie traut sich nicht, es zu sagen, sondern sie will diese schwierige Wahrheit bis nach der Bundestagswahl hinziehen, und ich glaube nicht, dass das funktioniert. Zum einen hilft das ja Griechenland nicht wirklich, wenn man jetzt einen Pfad beschließt, der nicht funktionieren wird, und es dann erneut wieder schwierige Verhandlungen geben wird, die sich wieder über Monate hinziehen. Das verschärft ja alles die Unsicherheit und macht eine wirtschaftliche Stabilisierung Griechenlands nicht leichter, und es hilft natürlich auch in Deutschland nicht, weil das Misstrauen der Menschen, die ja auch sich ausrechnen können, dass da irgendwann Lasten kommen, das nimmt ja zu, und das ist für eine Lösung der europäischen Krise auch nicht förderlich.

    Breker: Kann man, können Sie vielleicht, Herr Schick, jetzt schon abschätzen, was denn der Kompromiss der Nacht an deutschen Steuergeldern kosten wird, welchen Beitrag die Deutschen dazu leisten?

    Schick: Das ist bisher aus den Zahlen nicht klar ableitbar. Die Zinsreduzierung wird etwas bedeuten, aber sie braucht keinen Beschluss noch mal des Bundestages, weil das innerhalb der KfW, also der staatlichen Förderbank, läuft. Aber es ist ja ganz klar: es handelt sich hier um öffentliche Schulden, und jede Entlastung für den griechischen Staatshaushalt und für die griechische Schuldenbilanz bedeutet in dieser Frage dann immer auch eine Belastung auf der Seite der Geldgeber, also auch des deutschen Steuerzahlers, und das ist eine der Fragen, die jetzt die Bundesregierung auch klar auf den Tisch legen muss in den Beratungen der nächsten Tage, die ja kurz genug sind. Es soll ja schon am Donnerstag der Beschluss stattfinden, es wird also wieder sehr, sehr wenig Zeit bleiben. Nachdem jetzt monatelang verhandelt worden ist, soll es jetzt sehr schnell im Deutschen Bundestag gehen.

    Breker: Ein Schuldenschnitt – wir haben es gehört – ist nicht vom Tisch, sondern er darf erst nach den Bundestagswahlen stattfinden. Was haben wir bis dahin' Reicht das jetzt, dieses Paket, bis dahin?

    Schick: Das Paket verschafft schon Luft, das muss man sehen, und es vermeidet ja zunächst einmal, dass es jetzt in Griechenland zu Problemen bei der Bedienung von bestehenden Anlagen kommt, also ein Staatsbankrott wird vermieden. Ich befürchte allerdings, dass man weiter auf solche Zwischenlösungen zurückgreifen muss, wie sie schon im Sommer gewählt worden sind, wo man über sogenannte Treasury Bills, also praktisch eine Finanzierung des griechischen Staates über griechische Banken und die griechische Notenbank, was nur funktioniert, wenn die Europäische Zentralbank auch mitwirkt, wieder auf solche Maßnahmen zurückgreift, die letztlich eine monetäre Staatsfinanzierung bedeuten und die nicht in Ordnung sind als Finanzierungsmechanismus.

    Breker: Der Internationale Währungsfonds, Christine Lagarde will einen Schuldenschnitt, und sie will das deshalb, weil sie möchte, dass Griechenland sozusagen wieder schuldfähig wird. Was wird das, was kann das kosten?

    Schick: Das kann für die deutschen Steuerzahler viel kosten. Die bisherigen Zahlen sind da unklar. Aber Sie können sich immer ausrechnen, dass jede Reduzierung in Griechenland dann etwa zu einem Drittel bei uns in Deutschland ankommt, weil es ja die Programme der europäischen Staaten sind, die jetzt dran sind, und nicht das Programm des Internationalen Währungsfonds. Deswegen hat er es ja auch leichter, über den Schuldenschnitt zu sprechen. Entscheidend ist jetzt, eben eine stabile Perspektive für Griechenland zu schaffen, denn das muss man immer wissen: solange uns keine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland gelingt, wird ja alles nur noch teurer, weil bei sinkender Wirtschaftsleistung die Schuldentragfähigkeit immer weiter zurückgeht und deswegen immer stärker korrigierend eingegriffen werden muss und immer stärker die anderen europäischen Staaten dann mit in die Haftung gezogen werden. Deswegen ist es so wichtig, jetzt eben nicht nur über die Schuldenseite zu sprechen, sondern auch über die Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Griechenlands, und wie hier stabilisiert werden kann, das ist bei den Verhandlungen jetzt wieder stark zu kurz gekommen. Es braucht eben auch Investitionen in Griechenland.

    Breker: Das ist richtig, das sind Gelder, die dann noch dazu kommen. Aber gehört es nicht zur Offenheit auch dem Bürger, dem Wähler gegenüber, dass man zugibt, dass mit der Entscheidung, mit der politischen Entscheidung, Griechenland um jeden Preis im Euro zu halten, auch entschieden wurde, dass das den deutschen Steuerzahler Geld kostet?

    Schick: Genau. Diese Wahrheit muss auf den Tisch. Jede Entlastung für Griechenland kostet etwas, den deutschen Steuerzahler auch. Und dann steht sofort die Frage auch im Raum und die muss genauso beantwortet werden: wie werden diese Lasten dann in Deutschland verteilt. Es ist zum einen richtig, dafür zu sorgen, dass in Griechenland auch Vermögende herangezogen werden. Deswegen ist unsere Forderung auch, dass jetzt die europäischen Staaten gemeinsam sich darum bemühen, Fluchtkapital etwa in der Schweiz von griechischen Bürgerinnen und Bürgern zurückzuführen und man nicht Griechenland allein da mit der Schweiz verhandeln lässt. Wir müssen auch sicherstellen, dass es im Unternehmenssteuerbereich gelingt, effektiv zu besteuern. Zum Beispiel sind griechische Reedereien ja quasi von der Steuer ausgenommen. Das sind also Maßnahmen, wo wir auch die Einnahmenseite in Griechenland unterstützen und für eine faire Belastungsverteilung in Griechenland sorgen können. Aber natürlich stellt sich die Frage, wer trägt denn die Kosten auch in Deutschland, und die Bundesregierung verweigert bisher jede Antwort auf diese Frage.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der finanzpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gerhard Schick. Herr Schick, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

    Schick: Ja, vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.