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"Jeder militärische Einsatz in einer solchen Mission birgt Gefahren"

Die Bundesregierung hat die Weichen für einen Einsatz deutscher Soldaten in Mali gestellt – als Teil einer Ausbildungsmission. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat kritisiert, dass man sich auf die Formulierung "kein Kampfeinsatz" fixiert. Dadurch entstehe der Eindruck, dass die Soldaten sicher seien.

Harald Kujat im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.02.2013
    Friedbert Meurer: Die Militäroffensive Frankreichs in Mali war bislang erfolgreich. Die Islamisten haben nicht wie geplant die Hauptstadt Bamako angreifen können. Im Gegenteil: Französische Truppen haben auch Städte und Regionen im Norden von islamistischer Herrschaft befreien können. Die meisten Einwohner Malis feiern die Franzosen also als Befreier. Deutschland wird sich jetzt an einer EU-Ausbildungsmission beteiligen, nachdem man ja schon Transall-Transportmaschinen zur Verfügung gestellt hat. Heute entschied das Kabinett, Freitag soll der Bundestag abstimmen. Harald Kujat war Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Ich begrüße ihn jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Kujat!

    Harald Kujat: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Zugespitzt verkürzt gefragt: Wird die Sicherheit Deutschlands am Niger-Fluss jetzt verteidigt?

    Kujat: Ich hielt ja schon die Bemerkung, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, für überzogen, für zugespitzt, sagen wir einmal. Das trifft natürlich in besonderem Maße auch für Mali zu.

    Meurer: Inwiefern?

    Kujat: Das ist, dass wir direkt natürlich von den Ereignissen nicht bedroht sind, und das ist ja ohne weiteres einsichtig. Indirekt gibt es natürlich diese allgemeine Gefahr des Terrorismus, aber ich sehe nicht, dass wir nun unmittelbar deutsche Sicherheit in Mali verteidigen müssten. Aber man muss auch gleich hinzufügen, im gleichen Atemzug sozusagen: Hier ist unser engster Verbündeter, nicht Partner, wie Politiker zu sagen pflegen, sondern unser engster Verbündeter in einer Situation, in der er unsere Unterstützung braucht, hier ist auch Europa eine Verpflichtung eingegangen, und das heißt: wir müssen uns als größter europäischer Staat und als engster Verbündeter Frankreichs beteiligen.

    Meurer: Klingt ein bisschen so, Herr Kujat, aus Bündnisverpflichtung ja, aber eher ein bisschen lustlos.

    Kujat: Nein, ich würde nicht sagen lustlos. Man muss eben sehen, dass die Dinge von der Europäischen Union nicht besonders geschickt gehandhabt wurden. Ich hätte mir gewünscht, dass man diese Ausbildungsmission sehr viel früher beginnt, vor einem dreiviertel Jahr. Vielleicht hätte man dann mehr erreichen können. Aber nun kommt sie endlich zu Stande, und da können wir selbstverständlich nicht abseits stehen. Das steht außer Frage. Was dadurch erreicht werden kann, ob die malische Armee wirklich, dieser Haufen da wirklich irgendwann mal in der Lage sein wird, die Sicherheit des gesamten Landes zu übernehmen, das halte ich nach wie vor für äußerst zweifelhaft.

    Meurer: Wenn die malische Armee sich in einem desolaten Zustand befindet, wie soll Ausbildung da funktionieren und helfen?

    Kujat: Na ja, ich sage einmal, das Handwerk des Umgangs mit Waffen, das kann man einer solchen Armee schon beibringen. Was viel schwieriger ist, ist ihr Disziplin und Moral beizubringen, und Moral im doppelten Sinne, also innere Festigkeit, aber auch ein anständiges Verhalten, humanes Verhalten gegenüber Zivilpersonen und gegenüber dem Gegner. Das wird eine Aufgabe sein, die wohl kaum mit dieser Ausbildungsmission zu bewältigen ist.

    Meurer: Wenn sie kaum zu bewältigen ist mit dieser Mission, welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

    Kujat: Na ja, nicht die Ideallösung, aber die vernünftige Lösung wäre natürlich, dass man diese letzte Phase der Stabilisierung dieses Landes in eine UN-Mission überträgt, an der natürlich die afrikanischen Staaten, möglicherweise auch die Afrikanische Union, einen größeren Anteil übernimmt. Aber dies ist eine Aufgabe, die sich über viele, viele Jahre erstrecken wird, und da haben die Vereinten Nationen die größere Erfahrung, auch die größeren Mittel. Also zu glauben, dass nun auf die Schnelle die malische Armee in die Lage versetzt wird, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten in diesem riesigen Land mit diesen gewaltigen Grenzen und der Möglichkeit, sich auch zurückzuziehen in Nachbarländer, das halte ich für eine Illusion.

    Meurer: Aber die UNO-Mission würde ja vermutlich auch von afrikanischen Soldaten getragen, oder sähen Sie da die Bundeswehr weit vorne?

    Kujat: Nein! Die UN-Mission würde sicherlich von afrikanischen und auch von anderen Staaten getragen werden. Ich sehe da nicht die Europäische Union in erster Linie als diejenigen, die nun Truppen zu stellen haben. Unterstützungsleistungen könnte man in jedem Fall erbringen. Die zweitbeste Lösung wäre, dass es die Afrikanische Union macht, aber auch hier müsste Unterstützung geleistet werden, aber eben nicht der unmittelbare Einsatz sozusagen.

    Meurer: Besteht eigentlich jetzt bei der Ausbildung malischer Soldaten die Gefahr, dass man die falschen ausbildet, die dann in ein, zwei Jahren die Waffen auf uns richten?

    Kujat: Zumindest besteht das Risiko – und das haben wir ja in der Vergangenheit gesehen; die Amerikaner haben das ja sehr leidvoll erfahren -, dass sie die Seiten wechseln irgendwann, also nicht nur, dass sie sich untereinander bekämpfen, auch das haben wir ja vor wenigen Wochen erlebt, sondern dass sie tatsächlich mit dieser Ausbildung und auch der Ausrüstung, die sie möglicherweise erhalten, dann die Seite wechseln. Also es ist eine Situation jedenfalls, die sehr, sehr komplex ist, sehr, sehr schwierig ist und wo sich kurzfristige Erfolge mit Sicherheit nicht einstellen werden.

    Meurer: Kurz: Ist die Mission der Bundeswehr gefährlich?

    Kujat: Natürlich ist sie gefährlich. Jeder militärische Einsatz in einer solchen Mission birgt Gefahren. Deshalb halte ich auch diese Fixierung auf den Begriff "kein Kampfeinsatz" für falsch, weil es den Eindruck vermittelt, den falschen Eindruck vermittelt, es ist kein Kampfeinsatz, weil wir das so beschlossen haben, und damit sind unsere Soldaten sicher. Das ist nicht der Fall! Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass das Risiko, dass deutsche Soldaten in Kampfhandlungen verwickelt werden, immer vom Gegner ausgeht, nicht von uns. Das heißt, in dessen Entscheidung ist es belassen, ob es am Ende ein Kampfeinsatz wird oder nicht. Deshalb muss auch die Schutzfunktion für die Soldaten, die dort die Ausbildung betreiben, sehr, sehr wichtig eingeschätzt werden und dann müssen wir alles unternehmen, damit hier die Risiken so gering wie möglich gehalten werden können.

    Meurer: Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, zum Einsatz der Bundeswehr in Mali. Danke, Herr Kujat, auf Wiederhören.

    Kujat: Ich danke Ihnen, Herr Meurer.


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