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"Jedes arabische Land ist anders"

Joachim Hörster hält ein Überspringen des Protests von Ägypten auf andere Länder für unwahrscheinlich. Das System in Libyen beispielsweise sei derartig autokratisch, dass es dort an Menschen "mit der entsprechenden Qualifikation" fehle, um gegen das Regime zu revoltieren.

Joachim Hörster im Gespräch mit Silvia Engels | 02.02.2011
    Silvia Engels: Nach der Ankündigung des Präsidenten Mubarak, sich im Herbst zurückziehen zu wollen, ist der Umbruch im Land nicht mehr aufzuhalten. In Europa und in den USA sorgen sich manche Beobachter vor einer Islamisierung Ägyptens. Auf diese mögliche Entwicklung reagieren die Machthaber im Iran dagegen genau umgekehrt, nämlich euphorisch. Der Islam werde die neue politische Achse im Nahen Osten, erklärte Revolutionsführer Ayatollah Khamenei. Doch das ist alles noch nicht ausgemacht. In Ägypten selbst dreht sich nämlich heute zunächst alles um die Frage, wann Mubarak genau gehen soll. Soeben meldet die Nachrichtenagentur DAPD, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Mubaraks in Kairo gekommen sei. International ist der Rückhalt für Hosni Mubarak in den vergangenen Tagen rapide geschrumpft. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy rief heute beispielsweise zu einem schnellen Wandel in Ägypten auf. Auch Außenminister Westerwelle hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Eine der wenigen Führungen, die in den letzten Tagen unverbrüchlich zu Ägyptens Machthaber Hosni Mubarak gestanden haben, ist die israelische Regierung, denn Mubarak gilt und galt als Garant für den Bestand des über 30 Jahre alten israelisch-ägyptischen Friedensschlusses. Es ist der einzige Vertrag des Friedens zwischen Israel und einem arabischen Nachbarn, und das ist ein Eckpfeiler der israelischen Sicherheitsstrategie. Nun sorgen sich die Israelis vor der Ära nach Mubarak. Zugeschaltet ist uns nun Joachim Hörster. Er sitzt für die CDU im Bundestag und er ist dort Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die arabischsprachigen Staaten des Nahen Ostens. Guten Tag, Herr Hörster.

    Joachim Hörster: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Wir haben es gerade gehört: In Israel fürchtet man sich vor einer möglicherweise israelfeindlichen Regierung in Ägypten. Teilen Sie diese Sorge?

    Hörster: Die außenpolitische Situation und die sicherheitspolitische Situation für Israel haben sich sicherlich in den letzten Tagen verschärft. Das hat angefangen mit der Übernahme der Regierungsverantwortung, mit Unterstützung der Hisbollah im Libanon. Da werden wir noch sehen, dass das Weiterungen haben wird. Das setzt sich fort jetzt in Ägypten mit den Auseinandersetzungen zwischen der Opposition, wer das auch immer ist, und der Regierung. Und wir sehen, dass es in Algerien erhebliche Unruhen gibt, die allerdings an das ägyptische Ausmaß noch nicht herankommen, und im Prinzip ist im Augenblick das, was sich in Tunesien abspielt, eher die Ausnahme, weil man dort den Eindruck hat, dass die Demonstranten und die Opponenten gegen die Regierung versuchen, einen geordneten Weg in Wahlen selbst zu finden und deswegen auch die Ruhe immer mehr auf die Straßen zurückkehrt.

    Engels: Wir schauen gleich auf die Staaten der Region, wollen aber kurz noch den Blick nach Ägypten richten. Wie sollte sich die Bundesregierung nun verhalten? Sollte sie sich für einen langsamen Übergang, weg von der Macht Mubaraks einsetzen, oder den schnellen Wandel unterstützen?

    Hörster: Also ich glaube, dass der Einfluss der Bundesregierung und auch der Einfluss der Europäer sich in Grenzen hält, denn in den Augen der Demonstranten und derjenigen, die das Mubarak-Regime kritisiert haben, war ja der Westen ein Verbündeter Mubaraks und hat Mubarak unterstützt. Das haben die Leute nicht vergessen. Deswegen, glaube ich, ist es notwendig, dass wir auf jeden Fall unterstützen, dass die Ägypter selbst ihre eigenen Entscheidungen treffen, wie sie zu Demokratie, wie sie zu einem neuen Präsidenten kommen, und wir können anbieten zu helfen, mit politischem Rat, vielleicht mit Logistik, denn Sie müssen sich ja vorstellen, es gibt ja kein geordnetes Parteiensystem in Ägypten wie bei uns. Entweder waren die Parteien verboten, unterdrückt, oder sie waren halt eben in die Regierungspartei eingegliedert. Da gibt es noch keine Programme, noch keine unterschiedlichen Standpunkte. Man weiß gar nicht, wer sich am Schluss den Ägyptern zur Wahl anbietet. Die Frage nur auf die Präsidentenfrage zu konzentrieren, halte ich für zu schmal. Also wir müssen versuchen, der Zivilgesellschaft in Ägypten zu helfen, dass sie sich organisieren kann und dass sie in die Lage versetzt wird, auch Wahlen vernünftig durchzuführen und sich daran entscheidend zu beteiligen.

    Engels: Die ägyptische Armeeführung hat in den letzten Tagen die Demonstranten gewähren lassen. Nun hat sie aber zur Ruhe aufgefordert. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Geduld der mächtigen Militärs nun am Ende ist?

    Hörster: Das will ich noch nicht sagen, aber mir fällt auf, dass es ein gewisses Strickmuster gibt, das sich in mehreren Staaten zeigt. In Tunesien hat nach der Flucht von Ben Ali sozusagen Mob auf den Straßen sich breitgemacht, Geschäfte geplündert und so weiter, und es war immer wieder zu hören, dass es eigentlich Leute der Sicherheitsorgane, des tunesischen Präsidenten waren, die den ganzen Schaden angerichtet haben. Im Jemen hört man jetzt, dass der Staatspräsident Saleh, der ja auch nach 2013 nicht mehr kandidieren will, vor dem Mob gewarnt hat in den Straßen und gesagt hat, jeder Jemenit hat das Recht, sein Hab und Gut zu verteidigen. Und in Kairo haben wir ja gesehen, dass es auch Plünderungen gegeben hat und die Leute sich zu Einheiten zusammengefunden haben, um sich gegen solche Plünderer zu verteidigen. Und jetzt kommt das Militär und sagt, damit sich so etwas nicht fortsetzt, deswegen müsst ihr von der Straße herunter und müsst wieder nach Hause, ihr habt ja eueren Willen bekundet. Da weiß man nicht, ob das sozusagen organisierte Events sind, die da gemacht werden, um ein späteres militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. Also ich bin da sehr vorsichtig, was die Einschätzung dieser Absichten bedeutet.

    Engels: Das heißt, es könnte auch noch eine blutige Entwicklung geben?

    Hörster: Es kann auch noch, was ich nicht hoffen will, blutig werden. Immerhin haben wir ja in Tunesien gesehen, dass an Stelle der zunächst behaupteten 65 Toten ja mittlerweile über 200 festgestellt worden sind.

    Engels: Sie haben es eben schon anklingen lassen: die Entwicklung in Tunesien, die Entwicklung im Jemen. Auch in Jordanien versucht man nun, mit personellen Umbesetzungen eine mögliche Zuspitzung von vornherein etwas abzumildern. Denken Sie, das kann noch gelingen, oder wird es wirklich dieser Flächenbrand, von dem ja viele Demonstranten sprechen?

    Hörster: Jedes arabische Land ist anders und man kann nicht sagen, dass das, was in Tunesien stattfindet, etwa das gleiche sei wie das, was nebenan in Algerien stattfindet, oder auf der anderen Seite in Ägypten. In Jordanien habe ich bisher nicht gehört, dass irgendjemand von den Demonstranten die Autorität des Königshauses in Zweifel gezogen hätte, während ja in den anderen Ländern die Autorität des jeweiligen Staatspräsidenten in Zweifel gezogen wird. Also solange das in Jordanien nicht geschieht, dass der König selbst angegriffen wird, solange werden sich Wege finden, dieses Land stabil zu halten.

    Engels: Was sollte die deutsche Außenpolitik auch mit Blick auf den gesamten Raum tun?

    Hörster: Die deutsche Außenpolitik sollte sich vergewissern, dass die Verhältnisse in jedem Land anders sind, dass das nicht alles über einen Ellen geschlagen werden kann. Sie sollte versuchen, in Tunesien vor allem der Zivilgesellschaft zu helfen. In Algerien gibt es Ansätze, die Zivilgesellschaft zu fördern, mit unterschiedlichen Parteistrukturen. Sie sollte in Ägypten Hilfe anbieten und sich mit Belehrungen von außen zurückhalten.

    Engels: Eine Einschätzung noch zum Schluss. Was denken Sie? Es ist ja beachtlich, dass Libyen oder Algerien, die ja nun an Tunesien und Ägypten angrenzen, noch vergleichsweise ruhig sind. Wird es auch da losgehen?

    Hörster: Das glaube ich nicht. In Algerien ist die Situation in einem Punkt gleich wie in Tunesien, nämlich dort haben wir die vielen arbeitslosen jungen Leute, die keine Perspektive haben. Aber wir haben in Algerien auf der anderen Seite einen Staatshaushalt, der ausgeglichen ist, und viele, viele Milliarden Rücklagen, mit denen man eigentlich in der Bevölkerung helfen könnte, wenn man nur wüsste, wie. In Libyen, glaube ich, ist das System so autokratisch, dass dort auch die Menschen nicht vorhanden sind mit der entsprechenden Qualifikation, mit der entsprechenden Ausbildung, dass die in der Weise revoltieren, wie das in Tunesien, Algerien oder jetzt in Ägypten der Fall ist.

    Engels: Wir sprachen mit dem Kenner der Staaten des Nahen Ostens, Joachim Hörster von der CDU. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hörster: Gerne, Frau Engels.