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Jeff Lynne auf Welttournee
"Das Album ist auf eine spezielle Art und Weise nostalgisch"

Vollbart und angewachsene Sonnenbrille: Als Mastermind des Electric Light Orchestra zählte Jeff Lynne zu den erfolgreichsten Songwritern. Dann konzentrierte sich der gebürtige Brite aufs Produzieren von Superstars. Nun ist der 67-Jährige Musiker mit dem Album "Alone In The Universe" auf Welttournee - der ersten seit 1986.

Jeffe Lynne im Gespräch mit Marcel Andres | 21.11.2015
    Jeff Lynne, Mastermind des Electric Light Orchestra
    Jeff Lynne, Mastermind des Electric Light Orchestra (imago/stock&people/UPI photo)
    Marcel Anders: Herr Lynne, in den letzten 30 Jahren waren Sie vor allem als Produzent aktiv?
    Jeff Lynne: Ja, ich war eine Studioratte.
    Anders: Haben Sie E.L.O. – also das Electric Light Orchestra – nie vermisst oder war es einfach spannender, mit den Größen der Rockmusik zu arbeiten?
    Lynne: Das war fantastisch! Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Denn die Jungs, mit denen ich gearbeitet habe, waren toll und wir hatten wahnsinnig viel Spaß. Auch außerhalb des Studios. Das gilt besonders für Tom Petty, mit dem ich drei Alben aufgenommen habe. Was mir persönlich viel gebracht hat, denn es hat mein Spektrum und meinen Geist enorm erweitert. Also viel mehr, als sich immer nur mit meinen eigenen Stücken zu befassen. Wenn jemand mit einem halb fertigen Song zu mir kommt oder mich bittet, gleich einen neuen mit ihm zu schreiben, ist das eine großartige Sache. Auch, wenn ich eigentlich nie ein Freund von Kollaborationen war.
    Doch dann habe ich ein Stück für Dave Edmunds geschrieben und es mit ihm zusammen ausgearbeitet. Das war fantastisch. Und ich weiß noch, wie ich das erste Mal zu George Harrison gefahren bin, und vor diesem Palast stand. Ich hatte echt Angst, die Klingel zu drücken. Doch dann öffnete sich die Tür, seine Frau Olivia lächelte mich an und meinte: "George ist unten am See." Ich bin dahin und wir haben uns sofort verstanden. Wir waren zehn Jahre lang die besten Kumpels. So fing das an.
    "Ich bin sehr altmodisch"
    Anders: Was für eine Art Produzent sind Sie? Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
    Lynne: Ich bin sehr altmodisch. Einfach, weil ich gute Räume, aber kein technisches Spielzeug mag. Also Hall kann ich zum Beispiel nicht ertragen. Selbst, wenn ihn nahezu jeder verwendet. Keine Ahnung, warum. Es ist immer ein bisschen auf dem Gesang und der Gitarre. Man hört, wie es da nachhallt. Aber warum ist es da? Keine Ahnung. Ich mag es lieber knochentrocken und direkt ins Gesicht.
    Anders: Was ist das für ein Gefühl, jetzt eine regelrechte Renaissance mit E.L.O. zu erleben – also bei den Grammys aufzutreten, einen Stern am Hollywood Walk of Fame zu erhalten und vor wenigen Monaten ein ausverkauftes Konzert im Londoner Hyde Park zu spielen? Hat das etwas von später Anerkennung?
    Lynne: Ja, endlich nehmen mich die Leute wieder zur Kenntnis. Und vielleicht liegt es ja nur daran, dass Bärte wieder so angesagt sind – also es ist nur eine Modeerscheinung und hat nichts mit der Musik zu tun. Aber im Ernst: Es ist toll, so einen Popularitätsschub zu erleben. In dem Sinne, dass meine Musik auf einmal viel angesagter ist, als noch vor zehn Jahren.
    Es fing damit an, dass die BBC in England plötzlich meine alten Sachen gespielt hat. Und das sind ja nicht gerade wenige, weil ich über 35 Jahre hinweg sehr viel geschrieben habe. Außerdem hatte ich angefangen, dieses Album aufzunehmen – und zwar in erster Linie für mich. Ich hätte es also auch allein herausgebracht. Doch dann ist eine große Plattenfirma vorbeigekommen, hat sich alles angehört und wollten mich unter Vertrag nehmen.
    Anders: Früher stand E.L.O. für eine Symbiose aus Rock und Pop mit Elementen der klassischen Musik. Ist das immer noch Ihr Ansatz, oder verfolgen Sie mittlerweile einen anderen?
    Lynne: Auf diesem Album sind lediglich zwei kurze Passagen mit Streichern vertreten. Und die sind nicht einmal echt, sondern elektronisch. Was damit zusammenhängt, dass ich den Ansatz ein bisschen leid geworden bin. In erster Linie wegen der Gewerkschaften, die gerade in England wahnsinnig strikt waren. Hast du eine Studio-Session mit einem Orchester auch nur um eine Minute überzogen, haben sie dir gleich das Doppelte berechnet. Was sie ein paar Mal mit mir gemacht machen und was schlimm war. Kann sein, dass sie mittlerweile nicht mehr ganz so rigide sind, aber jetzt kann ja auch jeder ein Orchester mit einem Finger spielen. (lacht)
    Anders: Also schwelgen Sie lieber in einem nostalgischen 60s-Sound?
    Lynne: Er ist definitiv nostalgisch, wenn auch auf eine spezielle Art und Weise. Also der Sound an sich ist nicht altmodisch, sondern so modern wie er nur sein könnte. Dafür weisen die Songs ein starkes 60s-Flair auf. Und das rührt daher, weil das eine tolle Zeit war. Als Musiker habe ich zwar nur die Jahre 1966 bis 1970 erlebt, aber die waren allein deshalb großartig, weil das Leben so simpel war.
    Also bevor diese hoch dotierten Verträge auftauchten, es nur noch ums Geld ging, und jeder anfing, sich ausschließlich darüber Gedanken zu machen. Wenn du das tust, verlierst du deine Kreativität, weil du dich nicht mehr auf das konzentrierst, was eigentlich wichtig wäre. Deshalb bin ich froh, dass ich nie in diese Falle getappt bin und mich zu sehr mit dem Finanziellen befasst habe. Denn das haben viele getan.
    Anders: Wobei Sie ohnehin ein bisschen anders gestrickt scheinen, als die meisten Musiker: ELO ist eine One-Mann-Band, bei der Sie zugleich in die Rolle des Produzenten schlüpfen. Was fasziniert Sie an der reinen Studioarbeit?
    Lynne: Man hat da einfach endlose Möglichkeiten, und das einzige, was einen aufhalten könnte, wäre ein Mangel an Fantasie. Den habe ich nun wirklich nicht – und ich liebe es, mit Klängen herumzuspielen, sie miteinander zu vermischen und auf diese Weise ein immer wieder neues Feeling zu kreieren. Ich sorge da für unterschiedliche Vibes, die geradezu unmöglich wären, wenn es sich nur um eine ordinäre Gitarre oder ein ganz normales Klavier handeln würde. Doch wenn man das Miteinander verbindet, wie es die Beatles bereits auf einigen ihrer frühen Platten getan haben, dann klingt das fantastisch. Deswegen habe ich die Fab Four geliebt – und genau diesen Ansatz verfolgt.
    Albumtitel hat nichts mit Einsamkeit zu tun
    Anders: Kommen Sie sich dabei gelegentlich ein bisschen einsam vor, wie es der Albumtitel – also "Alone In The Universe" – vermuten lässt?
    Lynne: Kein bisschen, das ist nur ein Charakter oder eine Idee, mit der ich herumspiele. Ich dachte mir: "Was ist das Einsamste, das ich mir vorstellen könnte?" Und das kann nur sein, sich völlig allein im Universum zu bewegen. Wie Voyager 1 – die erste Sonde, die unser Sonnensystem verlassen hat. Die ist so einsam, wie man nur sein könnte. Denn sie befindet sich jetzt im interstellaren Raum. Und Voyager II ist Lichtjahre entfernt.
    Deshalb habe ich diesen Text geschrieben. Eben wie Voyager 1 beim Zentrum für Raumfahrt anruft und sagt: "Könnt ihr mir nicht Voyager 2 vorbeischicken? Es wird hier langsam ein bisschen öde." So fing der Song an. Eben über die einsamste Sache, die es gibt. Und das fand ich sehr romantisch.
    Anders: Wobei sich Themen wie der Weltraum und Raumschiffe wie ein roter Faden durch Ihr Schaffen ziehen. Wieso?
    Lynne: Es war einfach so, dass mir 1972 – für das Cover des zweiten Albums - ein Motiv vorgeschlagen wurde, das aus einer Glühbirne bestand, die sich wie ein Raumschiff durchs All bewegt. Das hat sich dann so verselbstständigt, dass es beim nächsten Mal, bei "Out Of The Blue", ein richtiges Raumschiff wurde. Und dabei ist es geblieben – weil ich diesen Kram liebe. Ich hatte sogar das Glück, Professor Brian Cox kennenzulernen – den berühmten Physiker. Ein netter Kerl, der mir eine Menge Zeug erzählt, von dem ich keine Ahnung habe. (lacht) Aber ich genieße es, mit ihm abzuhängen.
    Anders: Was ist mit dem sagenumwobenen Raumschiff, das Sie auf der 78er Welttournee auf der Bühne hatten? Existiert das noch?
    Lynne: Ich fürchte, es ist schon vor Jahren auseinandergefallen. Schließlich ist es im Rahmen der damaligen Tour wirklich auf große Reise gegangen. Und es musste mit sieben gigantischen LKWs transportiert werden. Weshalb wir es auch nicht jeden Abend auf die Bühne bringen konnten, sondern stellenweise nur jeden zweiten – abhängig davon, welche Entfernungen wir zurücklegen mussten und wie viel Zeit zum Aufbauen blieb. Es kam öfter vor, dass wir ohne auftreten mussten, was dafür sorgte, dass die Fans fragten: "Wo ist denn das verdammte Raumschiff?" Und worauf wir nur sagen konnten: "Oh, sorry. Es konnte nicht rechtzeitig hier sein." (kichert)
    Anders: Auf Fotos sieht es geradezu gigantisch aus...
    Lynne: Das war es auch. Also verflucht groß. Und über unseren Köpfen fühlte es sich genauso seltsam an wie die Falltüren, die wir auf der Bühne hatten, und durch die man von unten hydraulisch vors Publikum transportiert werden konnte. Das Problem war nur, dass die Elektromotoren, die das antrieben, öfter ausfielen und die Hydraulik versagte. Was dafür sorgte, dass irgendwelche Bandmitglieder hängenblieben, nur ihre Köpfe aus dem Boden hervorragten, und sie natürlich eine Sabotage oder Verschwörung witterten. Nach dem Motto: "Holt mich hier aus, ihr Bastarde!" Es war ein bisschen wie Spinal Tap, halt nur lange vor Spinal Tap.
    Anders: Angeblich planen Sie fürs Frühjahr 2016 eine weitere Welttournee, die erste seit 1986 - wieder mit Raumschiff?
    Lynne: Es wird eher eine richtig tolle und vor allem große LED-Show. Wie beim Auftritt im Londoner Hyde Park vom letzten Sommer, der wunderbar war. Ich habe mich dort wohler gefühlt als bei jedem Konzert, das ich je gegeben habe. Einfach, weil da mehr Wärme, mehr Unterstützung und Spaß herrschten. Es war ein pures Vergnügen, für die Leute zu spielen. Und sie haben jeden Song mitgesungen und waren stellenweise lauter als ich. Was mich echt fertig gemacht hat. Aber es war auch toll.
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.