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Merz und die (klassischen) Medien
Er braucht sie doch noch

"Wir brauchen die nicht mehr" - mit seiner Aussage über klassische Berichterstattung löste Friedrich Merz Anfang des Jahres eine Diskussion aus. Der CDU-Politiker selbst setzt inzwischen verstärkt auf Twitter. Doch für größere Aufmerksamkeit sorgt er bis heute mit Interviews – in Nachrichtenmedien.

Von Michael Borgers | 27.10.2020
    Friedrich Merz spricht im Freien mit Journalisten.
    Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, spricht mit Journalisten vor Beratungen der engeren CDU-Spitze über den geplanten Parteitag zur Wahl des CDU-Vorsitzenden. (picture alliance/Christophe Gateau/dpa)
    Eine Weile war es still geworden um Friedrich Merz. Der 64-Jährige gehörte zu den ersten Spitzenpolitikern, die am Corona-Virus erkrankt waren. Mitte März war das. Eine Zeit, in der bereits die Pandemie das öffentliche Leben bestimmte – und der Kampf um den CDU-Vorsitz für einige Wochen in den Hintergrund rückte. Mehr als ein halbes Jahr später ist das Virus noch immer da. Seit Frühjahr allerdings mischen sich doch auch wieder andere Themen in die Berichterstattung, und Merz nutzt diese Fläche.
    Aktuell werden seine Aussagen zum CDU-Parteitag auf verschiedenen Kanälen diskutiert: Unter dem Hashtag #MerzVerhindern wird auf Twitter kommentiert, was Merz über das eigentlich für Anfang Dezember geplante Treffen seiner Partei in Stuttgart gesagt hat. Dass die CDU-Spitze die Veranstaltung verschoben habe, sei "der letzte Teil der Aktion 'Merz verhindern'", sagte Merz in der "Welt". Zuvor hatte er bereits im ARD-"Morgenmagazin" erklärt, "Teile des Partei-Establishments" wollten verhindern, dass er Parteivorsitzender wird. Ideen, die er am selben Tag in weiteren Interviews ausführte.
    Es ist bereits das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass Merz in der Nachrichtenagenda weit vorne landet. Ende September war einer Antwort des Politikers in "Bild" zur Frage nach einem homosexuellen Bundeskanzler eine breite mediale Debatte gefolgt.
    CDU-Parteivorsitz: Wettstreit der Medienstrategen
    Die eine setzt auf Ruhe, der andere sucht die ganz große Arena und der dritte will überhaupt erst einmal bekannt werden: Die Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz hätten ganz unterschiedliche Kommunikationsstrategien verfolgt, sagt Hauptstadtkorrespondent Stephan Detjen im Dlf.
    "Wir brauchen die nicht mehr"
    Braucht er sie also doch noch, die klassischen Nachrichtenmedien? Eine Frage, die sich stellt vor dem Hintergrund dieser Einschätzung von Anfang des Jahres: "Im Augenblick gibt es eine Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten, und denen, die Nachrichten erzeugen. Und zwar zugunsten derer, die Nachrichten erzeugen." Das hatte der Politiker auf einer Veranstaltung, festgehalten in diesem Video, eines Aachener Karnevalvereins gesagt – und ergänzt: "Wir brauchen die nicht mehr."
    Die Aachener Aussagen von Friedrich Merz in voller Länge:
    "Im Augenblick gibt es eine Machtverschiebung zwischen denen, die Nachrichten verbreiten, und denen, die Nachrichten erzeugen. Und zwar zugunsten derer, die Nachrichten erzeugen. Wir brauchen die nicht mehr. Und das ist das Schöne. Sie können heute über Ihre eigenen Social-Media-Kanäle, über Youtube, Sie können ein Publikum erreichen, das teilweise die öffentlich-rechtlichen, auch die privaten, institutionalisierten Medien nicht mehr erreichen. Wenn man das richtig nutzt, wenn man das gut macht, dann haben Sie über diese Kanäle eine Möglichkeit, Ihre eigenen Interessen wahrzunehmen, Ihre eigene Deutungshoheit auch zu behalten, über das, was Sie gesagt haben – in ganz anderer Form, als wir das früher gehabt haben. So, das ist die gute Nachricht der Digitalisierung."
    In einem offenen Brief zeigte sich der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, damals "in hohem Maße irritiert". Er fragte Merz nach seinem "Verständnis von der Rolle der Medien im demokratischen Rechtsstaat" und ob er Journalisten für eine "überflüssig gewordene Berufsgruppe" halte.
    Merz meinte das Ende des "Gatekeeping"
    Eine Empörung, die übertrieben sei, stellte schon damals Politikberater Johannes Hillje fest. Merz habe nicht gesagt, "dass die demokratische Gesellschaft die journalistischen Medien nicht mehr braucht, sondern dass er als Politiker sie nicht mehr braucht, um Menschen mit seinen Botschaften zu erreichen", sagte Hillje im Deutschlandfunk.
    Medienstrategie von Friedrich Merz: "Jeden Tag eine Schlagzeile"
    Im Bewerbungsrennen um den CDU-Vorsitz müsse Friedrich Merz Amt durch Aufmerksamkeit ersetzen, sagte Politikberater Johannes Hillje im Dlf. Merz wurde jüngst kritisiert für seine Äußerungen zur Bedeutung der klassischen Medien. Hillje hält die Aufregung für überzogen.
    Ähnlich äußerte sich nun gegenüber dem Dlf-Medienmagazin @mediasres der Nürnberger Kommunikationswissenschaftler Winfried Schulz: "Politiker haben mit den sozialen Medien inzwischen auch einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit, können das Filtern (Gatekeeping) durch Journalisten umgehen."
    Wie sich Merz das konkret zunutze mache, habe er zwar nicht untersucht, so Schulz. Doch vermute er, dass dieser sich "sich mit dem Output von Trump wohl nicht messen" kann.
    Noch immer mehr Öffentlichkeit nach Interviews
    Eine Einschätzung, mit der Schulz richtig liegt, was die blanken Zahlen betrifft: Merz ist seit Ende 2018 auf Twitter aktiv. Inzwischen folgen ihm dort mehr als 100.000 Menschen und konnten dort bislang knapp 700 Tweets lesen, also durchschnittlich in den zwei Jahren zwei Kurznachrichten täglich, die meisten verfasst von seinem Team. Trump kommt auf rund 58.000 Tweets in mehr als elf Jahren. Das macht einen Schnitt von knapp 15 digitalen Botschaften pro Tag.
    Hinzu kommt: Inhaltlich dringt der "Sauerland-Trump", wie laut "FAZ" seine Kritiker innerhalb der CDU Merz nennen, nicht durch wie der US-Präsident. Für die meisten Schlagzeilen und die größte mediale Aufmerksamkeit hat Merz in den vergangenen Monaten eben nicht mit Tweets, sondern mit Antworten auf Journalisten-Fragen gesorgt, beobachtet auch Carsten Reinemann vom Münchner Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung.
    Und das sei kein Zufall, auch Merz wisse, dass er so nach wie vor die meisten Menschen erreiche, so Reinemann gegenüber dem Deutschlandfunk: "In Deutschland sind klassische Medien nach wie vor die wichtigsten Informationsquellen über das aktuelle Geschehen für die Bevölkerung."
    Auf Twitter erreiche Merz zwar andere Politiker, Medienmacherinnen und andere "Menschen mit starker Meinung". Studien zeigten, unterstreicht der Kommunikationswissenschaftler, dass sogar für diejenigen, "die klassischen Medien misstrauen, klassische Medien eine Referenz darstellen".