Dienstag, 23. April 2024

Archiv

SPD-Verkehrsexpertin zur Maut-Affäre
"Auch für Scheuer muss die Unschuldsvermutung gelten"

Als unglücklich bewertet die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann die Arbeit von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer am Mautprojekt. Man könne derzeit aber noch nicht überprüfen und entscheiden, ob seine Aussagen schlüssig seien - man solle das Verfahren abwarten.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.12.2019
Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann.
Es werde sehr schwierig für Scheuer werden, seine Aussagen zu belegen, so SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann (dpa/Bernd von Jutrczenka)
Durch die geplatzte Einführung der umstrittenen Pkw-Maut werde ein Schaden entstanden sein, vermutet Kirsten Lühmann, Obfrau der SPD im Verkehrsausschuss. Die Mautbetreiber bezifferten ihre Schadenersatzforderungen gegenüber dem Bund vergangene Woche mit einer Summe von 560 Millionen Euro.
Die SPD habe angeregt, die Verträge mit denm Betreibern erst nach dem EuGH-Gerichtsurteil zu unterschreiben. Der Europäische Gerichtshof hatte im Juni 2019 einer Klage Österreichs gegen die Pkw-Maut in Deutschland stattgegeben. Demnach war die deutsche Pkw-Maut ist nicht mit EU-Recht vereinbar.
Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister, spricht bei der aktuellen Stunde zum Scheitern der PKW-Maut im Deutschen Bundestag
Geplatzte Pkw-Maut: Darum geht es im Untersuchungsausschuss
Die Pkw-Maut begann als Herzensprojekt der CSU – und wird nun Thema eines Untersuchungsausschusses. Es geht um die Frage, ob Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer voreilig und widerrechtlich Aufträge an Mautbetreiber vergeben hat. Für den Steuerzahler stehen Millionenzahlungen auf dem Spiel.
Andreas Scheuer hätte als Bundesverkehrsminister aber selbst entscheiden können, die Verträge vorher zu unterzeichnen. Man habe ihn nicht zwingen können, das Urteil abzuwarten.
"Man muss dem Minister erstmal das Gegenteil beweisen"
Es gebe jedoch Minister, die aus nichtigeren Gründen zurückgetreten seien, sagte Lühmann.
Auch für Scheuer müsse nun zunächst die Unschuldsvermutung gelten. Er habe mehrfach gesagt, dass er keine Fehler gemacht habe - jetzt müsse man dem Minister erstmal das Gegenteil beweisen. Es werde jedoch sehr schwierig für Scheuer sein, seine Aussagen auch zu belegen, so Lühmann.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Jörg Münchenberg: Verkehrsminister Andreas Scheuer steht derzeit mächtig unter Druck: Das Mautprojekt, Herzensangelegenheit der CSU, ist bekanntlich mit Pauken und Trompeten am Einspruch des Europäischen Gerichtshofs gescheitert. Nun kommt auch noch eine teure Abschlussrechnung dazu: 560 Millionen Euro fordern nämlich die beiden Betreibergesellschaften Kapsch und CTS Eventim als Entschädigung vom Bund mit Verweis auf den abgeschlossenen Mautvertrag. Den Verkehrsminister ficht das alles nicht an, er weist die Regressforderungen weit von sich. Die Opposition, sie hat inzwischen den Rücktritt von Scheuer gefordert, die Kanzlerin wiederum bescheinigt ihm gute Arbeit. Nur der Koalitionspartner SPD verhält sich in jeder Hinsicht auffällig zurückhaltend in dieser Frage.
- Darüber wollen wir reden mit der verkehrspolitischen Sprecherin der Sozialdemokraten im Bundestag, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, einen schönen guten Morgen!
Kirsten Lühmann: Guten Morgen, Herr Münchenberg!
Münchenberg: Frau Lühmann, wie würden Sie denn die Arbeit von Herrn Scheuer beim Mautprojekt bewerten?
Lühmann: Na, ich sage mal, es ist zumindest unglücklich.
Münchenberg: Und mehr nicht?
Lühmann: Wir haben einen Sachverhalt, wo der Minister uns gewisse Dinge erklärt hat, warum er etwas wie gemacht hat. Wir können das aber im Moment noch nicht überprüfen, weil wir alle Unterlagen noch nicht haben. Deshalb haben wir auch diesen Untersuchungsausschuss gegründet. Und am Ende werden wir wissen, ob seine Darstellung schlüssig ist oder ob die Opposition recht hat, die ja sagt, dass er sowohl das Parlament belogen hat als auch Haushaltsrecht gebrochen hat.
Es "wird ein Schaden entstanden sein"
Münchenberg: Nun stehen ja 560 Millionen Euro im Raum als möglicher Schadenersatz zulasten dann der Steuerzahler. Man muss sagen: Es sind ja schon Minister aus nichtigeren Gründen zurückgetreten.
Lühmann: Das ist richtig. Nun steht aber erst mal die Forderung im Raum, und ob die in dieser Höhe beglichen werden muss, wird erst ein Schiedsgerichtsverfahren zeigen und, wenn es dann noch nötig ist, ein normales Gerichtsverfahren, aber ich denke, man wird sich im Schiedsgerichtsverfahren einigen. Aber wir wissen, wenn 560 Millionen im Raum stehen, wird der Schadenersatz nicht bei null liegen, das heißt, dem Steuerzahler, der Steuerzahlerin wird ein Schaden entstanden sein.
Münchenberg: Aber, Frau Lühmann, nun ist ja auch die SPD mit der Regierungsverantwortung und es kann ihr ja kaum egal sein, wer da ein so wichtiges Schlüsselressort besetzt und dass dann möglicherweise ein Schaden von über einer halben Milliarde Euro verursacht worden ist.
Lühmann: Das ist richtig, egal ist uns das nicht, zumal deshalb nicht, weil wir ja auch gewarnt haben. Wir haben dem Minister deutlich gesagt, wenn er sich entscheidet, die Verträge erst nach dem Gerichtsurteil zu unterschreiben, werden wir als Koalitionspartner ihn dafür nicht verurteilen, im Gegenteil, wir haben das sogar angeregt. Das ist aber eine Sache, die ein Minister alleine entscheiden kann. Das heißt, wir können ihm zwar Hinweise geben, wir können ihn aber nicht zwingen, nicht zu unterschreiben oder wir können ihn nicht anweisen, nicht zu unterschreiben. Und die Frage, ob er zurücktreten sollte zum jetzigen Zeitpunkt, da sind uns auch relativ die Hände gebunden: Jeder Koalitionspartner entscheidet für sich selbst, wie er die Ressorts besetzt und wann er welche Minister abberuft. Was Herr Scheuer nun für sich selber entscheidet, da haben wir noch weniger Einfluss drauf. Sie haben recht: Es gibt Minister und Ministerinnen, die aus nichtigeren Gründen zurückgetreten sind. Herr Scheuer hat für sich entschieden, dass er keinen Fehler gemacht hat und dass er bleiben will.
Münchenberg: Aber selbst, Frau Lühmann, wenn jetzt der Bund 560 Millionen Euro Schadenersatz zahlen müsste, auch dann hätte über den Rücktritt weiterhin die CSU zu entscheiden?
Lühmann: Also ich bin sicher, dass, wenn die Schadenersatzforderungen berechtigt sind – und Herr Scheuer streitet das ja ab –, wenn also ein Schiedsgerichtsverfahren entscheidet, dass 560 Millionen Euro gezahlt werden müssen, dass dann im Kabinett, und das ist der richtige Ort dafür, dass dann im Kabinett die Personalie Scheuer durchaus diskutiert werden wird. Und ich glaube, dass dann da auch deutliche Worte gesprochen werden. Aber das ist der richtige Ort, der Ort ist nicht der Bundestag.
Münchenberg: Aber zur Wahrheit gehört ja vermutlich auch, dass das Schiedsverfahren sehr lange dauern wird, bei der Lkw-Maut waren es über zehn Jahre, das heißt, es ist ja schon davon auszugehen: Wenn dann die Entscheidung gefallen ist bei dem Schiedsgericht, dann ist der Scheuer sowieso schon längst nicht mehr im Amt.
Lühmann: Also es wird keine zehn Jahre dauern. Deswegen ist das Verfahren auch anders angelegt worden. Also in dem Vertrag hat man tatsächlich aus der Lkw-Maut gelernt und hat dieses Schiedsgerichtsverfahren kürzer angelegt mit klaren Strukturen, die ein so langes Verfahren zwar nicht unmöglich machen, aber unwahrscheinlich machen. Aber ja, Sie haben recht: Diese Legislatur dauert noch anderthalb Jahre, es sind im Herbst 20/21 Wahlen, und vermutlich ist das Verfahren bis dahin nicht abgeschlossen. Aber es wird Tendenzen geben auf alle Fälle, in welche Richtung es geht.
"Wie überall gilt zunächst einmal die Unschuldsvermutung"
Münchenberg: Aber macht sich, Frau Lühmann, die SPD nicht trotzdem… oder muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Sie haben ja eben auch gesagt, die CSU muss da letztlich entscheiden, dass man den Eindruck gewinnt: Auch den Sozialdemokraten ist der Koalitionsfriede am Ende wichtiger als jetzt zum Beispiel das Wohl der Steuerzahler?
Lühmann: Da muss ich Ihnen aber deutlich sagen: Wenn wir bei jeder Forderung jemanden zurücktreten lassen, die irgendeiner stellt, ist das ein bisschen verfrüht. Wie überall gilt zuerst einmal die Unschuldsvermutung. Herr Scheuer hat mehrfach im Ausschuss und auch im Parlament und auch öffentlich bekundet, dass er keine Fehler gemacht hat, dass er die Warnungen aus gewichtigen Gründen zurückgewiesen hat, dass es überhaupt keinen Schadenersatzanspruch gibt. Das hat er jetzt noch mal bestätigt auch auf eine Frage der Opposition hin. Und jetzt müssen wir ihm erst mal das Gegenteil beweisen. Also ich finde, das ist schon eine Sache, die wir für jeden Minister, jede Ministerin in Anspruch nehmen könnten. Ich denke, es wird sehr schwierig für ihn sein, alle diese Dinge, die er gesagt hat, zu belegen, auch nach dem, was wir inzwischen wissen. Aber wir sollten zumindest dieses vernünftige Verfahren abwarten.
Münchenberg: Wie bewerten Sie denn, Frau Lühmann, jetzt die Verteidigungslinie von dem Verkehrsminister? Im August hatte er noch gesagt, hätte der Europäische Gerichtshof grünes Licht für die Maut gegeben, wären die Verträge nicht gekündigt worden. Jetzt heißt es als Kündigungsgrund, die Betreiber hätten die vertraglichen Leistungen nicht erfüllt. Das hört sich so ein bisschen an nach Winkelzug.
Lühmann: Ich fand das auch sehr schwierig. Im Ausschuss hat der Minister uns dargelegt, dass er aus zwei Gründen gekündigt hat. Der zweite Grund ist übrigens nachgeschoben worden, weil der Betreiber, als er augenscheinlich die Kündigung noch nicht erhalten hat, gesagt hat, dass er gewisse Leistungen nicht zum Stichtag erbringen kann, sondern etwas später. Und daraufhin wurde noch mal ein zweiter Kündigungsgrund hinterhergeschoben. Wenn man das macht, dann sollte man dabei auch bleiben. Und jetzt hat der Minister öffentlich verkündet, dass er, wenn das EuGH anders geurteilt hätte, eben nicht gekündigt hätte, sondern diese Streitigkeiten wären anders beigelegt worden. Das schwächt natürlich unsere Position. Ich weiß nicht, warum er das gemacht hat, das muss er selber entscheiden, aber ja, Sie haben recht, das ist natürlich schwierig, wenn man das offen sagt, dass quasi dieser Kündigungsgrund nachgeschoben wurde, um Geld zu sparen.
Münchenberg: Sie haben ja vorhin trotzdem jetzt gesagt, man muss erst mal abwarten, was da rauskommt, so viel Fairness muss gegenüber Scheuer schon da sein. Auf der anderen Seite gibt es ja diese Verträge, und da hat man ja zugesagt, dass die Betreibergesellschaften eben entschädigt werden, jetzt unabhängig, wie das Gerichtsurteil ausgeht. Das hört sich so ein bisschen nach einer Gelddruckmaschine an.
Lühmann: Ja, die Entschädigungen sind aber begrenzt worden. Also eine Entschädigung ist klar, übrigens, um die kommen wir überhaupt nicht drum rum, es sei denn natürlich, dieser Schlechtleistungsgrund zählt, was ich aber so in der Form nicht glaube: Das ist das Geld, was die Betreiber bis jetzt ausgegeben haben. Die haben ja Personal eingestellt, die haben Technik entwickelt und so weiter, und so fort. Also das Geld wird auf alle Fälle fällig. Sie reden jetzt von dem entgangenen Gewinn. Das steht in dem Vertrag drin: Es gibt einen Anspruch auf entgangenen Gewinn, wenn der EuGH so urteilt. Das hat mich auch verwundert, sage ich Ihnen ehrlich, weil es ja die Möglichkeit gab, den Vertrag erst später zu unterzeichnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.