Dienstag, 19. März 2024

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Jemen
"Schon jetzt ein gescheiterter Staat"

Nach vielen Jahren Bürgerkrieg verliere der Jemen jetzt vollkommen seine Machtstruktur, sagte Mareike Transfeld von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Die territoriale Integrität sei nicht mehr gegeben. Sie glaube nicht, dass die Huthi-Milizen durch die Angriffe Saudi-Arabiens zurückgedrängt werden können.

Mareike Transfeld im Gespräch mit Dirk Müller | 26.03.2015
    Anti-Huthi-Kämpfer im Jemen nördlich von Aden.
    Anti-Huthi-Kämpfer im Jemen nördlich von Aden. (AFP / Saleh Al-Obeidi)
    Bei den Angriffen handele es sich um den Versuch der arabischen Koalition unter Mitwirkung von Katar, Kuwait, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Vormarsch von Ex-Präsident Saleh zu stoppen. Gleichzeitig hätten die USA dramatisch an Einfluss eingebüßt, erklärte Transfeld die aktuelle Situation. Sie unterstützten deshalb die Angriffe. "Sie brauchen dort einen verlässlichen Partner, um weiterhin gegen Al-Kaida kämpfen zu können."
    Die Rebellen kontrollieren weitgehend den Norden des Landes. Zuletzt rückten sie auf die Küstenstadt Aden vor und nahmen den dortigen Flughafen ein. Zudem wurde ein Luftangriff auf den Palast des Präsidenten in Aden gemeldet. Wo sich der amtierende Präsident Hadi derzeit aufhält, ist unklar.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: In Syrien tobt ein Bürgerkrieg und das ganze Land zerfällt gleich in mehrere Teile. Im Irak tobt ein Bürgerkrieg, auch hier zerfällt das Land, IS-Staat inklusive. Im Jemen tobt ein Bürgerkrieg schon seit Jahrzehnten; jetzt zerfällt das Land aber noch weiter, noch dramatischer. Es ist nahezu unregierbar. Stämme kämpfen gegen Stämme, gegen Regierungstruppen, gegen Milizen der Al-Kaida, gegen IS-Dschihadisten und wiederum gegen Rebellen. Blutige Anschläge, schwere Gefechte, Gewehrsalven, Raketen-Luftangriffe. Saudi-Arabien greift nun militärisch ein, gemeinsam mit anderen Staaten, zugunsten des amtierenden Präsidenten.
    Krieg im Jemen, Intervention von Saudi-Arabien, die gesamte Region wird noch brüchiger, wird immer fragiler, verliert immer mehr an Stabilität. Am Telefon ist nun Nahost-Expertin Mareike Transfeld von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie hat viele Jahre im Jemen gelebt und auch dort gearbeitet. Guten Morgen!
    Mareike Transfeld: Guten Morgen.
    Müller: Frau Transfeld, ist der Jemen als Staat endgültig gescheitert?
    Müller: Die staatlichen Strukturen sind deutlich durch die Machtübernahme der Huthis geschwächt worden und quasi von den Huthis übernommen worden. Was die territoriale Integrität und auch die Institutionen angeht, ist der Staat im Jemen bereits gescheitert. Es wird sehr schwer sein, das rückgängig zu machen, und durch die letzten Angriffe in der letzten Nacht durch Saudi-Arabien wird es sicherlich noch schwieriger sein, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Huthis dadurch in ihrer Macht in irgendeiner Art und Weise zurückgedrängt werden können beziehungsweise der politische Prozess wieder auf die Spur gebracht werden kann.
    "Das Ziel der Angriffe waren strategische Ziele"
    Müller: Das wird jetzt viele erstaunen, Frau Transfeld, die sich da nicht so gut auskennen. Wenn Saudi-Arabien angreift, gemeinsam mit anderen Golfstaaten - das sind ja sechs, sieben Staaten, die jetzt da offenbar beteiligt sind -, aus der Luft, mit dieser Logistik, mit diesen Waffensystemen. Sie sagen dennoch, das wird nicht viel bewirken?
    Transfeld: Ich kann es mir nicht vorstellen. Das Ziel der Angriffe waren strategische Ziele. Es wurden Teile vom Flughafen angegriffen, weil der auch durch das Militär verwendet wird und jetzt durch die Huthis, die Zugriff auf das jemenitische Militär haben. Außerdem wurde angeblich auch der Präsidentenpalast angegriffen, da dieser auch unter der Kontrolle der Huthis steht. Ein weiteres Ziel soll eventuell auch der ehemalige Präsident Ali Abdullah Saleh sein, da der zusammen mit den Huthis diesen militärischen Vormarsch der letzten Monate erst ermöglicht hat und in den letzten Tagen in die südliche Stadt Aden vorgedrungen ist, um den gewählten Präsidenten Hadi irgendwo auszuschalten. Und da versuchen jetzt die Saudi-Araber zusammen mit der arabischen Koalition, diesen Vormarsch der Huthis aufzuhalten, um die Position Hadis in dieser Machtkonstellation wieder zu stärken.
    Müller: Frau Transfeld, wollen wir ein bisschen sortieren. Die Namen sind uns nicht so geläufig. Wir reden über Sanaa, wir reden ja auch über Aden. Das sind die zwei großen Metropolen, Sanaa ist die Hauptstadt. Dann gibt es den amtierenden Präsidenten Hadi. Dann gibt es die schiitischen Rebellen Huthi und dann gibt es noch den Ex-Präsidenten Saleh, also eine große Gemengelage. Dann gibt es noch Al-Kaida, dann gibt es noch Stämme, die große Interessen dort haben. Reden wir auch über politische Legitimität einer bestimmten Gruppe, oder geht es nur um Machtpolitik?
    Transfeld: Zu diesem Zeitpunkt hat das auch sehr viel mit Legitimität zu tun, aber vor allen Dingen Legitimität nach außen. Das Problem war ja: Präsident Hadi wurde 2012 vom Volk gewählt. Es gab zwar keinen Gegenkandidaten, aber er wurde in einem Votum als Präsident gewählt und hatte die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und auch Saudi-Arabiens, diesen Transitionsprozess, der auch durch die UN unterstützt wurde, umzusetzen. Die Huthis haben seit circa Januar 2014 es geschafft, aus Badah, was direkt an der Grenze zu Saudi-Arabien liegt, vorzurücken und dann schließlich im September 2014 die Hauptstadt einzunehmen. Im Februar 2015 ist dann schließlich Hadi aus Sanaa geflohen und ist nach Aden gegangen und hat versucht, diese Legitimität der internationalen Gemeinschaft mit sich mitzunehmen, und deswegen dann auch versucht, die ganzen Gelder, die die internationale Gemeinschaft in diesen politischen Prozess steckt, nach Aden zu holen. Das hat den Huthis nicht gefallen, die versuchen ja gerade, die Macht in Sanaa zu konsolidieren und einen Staat aufzubauen, und da brauchen sie auch Legitimität nach außen, was Hadi ihnen irgendwo weggenommen hat, und genau deswegen auch das Ziel, nach Aden zu gehen, um Hadi auszuschalten, und Saudi-Arabien versucht, genau das aufzuhalten.
    "Es geht vor allen Dingen um Legitimität nach außen"
    Müller: Frau Transfeld, reden wir noch über die Mächte, die im Jemen die entscheidende Rolle spielen. Fangen wir an mit dem Iran. Der Iran oder Teheran unterstützt die schiitischen Huthi gegen die Sunniten. Könnte man das so wieder auf den Punkt bringen, ähnlich wie im Irak?
    Transfeld: Ja, eigentlich gerade nicht, und das ist das wirklich sehr Komplizierte daran. Nun wird oft mit Begriffen gearbeitet wie Schiiten und Sunniten und da entsteht fast so ein Bild, als wäre es wie im Irak. Aber tatsächlich sind die Huthis erst einmal Zaiditen. Das heißt, sie gehören zwar im Allgemeinen dem schiitischen Islam an, sind aber in ihrer Praxis dem sunnitischen Islam sehr nahe. Im Jemen gibt es eine sehr alte theologische Tradition, diese Unterschiede zwischen der Zaidiya und den Sunniten, beziehungsweise in diesem Fall ist es die schafiitische Rechtsschule bei den Sunniten.
    Müller: Jetzt muss ich noch mal unterbrechen. Entscheidend für uns, weil wir leider nicht mehr so viel Zeit haben, Frau Transfeld: Der Iran unterstützt da vorbehaltlos diese Gruppe?
    Transfeld: Es gibt Verbindungen zwischen dem Iran und den Huthis, aber ich würde es abstreiten zu sagen, dass der Iran hinter diesem Machtaufstieg der Huthis steht. Das würde ich so nicht unterstützen.
    USA "brauchen dort einen verlässlichen Partner"
    Müller: Spielt Washington noch eine Rolle?
    Transfeld: Zu diesem Zeitpunkt nicht. Mit der Machtübernahme der Huthis in Sanaa ist der Einfluss Washingtons im Jemen dramatisch zurückgegangen und deswegen unterstützen die sicherlich auch die Angriffe durch Saudi-Arabien.
    Müller: Das heißt, Washington ist jetzt noch nicht neutral, unterstützt nach wie vor wo es kann den Präsidenten?
    Transfeld: Genau und deswegen auch diese Angriffe von der letzten Nacht. Die amerikanischen Truppen, die bis vor Kurzem noch im Jemen stationiert waren, wurden auch evakuiert kurz vor diesen Angriffen, und es wird jetzt auch gesagt, dass die Huthis dort wohl an Geheimdokumente gekommen sind, die im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terrorismus im Jemen stehen, und das versuchen die Amerikaner natürlich auch aufzuhalten. Sie brauchen dort einen verlässlichen Partner, um weiterhin gegen Al-Kaida kämpfen zu können.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Nahost-Expertin und Jemen-Kennerin Mareike Transfeld von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Transfeld: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.