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Jenö Konrad
Nürnbergs vertriebener Trainer

Eine anti-rassistische Geste – nicht angestoßen als Kampagne vom Verein oder vom Dachverband - sondern von den Ultras eines Fußballvereins. Es kann auch so rum laufen. So geschehen beim FC Nürnberg. Schon vor zwei Jahren würdigten die Fans ihren jüdischen Trainer Jenö Konrad, der in den 30er Jahren vertrieben wurde – bei einer Choreographie im Stadion. Angestoßen von dieser Aktion hat der 1. FC Nürnberg erst alle jüdischen Vereinsmitglieder posthum rehabilitiert – und vergangenes Wochenende ein Turnier ausgetragen, dass den Namen Jenö Konrad trägt und würdigt.

Von Marina Schweizer | 29.05.2014
    Es ist der große Finaltag beim U14-Turnier in Nürnberg – und der Rahmen ist wie bei den Profis. Zu den Klängen der UEFA-Hymne laufen 22 junge Spieler auf den Rasen. Etwas unbeholfen stehen sie vor dem Anpfiff in ihren Spielfeldhälften und schauen in Richtung Mittelkreis. Denn keiner von ihnen macht den Anstoß – das erledigt eine kleine 85-jährige Dame mit einem hohen Schuss in die Luft. Es ist Evelyn Konrad – die Tochter des ehemaligen Nürnberger Trainers Jenö Konrad. Dafür ist sie aus New York an den Ort zurückgekehrt, von dem ihr Vater wegen seiner jüdischen Herkunft vertrieben wurde. Damals war Evelyn Konrad drei Jahre alt.
    "Es waren zwei Artikel vom Julius Streicher im Stürmer – jemand hat sie mir vor einiger Zeit geschickt, denn ich hatte sie natürlich nicht gelesen – nicht zu der Zeit. Und die waren ein schrecklicher, hässlicher Angriff. Sehr hässlich. Hässliches Deutsch, Hässliche Gedanken, Hässliche Menschen."
    Evelyn Konrad meint eine Hetzschrift in der Zeitung „Der Stürmer" im Jahr 1932. Der Titel:
    "Der Fußballclub Nürnberg geht am Juden zu Grunde"
    Die Nationalsozialisten wollen den jüdischen Trainer Jenö Konrad nicht länger akzeptieren. In dem Artikel steht:
    "Klub! Besinne dich und wache auf[...]. Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem."
    Als Reaktion packt Konrad seine Sachen und geht. Auch, wenn der Klub davon offenbar nicht begeistert ist – dagegen stellt er sich nicht.
    "Wie verhält sich denn ein sehr erfolgreicher Verein in der Stadt der Reichsparteitage, in der Stadt, in der „Der Stürmer" herausgegeben wird?"
    Diese Frage hat sich irgendwann der Nürnberger Historiker Bernd Siegler gestellt – er wollte ein Buch über die Geschichte des Clubs schreiben. Er hat viel über die Haltung des Vereins damals herausgefunden und hat vor fast 20 Jahren Evelyn Konrad in den USA ausfindig gemacht. Seit einigen Jahren arbeitet der FC Nürnberg seine Vergangenheit auf. Mittlerweile geht der Club offensiv mit der eigenen Haltung damals um.
    "Dem hätte man standhalten können. Sagt sich ja immer so leicht. Aber jetzt im Nachhinein muss man klar und deutlich sagen: Dem hätte man standhalten können."
    Sagt Ralf Woy, der Finanzvorstand – der an diesem Tag zusammen mit Evelyn Konrad den Anstoß zum Finale macht.
    "Und dass Jenö Konrad dann zum Schutze seines Lebens fliehen musste – das war mehr als nachvollziehbar. Und deswegen haben wir dann ja auch allen, die damals aus dem Verein ausgeschlossen waren, haben wir jetzt wieder als Ehrenmitglieder aufgenommen. Um da auch ein klares Signal zu setzen, dass wir das im Namen der Aufarbeitung ein bisschen versuchen wieder gut zu machen."
    Die Initialzündung dafür kommt von den eigenen Fans. Historiker Ralf Siegler erzählt den Ultras vom Schicksal des ehemaligen Trainers. Beim Derby gegen Bayern München im Jahr 2012 erinnern sie mit einer Choreographie an Jenö Konrad, erzählt Siegler.
    Auch Christian Mössner von den Ultras Nürnberg ist zum Jugendturnier gekommen, lehnt an einer Spielfeldbande und schaut sich die Spiele an. Er war mit dabei, als Jenö Konrads Gesicht und ein Spruchband in München hochgehalten wurden.
    "Das war für uns eine schöne Geschichte, wo man sozusagen Vereinshistorie auch noch mit der Geschichte von Jenö Konrad und seiner Vertreibung aus Nürnberg kombinieren konnte – und das eben bei den Spiel gegen Bayern München als Aussage und Choreographie zu nehmen."
    Für diese Aktion haben die Nürnberger Ultras und der Verein den Julius Hirsch Preis des DFB bekommen - für Personen oder Vereine, die sich ich Fußball mit Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen. Das Preisgeld fließt jetzt in das Jugendturnier. Früher wurde der U14-Cup nach einem Industriesponsor benannt – jetzt heißt er wie der ehemalige jüdische Trainer.
    „Wir wollen damit natürlich die Jugendlichen ansprechen und frühzeitig aufmerksam machen, dass das, was von Deutschland ausgegangen ist nie wieder kommen darf. Und Menschenrechte wichtig sind, Werte wichtig sind. Das beginnt gerade in den Kindesjahren, wo man auch Kindern dieses beibringen muss – und das war für uns sehr wichtig und das setzen wir auch über die nächsten Jahre und Jahrzehnte fort."
    Kurz vor der Siegerehrung zeigt der Club ein Video zur Geschichte von Jenö Konrad, überall liegen Broschüren über das Leben des Trainers aus. Er starb 1978 in New York. Evelyn Konrad sagt stellvertretend für ihren Vater: Ein Jugendturnier zu seinen Ehren – das hätte ihm gefallen.
    "Ich bin besonders dankbar dafür. Ich finde es sehr passend. Wegen seiner Person, wer er war und wie er gedacht hat – und wie er eben für die Jugend immer vorhanden war."
    Auch mitten auf diesem Jugendturnier wirkt die betagte Frau quirlig und gut gelaunt. Von Vorwürfen oder Melancholie ist bei ihr nichts zu spüren. Die positive Haltung, sagt sie, die hätte sie von ihrem Vater geerbt.