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Jens Renner: Der neue Marsch auf Rom - Berlusconi und seine Vorläufer

Wenn ich mich neuerdings für das politische Leben interessiere, dann deshalb, weil ich weiter als Unternehmenschef tätig sein will, und weil ich nicht ins Gefängnis wandern will.

Ruth Jung | 06.01.2003
    Wenn ich mich neuerdings für das politische Leben interessiere, dann deshalb, weil ich weiter als Unternehmenschef tätig sein will, und weil ich nicht ins Gefängnis wandern will.

    So Silvio Berlusconi 1994; damals, vor 8 Jahren wurde er auf eine Schuldenlast von 10tausend Milliarden Lire geschätzt. Heute ist er Ministerpräsident und gilt als Italiens reichster Mann. Den möglichen Verurteilungen wegen Bilanzfälschung, Bestechung der Finanzpolizei, Steuerhinterziehung und Bestechung von Richtern versucht er durch Änderungen von Gesetzen zu entgehen. Hunderttausende gehen gegen Berlusconis Politik in Italien auf die Strassen und es werden immer mehr, doch die Medien berichten kaum darüber, denn wenn die Sendeanstalten nicht ohnehin zu Berlusconis Imperium gehören, lässt er sie als Politiker kontrollieren und zensieren, wie die staatliche RAI. Im Mutterland des Faschismus, so sagen die Kritiker, etabliert sich wieder ein autoritäres, zudem korruptes Regime. Den historischen Parallelen zwischen dem Mussolini-Faschismus und der rechten Berlusconi-Koalition geht ein Buch nach, dass gerade im Rotpunktverlag erschienen ist. Der Autor Jens Renner analysiert Ideologie und Praxis der italienischen Faschisten und setzt sie in Beziehung zum 'neuen Marsch auf Rom’. Ruth Jung hat sein Buch für uns gelesen.

    Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andere Mal als lumpige Farce. Mit dieser pointierten Beobachtung eröffnete Karl Marx im 18. Brumaire des Louis Bonaparte seine Analyse der gescheiterten Zweiten Republik und Errichtung einer cäsaristischen Diktatur in Frankreich. Hatte sich doch der Neffe von Napoléon Bonaparte hemmungslos der Legende und Symbolik des großen Onkels bedient, um seinen Staatsstreich durchzuführen. Berlusconi müsse noch sehr an sich arbeiten, um an Mussolini heranzureichen, ließ sich Neofaschist und Vizepremierminister Gianfranco Fini vor einiger Zeit vernehmen. Dass er diese Bemerkung später nie gemacht haben will, mag man als Inszenierungselement einer modernen "lumpigen Farce" sehen. Doch sollte dabei nicht aus dem Blick geraten, dass diese vermeintliche Farce eine akute Gefährdung für den Fortbestand der Demokratie in Italien darstellt.

    Den Blick der Leser zu schärfen für die äußerst problematische Entwicklung im "Mutterland des Faschismus", ist Ziel des vorliegenden Buches. Der Publizist und ausgewiesene Italienkenner Jens Renner legt mit seinem Buch eine hoch aktuelle, klar strukturierte und gut lesbare Darstellung der Politik und Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert vor; noch ergänzt um einen nützlichen Anhang mit Daten zur Geschichte, Erklärungen und einem Register.

    Die Geschichte wiederholt sich nicht. Renner fragt bei seiner Geschichtsbetrachtung achtzig Jahre nach dem Marsch auf Rom nach Analogien in den aktuellen Politikformen zu jenen des historischen Faschismus im Italien der 20er Jahre. Zugleich ist seine Arbeit der Versuch einer Bilanz ein Jahr nach dem Wahlsieg Berlusconis. Das Fazit ist düster: Italien sei nicht länger ein demokratischer Staat, die derzeitige Regierung vielmehr "ein Regime", wobei festzuhalten sei:

    Am demokratischen Zustandekommen der Regierung Berlusconi gibt es keinen Zweifel. Sie hat die Wahlen am 13. Mai 2001 zwar nicht mit überwältigender, aber doch mit deutlicher Mehrheit gewonnen.

    So wie die erste Phase, "als Mussolini an die Macht kam, verfassungsrechtlich korrekt war," fügt der Autor hinzu. Im Gegensatz zum Wahljahr 1994, in dem seine Amtszeit schon nach 226 Tagen endete, hält Berlusconi dieses Mal das Zepter fest in der Hand. Seinen Wahlsieg interpretiert der Regierungschef als Freibrief zur Aushebelung demokratischer Grundrechte: Die kürzlich verabschiedeten Legge Cirami, die neuen Justizgesetze, begünstigen den Unternehmer Berlusconi höchstpersönlich - und sind ein Hohn auf die italienische Verfassung. Italien hat einen Regierungschef gewählt, der unverfroren dieses Amt mit seiner Tätigkeit als Unternehmer vermischt. Sein Gerede vom "Unternehmen Italien", das er mit "strenger Hand" zu führen gedenkt, ist ganz wörtlich zu verstehen.

    Auf welchen Begriff der autoritäre Regierungsstil zu bringen ist, bleibt unter den oppositionellen Kräften umstritten.

    Um genaue Differenzierung bemüht, hütet sich der Autor, dieses Regime bereits faschistisch zu nennen, auch wenn er - wie der Schriftsteller Dario Fo in einem Leitartikel in Le Monde - vor der Möglichkeit "eines neuen Faschismus" warnt. Es geht ihm vielmehr darum, das Geschichtsgedächtnis wiederzubeleben und auf die unverarbeiteten Aspekte des italienischen Faschismus hinzuweisen. Als einen Zeitzeugen zitiert Renner den 1909 geborenen Philosophen Norberto Bobbio. Bobbio hatte bereits nach dem ersten Wahlerfolg der Berlusconi-Fraktion 1995 auf die Frage nach der fortbestehenden faschistischen Gefahr in Italien geantwortet:

    Warum ich glaube, dass die Faschisten nicht verschwunden sind? Weil ich sie sehe. Weil ich die gleiche Mentalität sehe, die gleiche Unverschämtheit, die gleiche Vulgarität. Man kann den Faschismus nicht hinter sich lassen, wenn die Faschisten die gleichen bleiben. Der Faschismus repräsentiert das andere Italien, das Italien der Unkultur.

    Problematisch an dieser Entgegensetzung ist die Annahme, dem Faschismus mit der Verteidigung der Kultur begegnen zu können – wo doch eine tiefergreifende Analyse not tut. Mit welchen Methoden sich eine faschistische Tradition ungebrochen behauptet und das "Italien der Unkultur" lebendig erhält, lässt sich eindrücklich am Beispiel der Nachfolgeorganisation der Mussolini-Partei, dem Movimento sociale italiano - kurz MSI - studieren. Dem nur vordergründigen Wandlungsprozess der Partei, die sich unter Führung des schlauen Strategen Fini 1995 in Alleanza Nazionale umtaufte, geht der Autor im Kapitel "Mussolinis Erben" detailliert nach. Fini, als "starker" Mann im Hintergrund für die "chilenischen Verhältnisse" in Genua im Juli 2001 verantwortlich, ist Hauptakteur des Durchbruchs des MSI zu einer modernen rechtsextremen Partei, wie sie seit dem Parteitag von 1998 in Verona an die Öffentlichkeit tritt:

    Taktisch flexibel, ideologisch beinhart. (...) Neu an dem in Verona beschlossenen Programm ist vor allem, dass es schwarz auf weiß nachvollzog, was Alleanza Nazionale in der Tagespolitik längst vorgelegt hatte: die Anpassung an die Erfordernisse eines modernisierten italienischen Kapitalismus, der seinen Beitrag dazu leistet, dass die EU weltweit ökonomisch und politisch bestehen kann (...) Herausgekommen ist ein fast lupenreines neoliberales Programm.

    Das Aufzeigen der Doppelstrategie der Alleanza Nazionale, die ja zum Regierungsbündnis gehört und sich offen auf die angeblich "guten Seiten" des Faschismus beruft, ist ein wesentliches Verdienst des Autors, stand doch eine Analyse der Politik der italienischen Neofaschisten unter Berücksichtigung der ökonomischen Veränderungen durch die 'Globalisierung’ bislang aus. Und die so verstandene Modernisierung vertrage sich hervorragend mit dem alten ideologischen Kitt, wie etwa dem faschistischen Kult des "starken Mannes" – Klaus Theweleits Männerphantasien lassen grüßen – , der in der Figur Berlusconis neue Urstände feiert. In einer als Wahlpropaganda an die Haushalte verschickten Bildmontage "Una Storia italiana" hatte sich der postmoderne Gewinnertyp in Posen präsentiert, die, so machen die ausgewählten Bildbeispiele deutlich, den Männerphantasien der Mussolini-Faschisten auffallend nahe kommen.

    Am Beispiel der Studien des renommierten Historikers Renzo de Felice problematisiert Renner die Rolle der italienischen Geschichtswissenschaft vor dem Hintergrund des seit 1975 andauernden Historikerstreits. De Felice nämlich habe die Argumentationsgrundlage mitgeschaffen, um die "guten Seiten" des italienischen Faschismus von den "schlechten Seiten" des deutschen Nationalsozialismus abzuheben. Renner hingegen sieht im italienischen Faschismus

    ... keinen Betriebsunfall, keine 'Parenthese’ der italienischen Geschichte, wie Benedetto Croce behauptet. Er war die – allerdings nicht unausweichliche – Konsequenz der seit Gründung des italienischen Nationalstaates (1861-1870) von den herrschenden Eliten betriebenen Politik.

    Die beunruhigende Frage schließlich, ob es sich bei diesem italienischen Rechtsregime um ein neues Modell für Europa handeln könnte, wird im sehr kurz gefassten Schlusskapitel leider nur thesenartig angesprochen. Denn hier bricht der "dringend gebotene 'Pessimismus der Analyse’ ", unvermittelt ab. Eine Form des Pessimismus, die, so betont der Autor, " nicht im Widerspruch zu einem 'Optimismus des Handelns’ steht". Diese von Antonio Gramsci inspirierte Haltung mag sich auch in den Aktionen von hunderttausenden von Italiener widerspiegeln, die in diesen Monaten gegen die Regierung Berlusconi demonstrieren. Vielleicht muss sich jener "Optimismus des Handelns" erst bewähren, um die Frage nach dem italienischen Vorbild für Europa beantworten zu können.

    Ruth Jung besprach: Der neue Marsch auf Rom, Berlusconi und seine Vorläufer, erschienen im Rotpunktverlag in Zürich. Das Buch hat 198 Seiten und kostet 19.80 €.

    Zum Thema Italien und seiner Rechtsregierung kann ich Ihnen noch ein weiteres Buch empfehlen. Es heißt Berlusconis Italien - Italien gegen Berlusconi und ist im Verlag Klaus Wagenbach erschienen. Das Taschenbuch versammelt 23 Aufsätze von prominenten italienischen Intellektuellen, darunter Umberto Eco und Antonio Tabucchi, Nanni Moretti und Luigi Malerba, die sich zum Widerstand gegen ein gewähltes autoritäres Rechtsregime von Forza Italia, Neofaschisten und Lega Norte wehren. Das Buch gestattet neben interessanten politischen Informationen auch Einblicke in die heterogene Koalition der Berlusconi-Gegner. Der Band hat 186 Seiten und kostet 11.90 €.