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Jenseits der Echtheitsfrage

Seine Heimatstadt Straßburg feiert den Dada-Bildhauer und Poeten Hans Arp. Im Museum für moderne Kunst sind unter dem Motto "Art is Arp" über 180 Zeichnungen, Collagen, Skulpturen und Reliefs des deutsch-französischen Künstlers versammelt, darunter auch Gemeinschaftsarbeiten mit seiner Frau Sophie Taeuber-Arp. Der Ausstellung gelingt es, den Zuschauer mit dem Arp-Virus anzustecken.

Von Christian Gampert | 19.10.2008
    "Weh, unser guter Kasper ist tot!" Nun, so schnell ist Jean Arp - oder auch Hans Arp - nicht kleinzukriegen. Zwar hat man in letzter Zeit vor allem über nicht autorisierte Nachgüsse seiner Skulpturen diskutiert; jetzt aber widmet Arps Heimatstadt Straßburg dem Sohn eine grandiose Ausstellung, die das Gesamtwerk als einen großen, nach allen Seiten sich ausbreitenden Organismus vorführt: Plastik und Poesie, Zeichnung und Relief und Collage; Produzieren als Daseinsform, immerwährende Kreativität.

    Der Zuschauer wird also quasi angesteckt mit dem Arp-Virus, und obwohl die einzelnen Kapitel der Ausstellung klare Themen und Material-Schwerpunkte vorgeben, ist die Doppelbegabung, die Mehrfachexistenz Arp gar nicht so einfach zu fassen. Was war er denn? Franzose? Deutscher? Elsässer? Bildhauer? Poet? Bastler?

    - " Ich bin in der Natur geboren, ich bin in Straßburg geboren, ich bin in einer Wolke geboren, ich bin in einer Pumpe geboren, ich bin in einem Rock geboren."

    Solche historische Aufnahmen gehören ebenso zu dieser Ausstellung wie die Dada-Bücher oder Gebilde aus Schnur oder Teppichknüpfereien, die konstruktive Formen variieren. Die Leichtigkeit, mit der da jemand zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch sämtliche Avantgarden hindurchging und trotzdem etwas ganz Eigenes fand, wird von der Kuratorin Isabelle Ewig zum Ausstellungsprinzip gemacht. Sie zeigt zunächst einmal, wie Arp sich vom Gegenständlichen verabschiedet und in die Metamorphose der Formen eintaucht.

    - " Ich habe vier Naturen. Ich habe zwei Dinge. Ich habe fünf Sinne. Sinn ist ein Unding. Natur ist Unsinn. Platz da für die Natur da!... Platz dada für die Natur dada."

    Dada war ein kindlicher, destruktiver, anarchischer Nonsens, aber Arp ging völlig unbeschadet aus der Züricher Zeit hervor - denn die Natur war für ihn tatsächlich der Überbau, die große Grundform, die Trösterin, das Oval, die fette Amöbe, aus der sich alles entwickelt, die sich zellteilt und sich neu zusammensetzen lässt.

    So wie man Laute und Worte neu kombinieren kann, so kombiniert Arp dann neue, arme Materialien, Schnur, Pappe, zerknittertes Papier. Er nimmt Holz für seine Reliefs und macht daraus die "Grablegung der Vögel" - noch ist erster Weltkrieg. Ein konstruktivistisches Bild nennt er einmal, politisch, "Kreuzigung", ein andermal "Komposition". Der Autorenbegriff ist ihm eher fremd: er reibt sich an anderen, den Besten, produziert gemeinsam mit Max Ernst oder seiner Frau Sophie Täuber-Arp. Mit ihr und Theo van Doesburg besorgt er in den 1920iger Jahren auch die Innenausstattung des Straßburger Amüsierlokals "L'Aubette", die hier weitreichend dokumentiert ist: das ist strenge, Mondriansche Farb-Modernität, wirkt aber in seiner Buntheit wie orientalische Ornamentik.

    Die Ausstellung leistet sich dann einen Insider-Joke: dort, wo sonst Rodins schwerfälliger "Denker" steht, hat man ein riesiges Foto des ebenfalls nachdenklich sich stützenden Arp platziert - und davor, programmatisch, die gerundete Riesenplastik der "Fruit de la Lune" von 1936. Dieser zweite Ausstellungs-Teil ist vor allem der Bildhauerei und den biodynamischen Formen gewidmet, wobei man die Frage nach den Güssen ganz offensiv angeht: das Fertigen von Skulpturen sei sowieso Sache der Assistenten gewesen. Naja. Vorsichtshalber hat man nur wenig aus Rolandseck ...

    Und dann zeigt man doch noch Arps aggressive Seite, das Zerschneiden und Neu-Zusammensetzen von plastischen Formen, das Zerknüllen und Zerreißen auch von Papier, mit dem dann gearbeitet wird: guillotinierte Glieder, gewalttätige Gesten. Der letzte Saal ist versöhnlich: eine Wandelhalle vegetativer skulpturaler Formen, lauter Torsi, lauter Einzelteile, und doch die Summe eines Künstlerlebens, das für die Traurigkeit des 20. Jahrhunderts klassische Formen fand.