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Jenseits des Fälschungsskandals

Physik. - Russische Physiker gaben jetzt bekannt, ihnen sei die Herstellung der schwersten Atomkerne der Welt - die Elemente Nr. 116 und 118 - gelungen. Diese Nachricht ist indes besonders pikant, weil schon einmal jemand behauptet hatte, genau diese Elemente hergestellt zu haben: Ein deutscher Forscher, dem später Forschungsfälschung nachgewiesen wurde. Die Fachwelt reagiert entsprechend mit Vorsicht auf die Erfolgsmeldung mit Weltrekordcharakter.

17.06.2003
    Von Jan Lublinski

    Der Russe Vladimir Utyonkov präsentiert derzeit auf Fachkongressen stolz Overhead-Folien mit vielen bunten Kästchen: die Elemente der chemischen Periodentafel. Zwei weiße Flecken auf dieser Karte hat Utyonkov neu mit Farbe versehen: Die Elemente 116 und 118. Entstanden sind diese neuen, schwersten Atomkerne der Welt in einer Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Lawrence Livermore National Laboratory in den USA. Diese lieferten das sogenannte Target-Material – Zielscheiben aus Plutonium und Kalifornium, die ihre russischen Kollegen dann in ihrem Labor mit einem Strahl aus Calcium-Atomkernen beschossen. In diesem Trommelfeuer verschmolzen dann gelegentlich zwei Atomkerne miteinander und bildeten ein neues Element. Diese superschweren Atomkerne leben in der Regel nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie zerfallen. Die Physiker sind aber langfristig auf der Suche nach längerlebigen schweren Atomkernen, die eine neue Form der stabilen Materie bilden könnten. Soweit aber sind Utyonkov und Kollegen vom Forschungszentrum Dubna noch nicht, ihre Elemente lebten nur für Millisekunden. Dennoch konnten sie insgesamt 8 Exemplare des Elements 116 herstellen sowie ein Element mit der Rekordzahl von 118 Protonen im Atomkern.

    Wir haben nur ein Element 118 nachweisen können. Aber wir werden das Experiment wiederholen: Unsere Kollegen aus Livermore liefern uns frisches Californium, voraussichtlich 11 oder 12 Milligramm. Damit können wir eine neue Zielscheibe herstellen - und vielleicht schon diesen Sommer oder Herbst weitermessen.

    Die Arbeit mit den hochgiftigen Zielscheiben aus Plutonium und Californium ist nicht unproblematisch – sie erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen. Für das Kernforschungszentrum Dubna kein Problem, meint Vladimir Utyonkov.

    Wir haben unsere Reaktionskammer neu konstruiert. Wir nutzen einen doppelten Schutzschild, um eine Verbreitung des radioaktiven Materials zu verhindern. Außerdem haben wir eine spezielle Überwachungseinrichtung für radioaktive Partikel in der Luft. Ich muss aber auch sagen, dass die Zielscheiben sehr stabil sind – und wir können sehr genau kontrollieren, wie viel Material abgetragen wird.

    Nun ist es aber nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler behaupten, sie hätten die Elemente 116 und 118 hergestellt. Der deutsche Physiker Viktor Ninov sorgte bereits 1999 im kalifornischen Berkeley mit der Ankündigung für Aufsehen, er habe Krypton- und Blei-Atomkerne miteinander verschmolzen. Zwei Jahre später entpuppte sich dieses Resultat allerdings als Betrug. Ninov hatte Daten ergänzt und frei erfunden. Und - wie sich später herausstellte: er hatte bereits früher, in Deutschland geschummelt: An der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt war er Mitte der 90er Jahre unter anderen an der Synthese des Elementes 112 beteiligt gewesen - und auch bei dieser Entdeckung hatte er den Daten ein wenig nachgeholfen.

    Der Fehler, den diese beiden Labors begangen haben, war, dass immer nur eine Person die Daten analysiert hat. Wir haben darum unsere Kooperation mit dem Lawrence Berkeley National Laboratory so angelegt, dass alle Messdaten in beiden Labors, unabhängig voneinander, analysiert werden. Auch werden keine Daten irgendwie codiert oder umgewandelt. Wir arbeiten mit den Rohdaten – das scheint mir in der derzeitigen Situation sehr wichtig zu sein.

    Trotzdem wird es wohl noch länger dauern, bis auch Utyonkovs Fachkollegen in aller Welt überzeugt sind, dass nun die Elemente 116 und 118 tatsächlich hergestellt wurden. Denn: auch wenn es den Russen gelingt, ihre Experimente mehrfach zu wiederholen, werden die Zweifel nicht gleich ausgeräumt sein. Und dass andere Labors das Experiment nachmachen werden, ist bis auf weiteres auch nicht abzusehen. Derzeit hat niemand Interesse an Experimenten mit den gefährlichen Zielscheiben aus Plutonium und Californium.