Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Jerusalem-Ausstellung
Hauptstadt von Himmel und Erde

Zwischen 1000 und 1400 galt Jerusalem als Zentrum der Welt. In einer monumentalen Ausstellung zeigt das Metropolitan Museum in New York, wie die Stadt Heiligkeit und Handel miteinander verband und florierte. Sacha Verna hat sich davon beeindrucken lassen.

Von Sacha Verna | 01.10.2016
    Ausblick auf den Jerusalemer Tempelberg mit dem Felsendom und der Klagemauer im Abendlicht.
    Der Felsendom in Jerusalem. (picture alliance / dpa/ Marius Becker)
    Ob Christen, Juden oder Muslime, ob Menschen anderen oder gar keines Glaubens, sie alle hatten im Mittelalter nur ein Ziel: Jerusalem. Das New Yorker Metropolitan Museum zeigt nun Schätze aus 60 internationalen Sammlungen, die einen Eindruck von der Glanzzeit dieser Hauptstadt, des Dies- und des Jenseits vermitteln. Viele der Exponate sind zum ersten Mal im Westen zu sehen. Der Titel der monumentalen Schau: "Jerusalem 1000-1400: Every People Under Heaven".
    Jerusalem sei die erhabenste aller Städte, schrieb der Geograf Al-Muqaddasi im zehnten Jahrhundert: Sie vereine in sich die Vorzüge dieser und der nächsten Welt. Melanie Holcomb formuliert es ein wenig trockener: Zwischen dem zehnten und dem vierzehnten Jahrhundert habe Jerusalem als Zentrum der Welt gegolten. Über zweihundert Artefakte aus dieser Zeit haben Melanie Holcomb und ihre Co-Kuratorin Barbara Drake Boehm für die monumentale Ausstellung im Metroplitan Museum versammelt, von kostbaren Teppichen bis zu Gebäudefragmenten.
    Sehnsuchtsort von Spirituellen und Geschäftsleuten
    Als Heilige Stadt des Christentums, des Judentums und des Islam war Jerusalem seit langem Wallfahrts- und Sehnsuchtstort von unzähligen Menschen. Nun aber gesellte sich zur Heiligkeit der Handel: "Es war Jerusalems spirituelle Bedeutung, die mehr und mehr Geschäftsleute in die Stadt brachte. Händler aus der ganzen Welt entdeckten die Stadt als vielversprechenden Markt für ihre Waren. Sie begannen zu berechnen, wie stark sie vor gewissen Feiertagen ihre Vorräte aufstocken mussten." Vor Ostern und Weihnachten zum Beispiel wuchs das Angebot an Ikonen.
    Die bronzefarbene Statue vor einer gemauerten Wand.
    König David: Skulptur von Alexander Dyomin in Jerusalem. (Imago / Zuma Press)
    Das über und über mit Gold verzierte Diptychon in der Ausstellung war vermutlich nur für einen begüterten Gläubigen erschwinglich. Aber auch der Handel mit preiswerteren Exemplaren florierte, wie die feine Darstellung eines umtriebigen Geschäftsmannes zeigt, der einem potenziellen Kunden bei der Auswahl behilflich ist.
    Pilger waren die Touristen des Mittelalters, und luxuriöse Ausgaben sakraler Texte, Schmuck und Glasarbeiten mit religiösen Inschriften in einer Vielzahl von Sprachen waren die ersten Souvenirs. In Aufzeichnungen preisen Jerusalems Besucher die Qualität der angebotenen Güter. Dass selbst "Made in China" damals für das Allerbeste stand, beweist eine prächtige Steingutschale, die mit ihrer schillernden Glasur auch jetzt noch ein Blickfang in jedem noblen Intérieur wäre.
    Die Kämpfe zwischen Machthabern und Eroberern hinterließen Tod und Zerstörung
    In Jerusalem war also das Meiste tatsächlich Gold, was glänzte. Doch für himmlische Harmonie gab es keine Garantie. Während seiner Blütezeit wurde die Stadt abwechselnd von Kalifen, Kreuzrittern und Sultanen beherrscht. Die Kämpfe zwischen Machthabern und Eroberern hinterließen Tod und Zerstörung, dazu kamen Naturkatastrophen.
    Interessant ist, wie sehr sich, wer auch immer gerade auf dem Thron saß, darum bemühte Jerusalems Erscheinungsbild in seiner ganzen Vielfalt zu erhalten. Byzantiner schlossen vertraglich belegte Bündnisse mit Fatimiden, um nach mehreren Erdbeben den Felsendom wieder aufzubauen. Christen metzelten die Muslime gnadenlos nieder, hielten sich bei deren Heiligtümern aber zurück oder reklamierten sie einfach für sich. Auch die eifrigsten Frömmler waren sich offenbar bewusst, dass der besondere Status dieses Ortes von seiner Bedeutung für viele Kulturen abhing.
    Israel - Kinder in der Altstadt von Jerusalem.
    Kinder in der Altstadt von Jerusalem. (picture alliance / dpa / Matthias Tödt)
    Eine Erlösung Jerusalems scheint ferner denn je
    Die Gegenwart fehlt in dieser Ausstellung. Genauer: Die Gegenwart, die das Metropolitan Museum präsentiert, ist eine friedliche. Auf die Wände sind Aufnahmen von der sonnengebadeten Skyline der Stadt und von Olivenhainen projiziert. In Videos erzählt ein Tuchhändler von seinen Geschäften, ein örtlicher Philosophieprofessor philosophiert. Natürlich betrachtet man die Schätze in den Vitrinen dennoch mit den Bildern der blutigen Gegenwart im Kopf, die einen aus dieser Stadt durch die Medien regelmäßig erreichen. Jerusalem war dem Paradies vor tausend Jahren bestimmt nicht näher als heute. Einer Erlösung scheint es jedoch ferner zu sein denn je.