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Jetziger Gesundheitsfonds ist "kein Dauerzustand"

Union und FDP liegen beim Thema Gesundheitsfonds noch auseinander. Karl Lauterbach schlägt erneut die Solidarversicherung für alle - auch die jetzt privat Versicherten - oder die stückweite Privatisierung des Systems vor.

06.10.2009
    Dirk Müller: Karl Lauterbach, guten Tag!

    Karl Lauterbach: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Lauterbach, was läuft da schief?

    Lauterbach: Ich glaube, dass FDP und Union kein Konzept haben. Die FDP will ein Stück des Gesundheitssystems privatisieren, das ist aber ein Vorschlag zur Unzeit, weil die Menschen heute keine Lust haben, noch mehr aus eigener Tasche zu bezahlen. Das ist auch sehr schwer vermittelbar, denn das Leistungsspektrum der Kasse wird ja nicht erweitert, wieso soll dann mehr privat bezahlt werden? Das ist der FDP-Vorschlag. Und die Union, die weiß im Prinzip nicht, wie es vorangehen soll, sondern würde an und für sich gerne wieder mehr Geld nach Bayern und nach Baden-Württemberg lenken, aber dieses Geld würde dann in Nordrhein-Westfalen oder in den neuen Bundesländern fehlen. Von daher ist das Tischtuch für den Tisch zu klein für den Unionsvorschlag, und der FDP-Vorschlag, die Privatisierung, das halte ich für kaum durchsetzbar.

    Müller: Herr Lauterbach, jetzt haben Sie mich ein bisschen verwirrt. FDP und Union waren ja bislang zumindest jetzt noch nicht auf der Regierungsbank. Der Gesundheitsfonds geht auf Ihre Kosten.

    Lauterbach: Der Gesundheitsfonds beschreibt ja lediglich das, was wir gemeinsam beschlossen haben. Sie wissen, ich persönlich bin kein großer Befürworter des Gesundheitsfonds gewesen, aber die jetzt in der Diskussion stehenden Vorschläge von FDP und Union sind allesamt schlechter. Der Fonds hat immerhin dafür gesorgt, dass die Krankenkassen, die vor Jahren noch hoch verschuldet gewesen sind – Sie bringen in Erinnerung, fünf bis sechs Milliarden Euro Schulden –, sie sind jetzt schuldenfrei, und die Kassen haben, auch ohne Zusatzbeiträge, die riesige Finanz- und Wirtschaftskrise überstanden. Es ist auch nicht so, dass heute Nachmittag ein riesiges Defizit vom Schätzerkreis benannt werden wird.

    Müller: Was haben Sie denn für eine Zahl da im Kopf?

    Lauterbach: Ich will da nicht vorgreifen, aber auf keinen Fall die neun Milliarden, die hier in Rede stehen. Die Arbeitslosigkeit ist nicht so stark gestiegen, wie zu erwarten war. Das ist auch dem Kurzarbeitergeld zu verdanken. Somit sind die Ausfälle der Kassen nicht so groß wie zu erwarten, und man wird also sehen: Das Defizit fällt nicht so groß aus, obwohl wir eine riesige Finanz- und Wirtschaftskrise haben und obwohl die Ärzte und die Krankenkassen deutlich mehr Geld bekommen.

    Müller: Wir haben, Herr Lauterbach, bislang die Zahl bekommen: sieben bis neun Milliarden. Da sagen Sie jetzt ganz klar hier im Deutschlandfunk, noch vor den offiziellen Zahlen: So hoch wird es nicht sein.

    Lauterbach: Ich glaube nicht, dass die Zahl so hoch ausfallen wird, genau.

    Müller: Dennoch noch mal die Frage: Was ist im Gesundheitsfonds schiefgelaufen, wenn es dort so viel Kritik gibt, dass, wie Sie sagen, zwar die Krankenkassen sich saniert haben auf Kosten der Beitragszahler und durch Steuerzahlungen auch aus der Bundeskasse, aber jetzt mit dem Geld nicht mehr hinkommen?

    Lauterbach: Na ja, der Gesundheitsfonds war ja ursprünglich so gedacht, dass die Einkommensstärksten, das heißt also die privat Versicherten, diejenigen, die sehr hohe Einkünfte haben, dass die auch in den Topf einzahlen. Die Solidargemeinschaft sollte ausgedehnt werden. Das hat aber die Union dann nicht mehr mitgemacht. Jetzt zahlen genau die Leute in den Fonds ein, die auch vorher die Kassenbeiträge bezahlt haben. Somit war der Fonds überflüssig geworden. Der Fonds sollte die Beitragsbemessungsgrundlage ausdehnen auf die Einkommensstärksten. Das ging dann nicht, somit war der Fonds im Prinzip ohne seinen ursprünglichen Zweck.

    Müller: Dann hat die FDP also recht, wenn sie sagt, der Fonds muss weg?

    Lauterbach: Der Fonds ist auf jeden Fall keine große Innovation, wenn man ihn so lässt, wie er jetzt ist. Entweder bezieht man die privat Versicherten mit ein und wandelt den Fonds, wie ursprünglich geplant war, in eine Art Bürgerversicherung, oder aber man macht etwas anderes. Der Fonds in der jetzigen Form, das ist zumindest meine Überzeugung, ist kein Dauerzustand. Und hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man geht ein Stück weit in Richtung Privatisierung, wie die FDP das vorschlägt, oder aber man dehnt die Solidarität aus. Also, entweder bezahlen die Einkommensstarken etwas mehr und die Solidargemeinschaft wächst, oder aber wir kommen mit dem Geld nicht aus und dann muss privatisiert werden. Und da gibt es schon einen großen ideologischen Unterschied zwischen den politischen Lagern.

    Müller: Herr Lauterbach, jetzt haben Sie gesagt, die Starken, diejenigen, die es sich leisten können, die sollen tiefer in die Tasche greifen. Sie haben nicht gesagt, dafür bezahlen die anderen weniger. Das heißt, wir müssen uns definitiv darauf einrichten, dass alle irgendwann immer mehr bezahlen?

    Lauterbach: Das ist ja der Vorschlag, den wir machen würden. Die SPD hat sich immer dafür eingesetzt, dass das Krankengeld, die Versorgung der Menschen mit medizinisch notwendigen Leistungen ... das darf nicht vom Einkommen abhängen. Und wenn das nicht vom Einkommen abhängen soll, dann darf man eben die wichtigsten Leistungen nicht privatisieren und dann muss die Solidargemeinschaft auch die Einkommensstärksten mit einbeziehen. Das ist ein Vorschlag, den die Menschen wünschen. Es ist nicht einzusehen, dass wir in Deutschland immer mehr in Richtung Zwei-Klassen-Medizin gehen und meine große Befürchtung ist tatsächlich, dass FDP und Union bereits in den Koalitionsverhandlungen in diese Richtung sich bewegen werden.

    Müller: Aber die Ärzte jammern ja seit Jahren, sie verdienen nicht mehr so viel Geld, wie sie das für nötig halten, auf der anderen Seite werden die Ärzte doch – viele Ärzte ja zumindest, von den privat Versicherten – in dem Sinne quersubventioniert.

    Lauterbach: Zunächst einmal gibt es sehr viele Ärzte, die überhaupt keine oder sehr wenige privat Versicherte haben – und das System kann nicht so ungerecht sein, dass ausgerechnet die Ärzte, die in Problembereichen arbeiten, mit wenig privat Versicherten, die Verlierer des Systems sind. Es geht ja auch nicht darum, den Ärzten etwas wegzunehmen, sondern unser Vorschlag war immer der, und dabei bleibe ich auch, dass die Einkünfte der Ärzte gerechter verteilt werden sollen, aber nicht geschmälert werden sollen. Das heißt, diese Art der Quersubventionierung, die jetzt nicht die richtigen Ärzte erreicht, ... Es trifft eben nur Ärzte, die, sagen wir mal, viele privat Versicherte haben, diese zum Teil auch intensiver behandeln, als es den privat Versicherten gut tut, die profitieren vom System. Der Kinderarzt, der Hausarzt, der Neurologe, der in einer Vorstadt arbeitet, wo wenig privat Versicherte sind, der ist doppelt benachteiligt, der hat mehr Arbeit, der ist in der Regel voll ausgelastet und hat auch noch weniger Geld. Das ist kein richtiges System.

    Müller: Sie sind ja ein Insider, ein großer Kenner des Systems, Herr Lauterbach. Deswegen an Sie auch die Frage: Können Sie Berichte bestätigen, wonach sich viele Ärzte unredlich am Gesundheitsfonds bedienen, wie der "Spiegel" jetzt behauptet?

    Lauterbach: Ich habe die Frage jetzt akustisch nicht verstehen können, wenn Sie es kurz wiederholen könnten?

    Müller: Können Sie es, Herr Lauterbach, bestätigen, dass sich viele Ärzte unredlich am Fonds bedienen – durch Scheintherapien, durch manipulierte Diagnosen beispielsweise?

    Lauterbach: Nein, der Arzt hat davon ja nichts. Wenn der Arzt beispielsweise eine höhere Codierstufe wählt – also, er macht den Patienten kränker, als er in Wirklichkeit ist –, dann hat der Arzt selbst davon zunächst einmal nichts. Die Krankenkasse bekäme dann mehr Geld. Aber es gibt ganz wenige Ärzte, die sich auf so etwas einlassen. Überlegen Sie sich, was haben Sie als Arzt davon, wenn Sie der AOK mehr Geld verschaffen? Es gibt da einen recht, sagen wir mal, kritischen Vertrag in Bayern, zwischen der AOK Bayern und dem dortigen Hausärzteverband. Dieser Vertrag ist aber schon geändert worden und sonst sind mir keine Beispiele bekannt, wo dieses Geschäft läuft. Somit – das ist eine plausible Mechanik, die aber bei näherer Betrachtung nicht wirklich plausibel ist und flächendeckend keine Rolle spielt.

    Müller: Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Lauterbach: Ich danke Ihnen, Herr Müller!