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"Jetzt hat Israel zwei Fronten"

Moshe Zimmermann, Historiker an der Universität Jerusalem, wertet die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die Hisbollah-Miliz als Unterstützung der palästinensischen Hamas. "Die Hisbollah ist die andere Hand der Hamas-Bewegung", sagte Zimmermann. Aus seiner Sicht ist die Lage im Nahen Osten ohne eine internationale Vermittlung nicht zu beruhigen.

Moderation: Silvia Engels | 12.07.2006
    Silvia Engels: Guten Tag, Herr Zimmermann!

    Moshe Zimmermann: Guten Tag.

    Engels: Die libanesische Hisbollah-Miliz hat nun also auch zwei israelische Soldaten entführt. Die israelische Armee reagiert mit Luftschlägen. Und soeben hat Ministerpräsident Olmert bestätigt, dass auch Bodentruppen im Südlibanon agieren. Wie beurteilen Sie diese Zuspitzung?

    Zimmermann: Das ist eine Eskalation, die nicht unerwartet ist. Die Hisbollah mischt sich immer ein. Die Hisbollah ist die andere Hand der Hamas-Bewegung, oder noch besser die andere Hand der regierenden Macht Iran, und weil Israel eben im Gaza diese Militäroperation fortsetzt, war es zu erwarten, dass eine Art Entlastung auf den Norden Israels kommt, und diese Art Entlastung für die Hamas-Leute im Gaza ist eben gekommen. Jetzt hat Israel zwei Fronten. Das ist zwar nicht ein konventioneller Krieg, aber Israel hat sich nicht nur auf eine Front zu konzentrieren wie in den letzten zwei Wochen, sondern auf zwei.

    Engels: Aber ist das nicht auch eine neue, politisch internationale Konfliktdimension? Denn auch wenn Gazastreifen schon Autonomiegebiet war, der Libanon ist ein souveräner Staat.

    Zimmermann: Ja klar, und das ist auch die Absicht. Man versucht, international zu agieren und international auch auf Israel Druck auszuüben. Die letzten zwei Wochen haben nicht genügend Druck gegen Israel erzeugt, und man versucht es jetzt auf diese Art und Weise, weil man eben weiß, ohne eine internationale Intervention Amerikas, Europas, der UNO, wird es im Gaza so weitergehen wie in den letzten zwei Wochen. Das ist die Logik. Und das ist auch eine Logik, die für den Kampf von Mafias sehr typisch ist. Jeder versucht, die Anderen unter Druck zu setzten. Man versucht zu erpressen, und man wartet auf eine Art deus ex machina, und das soll jetzt schneller kommen als noch gestern erwartet.

    Engels: Erwarten Sie denn, dass die internationale Gemeinschaft dann mit einer Verurteilung oder zumindest mit scharfen Worten in Richtung Israel regiert?

    Zimmermann: Das reicht nicht aus, oder das ist nicht relevant, scharfe Worte. Die Reaktion, die man erwartet und auch Israel erwartet, ist eben ein Versuch der Vermittlung. Israel muss den Soldaten aus Gaza zurückbekommen und jetzt noch die zwei zusätzlichen Soldaten aus dem Libanon. Israel besteht darauf, oder bestand bisher darauf, dafür nicht mit Gefangenen aus israelischen Gefängnissen "zu bezahlen". Und nur mit einer internationalen Intervention oder Vermittlung kann etwas zustande kommen, wo ein quid pro quo für beide Seiten akzeptabel ist.

    Engels: Steuert denn die israelische Regierung noch in irgendeiner Form den Prozess, oder ist ihr nicht längst durch die immer neue Entführung von Soldaten der Prozess aus der Hand genommen?

    Zimmermann: Es geht nicht um einen Prozess. Es geht hier um ein quid pro quo: Ihr entführt unsere Leute, wir entführen euere Leute, und am Ende müssen wir die gegenseitig auswechseln. Das ist mehr oder weniger die Logik oder der Prozess. Andere Arten von Verhandlungen sind praktisch unmöglich.

    Engels: Das heißt, Sie erwarten nicht, dass Israel jetzt erneut eine Sicherheitszone im Südlibanon oder eine dauerhafte Pufferzone im nördlichen Gazastreifen anstrebt?

    Zimmermann: Nein, nein. Erstens sind es zwei unterschiedliche Sachen. Im Norden des Gazastreifens wird man vielleicht versuchen, einen Streifen freizuhalten von Kassam-Raketen oder von Leuten, die Kassam-Raketen tragen können. Aber im Südlibanon hat Israel überhaupt kein Interesse. Man hat sich ja zurückgezogen aus dem Südlibanon und man ist nicht daran interessiert wieder zurück in diesen Sumpf hineinzukommen.

    Engels: Nun hat sich aber gerade, wenn wir auf die Entführungen von Soldaten schauen, ja in den letzten Tagen nichts mehr bewegt. Sie haben gesagt Israel und auch die andere Seite versuchen hier quid pro quo zu spielen, das heißt einen Austausch, einen gegenseitigen Interessenausgleich. Aber wenn das nicht passiert?

    Zimmermann: Ich habe die letzten Worte nicht gehört.

    Engels: Wenn das nicht passiert, wenn das nicht gelingt, dass dieser Austausch im Hintergrund dann in irgendeiner Form gelingt?

    Zimmermann: Okay, dann muss man sich mehr bemühen, und deswegen hat die Hisbollah jetzt angegriffen. Also wenn die Welt oder die Organisationen, die dafür etwas unternehmen können, wie die UNO, sich bisher nicht genügend angestrengt haben, werden sie sich jetzt mehr anstrengen. Am Ende kommt so ein quid pro quo zustande.

    Engels: Moshe Zimmermann war das. Historiker an der Universität Jerusalem. Ich bedanke mich für das Gespräch.