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"Jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen"

Das Militär sei keine demokratische Institution und sorge nicht für Stabilität, sagt der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken. Den Militärputsch in Ägypten nicht klar zu kritisieren, sei ein zentraler Fehler des Westens gewesen. Jetzt könne man von außen kaum noch etwas ausrichten.

Jan van Aken im Gespräch mit Dirk Müller | 16.08.2013
    Dirk Müller: Die Zahlen schnellten gestern in die Höhe durch die Nachrichtenagenturen. Gegen elf Uhr am Vormittag wurden 38 Opfer gemeldet, um 13 Uhr waren es bereits über 200, um 14:34 Uhr 520 Menschen, die bei den Unruhen in Kairo ums Leben gekommen waren. Hunderte, Tausende Verletzte kommen hinzu.

    Die Gewalt spricht in Ägypten vor allem in dieser Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, die rohe Gewalt: der Staat gegen den Ex-Staat, die Militärs gegen die Muslimbrüder, gegen die Anhänger des demokratisch gewählten Präsidenten, der selbst an einem geheimen Ort festgehalten wird, die Generäle Seite an Seite mit den säkularen, mit den liberalen Kräften, und der Westen schaut ratlos zu, weiß nicht so recht, ob er den vorangegangenen Putsch gut heißen soll oder eben nicht.

    Die Gewalt in Ägypten, die Ratlosigkeit in Washington, die Ratlosigkeit in Europa – am Telefon ist nun der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken. Guten Morgen.

    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.

    Müller: Herr van Aken, wissen Sie wenigstens, auf welcher Seite man stehen soll?

    van Aken: Das ist eine ganz schwierige Frage. Die einfache Antwort aus linker Sicht ist, natürlich zu sagen, ich bin auf der Seite all derjenigen, die friedlich für Freiheit und Demokratie kämpfen.

    Müller: Das sind wir alle.

    van Aken: Genau. Wer das im Einzelfall ist, ist natürlich wirklich ganz schwer. Diese Ratlosigkeit, die Sie beschrieben haben, die ist natürlich da. Da sind viele, viele Fehler gemacht worden. Aber im Moment sehe ich eigentlich kaum noch, was man von außen da jetzt noch machen kann. Das ist alles derart verhärtet. Und wenn bei Demonstrationen über 600 Menschen erschossen werden, dann ist ja fast schon die Grenze zum Bürgerkrieg überschritten.

    Müller: Dann haben Sie auch Verständnis für die Ratlosigkeit des Außenministers?

    van Aken: Ja! Dass er jetzt ratlos ist, verstehe ich. Wo ich überhaupt kein Verständnis für habe, ist, dass er immer noch nicht einsieht, dass zentrale Fehler noch vor wenigen Wochen gemacht worden sind. Als es diesen Militärputsch in Ägypten gab, da hätte man anders reagieren müssen.

    Dann zu sagen, na ja, es gab Millionen auf der Straße, das war eine demokratische Bewegung, das Militär hat das gerettet, und dann den gleichen Fehler zu machen wie bei Mubarak, wie in vielen anderen Staaten, wo man sagt, da gibt es jetzt jemand, der mit harter Hand regiert, der für Ruhe sorgt, der für Stabilität sorgt, und deswegen auf so einen Militärputsch positiv zu reagieren, das geht gar nicht. Mein Gefühl ist, dass es in diese Stahlköpfe von Obama und Westerwelle immer noch nicht reingeht, dass Militärdiktaturen nicht für Stabilität, sondern höchstens für Friedhofsruhe sorgen.

    Müller: Ich bin jetzt ein bisschen verwirrt, Sie haben Mubarak genannt. Da haben Sie aber den Putsch gegen Mubarak vom Volk, von der Straße aus legitimiert?

    van Aken: Ja. Mubarak war ein Diktator. Aber über viele Jahrzehnte hat der Westen inklusive der deutschen Bundesregierung diesen Mubarak ja gestützt. Es war immer das Argument, die sorgen für Stabilität. Das gilt ja bis heute für viele Länder, wo irgendwelche Diktatoren herrschen. Da ist immer das Argument, die sorgen wenigstens für Stabilität. Diesen Fehler, dachte ich eigentlich, hätte man vor zwei Jahren nach dem Arabischen Frühling gelernt, dass das ein Fehler ist, dass es eben immer nur eine Friedhofsruhe ist, die im Grunde genommen dauerhaft für Instabilität sorgt.

    Und jetzt hat man genau den gleichen Fehler gemacht: Als es diesen Militärputsch gab, hat man ihn nicht Militärputsch genannt. Ich habe immer gesagt, wenn das Militär mit Gewalt die Macht an sich reißt, wenn das riecht wie ein Putsch, wenn es aussieht wie ein Putsch, dann muss man es auch einen Putsch nennen, und das hat der Westen versäumt. Er hat sich sofort sozusagen der neuen Militärregierung angedient und hat damit wahrscheinlich dazu beigetragen, dass sie sich zu sicher gefühlt hat und auch auf harte Haltung geschaltet hat.

    Müller: Seit Willy Brandt kennen viele von uns Realpolitik. Da halten Sie nichts von?

    van Aken: Doch, natürlich halte ich was von Realpolitik. Aber man sieht ja, wohin eine falsche Realpolitik führt, wenn ich eine Militärregierung stütze. Es war völlig richtig, dass Mursi abgesetzt worden ist. Es gab eine millionenschwere Demokratiebewegung dort gegen Mursi, das ist völlig in Ordnung.

    Aber wenn ich dann eine Militärregierung stütze, dann stärke ich sie. Dann fühlt die sich sicher, dann hat sie sich in eine extrem harte Haltung zurückgezogen, war absolut nicht verhandlungsbereit gegenüber den Muslimbrüdern. Das hat jetzt zu dieser Eskalation geführt, und das war ein Fehler. Man hätte von vornherein diese Militärregierung kritisch begleiten müssen und nicht unterstützen. Das wäre für mich die richtige Realpolitik gewesen.

    Müller: Aber kritische Töne, wenn wir das, Herr van Aken, richtig in Erinnerung haben, hat es ja schon gegeben, erstens fair mit dem gestürzten Präsidenten umzugehen, und dann hat es diese Auseinandersetzung gegeben. War das legitim, war das nicht legitim? Sicherlich umstritten im westlichen Lager, gerade auch umstritten die Äußerungen von John Kerry. Aber wenn wir über die Realpolitik reden, wenn Sie einerseits sagen, Mursi hat sich Verfehlungen zuschulden kommen lassen, es war richtig, dass er gestürzt wurde, auf wen hätte man dann dort setzen können? Wer kann Stabilität, oder wer kann Regierung garantieren?

    van Aken: Militär ganz sicher nicht. Das war genau der Fehler. Wir haben natürlich alle hier gesessen und haben gedacht, ja, jetzt sind wieder Millionen auf der Straße, Mursi muss weg, das war überhaupt keine Frage. Aber in dem Moment, als das Militär das getan hat und nicht das Volk, so wie damals bei Mubarak – da war es das Volk ja in erster Linie, das ihn gestürzt hat -, dass man dann sich positiv auf dieses Militär bezieht, das ist ein Fehler. Und dann reicht es auch nicht aus zu sagen, wunderbar, ihr Generäle, dass ihr die Macht an euch gerissen habt mit Gewalt, ihr müsst jetzt noch ein bisschen vorsichtig und lieb mit dem Mursi umgehen. Das reicht nicht, das ist zu wenig kritisches Agieren.

    Müller: Aber es wären ja auch nur Worte gewesen, es wären nur Worte gewesen.

    van Aken: Ja, wobei, man darf natürlich nicht unterschätzen, dass Worte aus einem Land wie Deutschland oder den USA oder Frankreich natürlich ein extremes Gewicht haben in Ägypten, weil, es geht da um sehr viel Geld, und es geht um Wirtschaftsbeziehungen.

    Jede Regierung in Ägypten kann eigentlich nicht gegen den gesamten Westen und Norden regieren, weil, sie sind da auch auf Unterstützung angewiesen. Das heißt, diese Worte, wenn man sie anders gewählt hätte, hätten vielleicht auch zu einer, ich sage mal, größeren Vorsicht bei der Militärregierung geführt und zu etwas mehr Verhandlungsbereitschaft.

    Müller: Amerikanische Zeitungen kritisieren den Präsidenten, er hat zu wenig getan, er hat zu lange gewartet und soll besser Golf spielen, weiter Golf spielen. Ist das eine Lösung, was kann er jetzt machen?

    van Aken: Na ja, er soll weiter Golf spielen, ist natürlich genau die falsche Lösung. Er hat zu spät und zu wenig gehandelt. Wir wissen doch alle, dass das ägyptische Militär jedes Jahr über 1,3 Milliarden Dollar aus den USA bekommt. Das ist doch ein ganz großer Hebel, den die Amerikaner in der Hand haben. Aber sie fassen ihn gar nicht an, sondern sie lassen das laufen, sie unterstützen die Militärregierung in Kairo weiter. Das Einzige, was Obama jetzt gemacht hat, ist, Militärmanöver abzusagen. Das ist tatsächlich ein Signal an die Militärs, wir tun euch nichts, macht mal weiter so. Das ist falsch!

    Müller: Keinerlei Hoffnung in die Demokratisierung des Landes aus den Händen der Militärs ist berechtigt?

    van Aken: Ja. Das Militär ist keine demokratische Institution. Das ist es einfach nicht. Und zu hoffen, dass Militär Demokratie bringen könnte, das ist so oft gehofft worden in den letzten 50 Jahren, und es hat sich kein einziges Mal bewahrheitet. Deswegen ist es immer falsch, dass das Militär die Macht an sich reißt, so sehr man sich vielleicht im ersten Moment freut, dass Mursi weg ist. Das war ein Fehler, und da hätte man ganz klar sagen müssen, das ist ein Putsch, die Militärs müssen die Macht sofort abgeben, und das hat der Westen versäumt. Das war der zentrale Fehler.

    Müller: Haben Sie, Herr van Aken, irgendeine Telefonnummer von irgendjemandem in Ägypten, dem Sie vertrauen können und wo Sie sagen, der soll die ganze Sache jetzt in die Hand nehmen?

    van Aken: Ich habe eine Telefonnummer von jemandem in Ägypten, dem ich auch vertraue, aber der kann die Sache nicht in die Hand nehmen. Das sind halt, ich sage mal, demokratische Aktivisten, die mit auf dem Tahrir-Platz demonstriert haben, vor zwei Jahren und neulich wieder und jetzt wieder, aber es gibt halt im Moment diese Situation, dass wir einen ganz starken liberalen linken Block haben, wir haben einen ganz starken Muslimbrüder-Block, und wir haben die Militärs, und alle sind extrem verhärtet. Ich weiß gar nicht, wer das jetzt noch machen soll. Ein starker Mann, eine starke Frau alleine kann das im Moment nicht lösen, es müssen sich alle bewegen.

    Müller: Guido Westerwelle hat auch diese Nummer vermutlich nicht?

    van Aken: Nein. Er hat jetzt genau das gleiche Problem, und deswegen habe ich eingangs auch gesagt, diese Ratlosigkeit, die Westerwelle jetzt hat, die habe ich im Grunde genommen auch. Die Fehler sind gemacht worden, die Weichen sind alle falsch gestellt, und jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen.

    Müller: Jan van Aken bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    van Aken: Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.