Freitag, 19. April 2024

Archiv

João Ricardo Pedro
Vom Ingenieur zum Bestsellerautor

Ein junger portugiesischer Ingenieur wird während der Finanzkrise arbeitslos und denkt sich: Eigentlich wollte ich doch eh viel lieber Schriftsteller werden. Er nutzt die unfreiwillige Freizeit und landet mit seinem Debütroman "Wohin der Wind uns weht" direkt auf den Bestellerlisten.

Von Eva Karnofsky | 26.03.2015
    Jahrestag der so genannten Nelkenrevolution in Portugal, die das Land von der Diktatur befreite
    Jahrestag der so genannten Nelkenrevolution in Portugal, die das Land von der Diktatur befreite (picture alliance / dpa )
    "Wohin der Wind uns weht" war nach Erscheinen 2012 in Portugal der wichtigste Roman der Buchmesse von Lissabon und der literarische Renner der Saison. Das hatte nicht nur mit der guten Qualität des Romans zu tun, sondern auch mit den Umständen seiner Entstehung.
    Der Autor, ein 1973 geborener Ingenieur für Telekommunikation namens João Ricardo Pedro, hatte im Zuge der großen europäischen Wirtschaftskrise Mitte 2008 seine Arbeit verloren. Von klein auf war es sein Traum gewesen, einmal einen Roman zu schreiben. Nun hatte Pedro plötzlich Zeit dazu. Als das Buch dann auf den Markt kam, litt Portugal immer noch unter der Krise, und die Geschichte des arbeitslosen Ingenieurs, der sich zum Schriftsteller aufschwang, begeisterte die deprimierte Nation.
    Dabei handelt es sich keineswegs um ein heiteres Buch. Und mit der Krise hat es auch nichts zu tun, vielmehr stehen die Auswirkungen der portugiesischen Diktatur auf den Alltag der Menschen im Mittelpunkt.
    Geschichte von drei Generationen
    "Wohin der Wind uns weht" ist die Geschichte von drei Generationen der Familie Mendes, die in einem abgelegenen Dorf im Gardunha-Gebirge in Zentralportugal zuhause ist. Der allwissende Erzähler beginnt seinen Bericht am Tag der Befreiung Portugals von der über 40-jährigen Rechtsdiktatur durch die Nelkenrevolution vom 25. April 1974. Doktor Augusto Mendes sitzt mit seinen Freunden zusammen, um über die politischen Ereignisse zu debattieren, als ihn die Nachricht ereilt, sein Freund Celestino sei verschwunden.
    Der alte Herr macht sich auf die Suche und findet ihn: erschossen. Doktor Mendes erinnert sich, wie er Celestino in den ersten Jahren der Diktatur kennengelernt hat:
    "Fast 40 Jahre war es her, dass ein junger, spindeldürrer Mann während eines fürchterlichen Unwetters auf der regengepeitschten Straße aufgetaucht war, ohne Gepäck, verdreckt und mit triefnassem Hut, und beim Anblick der ersten Menschen zusammengebrochen war, als hätte er nach vielen Stunden, vielen Tagen Marsch nur auf eine Gelegenheit zum Zusammenbrechen gewartet. Es passierte dort. Er hatte Glück. Sie brachten ihn in die Arztpraxis. Hievten ihn auf die Untersuchungsliege. Entkleideten ihn. Wuschen ihn. Sein rechtes Auge war mit einem schwarzen Tuch bedeckt. Doktor Augusto Mendes nahm das Tuch ab und sah, dass darunter gar kein Auge mehr war."
    Doktor Mendes verrät Celestino, der offensichtlich gegen die Diktatur kämpft, nicht an die Polizei, sondern behandelt sein Auge und gibt ihm nach der Genesung Arbeit. Celestino siedelt sich im Dorf an. Ausgerechnet am Tag der Machtübernahme durch die Linke - welche Ironie des Schicksals – wird Celestino doch noch erwischt. Von den Schergen der Diktatur könnte man vermuten, doch Doktor Mendes´ Enkel Duarte wird viele Jahre später noch auf andere Spuren stoßen, die hier nicht enthüllt werden sollen.
    Episoden der Unterdrückung
    "Wohin der Wind uns weht" wartet nicht mit einem Resümee sämtlicher Verbrechen der Diktatur auf und verzichtet auch auf Klagen oder Anklagen. João Ricardo Pedro hat vielmehr viele kleine Episoden zusammengefügt und sie in Szenen des täglichen Lebens eingebettet, um zu zeigen, wie die Opposition unterdrückt wurde oder wie viel Schaden die unselige portugiesische Kolonialpolitik anrichtete.
    Pedro erzählt leise und ohne Pathos über die Diktatur, und er beschreibt so manche Eigenschaft oder Marotte seiner Protagonisten mit unterschwelligem Humor. Trotzdem kann man gut nachempfinden, dass die Menschen viel ertragen haben und dass sie auch Jahre nach dem Ende des Faschismus noch unter dessen Folgen leiden. António, Doktor Augusto Mendes´ Sohn, war gezwungen, im Kolonialkrieg in Angola zu kämpfen. Während sich der seitdem psychisch traumatisierte Mann Blasen unter den Fußsohlen mit der Zigarette ausbrennt, erklärt er seinem kleinen Sohn Duarte, was es damit auf sich hat.
    "Er zeigte auf seine Füße und fragte: 'Weißt du, was das ist?' Duarte trat näher. 'Das ist ein Tierchen, das nichts anderes tut, als Eier zu legen, ein elendes Tierchen, das sich in Papas Füßen eingenistet hat und einfach nicht mehr raus will, und jedes Mal, wenn es Eier legt, bilden sich diese schrecklichen Blasen, und ich muss die Eier abtöten, damit nicht noch mehr von diesen Tierchen geboren werden.' Duarte fragte, wann die Tierchen in die Füße des Vaters reingekommen seien, und der Vater antwortete: 'Das war am 12. März 1968.' Duarte fragte, warum der Vater sich so sicher sei, dass es genau an diesem Tag war, wenn die Tierchen doch so klein waren, dass man sie gar nicht sah. 'Weil es in einem Fluss ganz in der Nähe der kongolesischen Grenze war', antwortete der Vater."
    Einiges bleibt im Dunkeln
    Duarte erfährt Einiges über die Vergangenheit der väterlichen Familie aus den Erzählungen des Vaters, anderes erschließt er sich durch Briefe, die Policarpo, ein Freund seines Großvaters, der vor der Diktatur geflohen ist, aus dem Exil in Buenos Aires geschrieben hat, und in die auch der Leser hineinschauen darf.
    Als Duartes Mutter an Krebs erkrankt, enthüllt sie ihm schließlich, dass das faschistische Regime ihre Eltern auf dem Gewissen hat. Doch Einiges bleibt im Dunkeln, denn unter der Diktatur war es nicht gut, viel zu wissen.
    Der Leser erlebt mit, wie Duarte heranwächst und zu einem Klavier-Virtuosen reift, obwohl er Musik gar nicht sonderlich mag. In seinen Träumen zündet er Partituren aus 400 Jahren Musikgeschichte an, denn er hasst, was alle seine Begabung nennen. Aus den Briefen von Policarpo zieht Duarte schließlich den Schluss, dass sein Talent und seine Abneigung dagegen möglicherweise in Zusammenhang mit einem deutschen Pianisten stehen, der sich die Hand abgehackt hat, um nicht vor Nazigrößen spielen zu müssen.
    João Ricardo Pedros erster Roman "Wohin der Wind uns weht" ist in der jüngsten Geschichte Portugals angesiedelt, und wer sich dafür interessiert, sollte das Buch lesen. Doch Pedros Meta-Thema, dass ein diktatorisches System die Menschen zumindest partiell auch ihrer persönlichen Geschichte beraubt, weil es sie zum Schweigen verurteilt, ist von universellem Interesse.