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Jodtablettenverteilung in der Region Aachen
Vorsorge für den Ernstfall

Die Region Aachen liegt etwa 70 Kilometer von dem maroden belgischen Atomkraftwerk Tihange entfernt. Auf die Angst der Bevölkerung vor einem Atomunfall hatten die Behörden mit der Verteilung von kostenlosen Jodtabletten reagiert. An diesem Mittwoch bestand die letzte Gelegenheit, die Tabletten zu beantragen.

Von Ingo Wagner | 15.11.2017
    Jodtabletten: Die Tabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen.
    Jodtabletten: Die Tabletten sollen die Bevölkerung im Fall eines Reaktorunfalls im belgischen Tihange vor Schilddrüsenkrebs schützen. (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
    November in Aachen – Erkältungszeit. Aber neben der üblichen Arzneien gegen Husten oder Schnupfen gehen in Apotheken in der Region derzeit auch tausende Packungen mit hoch dosierten Jodtabletten über die Ladentische. Bis Ende November werden sie im Aachener Raum von den Kommunen kostenlos an die Bürger ausgegeben. Vorsorge für den Ernstfall: Falls es im Atomkraftwerk Tihange knapp 70 Kilometer von Aachen entfernt zu einer Reaktorkatastrophe kommt. Auch diese Kundin will noch schnell ihre Tabletten abholen:
    "Also, so lange wir noch hier in der Gegend wohnen, möchte man irgendwie gewappnet sein. Aber wir drücken uns die Daumen, dass da nichts passiert."
    Mit diesen Gefühlen leben viele Menschen in der Nähe des umstrittenen belgischen Atomkraftwerks Tihange. Alle hoffen, dass es niemals zum Super-GAU kommt, und wollen trotzdem so gut wie möglich darauf vorbereitet sein. Rund anderthalb Millionen Menschen leben auf der deutschen Seite der Grenze in der Nähe des Kraftwerks. In der Städteregion Aachen und den Kreisen Aachen, Düren, Heinsberg und Euskirchen geben die Kommunen deshalb seit Anfang September kostenlosen Jodtabletten an Menschen bis 45 Jahre aus. Sie sollen vor Schilddrüsenkrebs schützen. Für ältere Menschen, sagen Mediziner, wären die Nebenwirkungen der extrem hoch dosierten Jodpräparate zu gefährlich.
    Von Anfang an gab es kritische Stimmen
    Rund 600.000 Menschen in der Region haben das richtige Alter und kommen für die kostenlose Verteilung von Jodtabletten in Frage. Aber auch von ihnen haben erst rund 20 Prozent ihren Vorrat auch abgeholt. Markus Kremer, bei der Stadt Aachen zuständig für die Aktion, überrascht das nicht:
    "Ich habe im Vorfeld der Vorverteilung gesagt, dass wir von 20 bis 30 Prozent ausgehen, das weiß man von anderen Vorverteilaktionen in anderen Ländern. Jetzt sind es knapp 20 Prozent und das liegt innerhalb des Erwartungshorizontes."
    Dass es nicht gerade einen riesigen Andrang auf die Jodtabletten gibt, hat aber noch andere Gründe, vermutet Markus Kremer.
    "Man kann natürlich darüber spekulieren, warum es ganz leicht hinter den prognostizierten Zahlen zurückbleibt. Wir gehen davon aus bei der Stadt Aachen, dass die Sensibilität in der Bevölkerung für dieses Thema im Vorfeld ohnehin schon sehr groß war und viele Menschen gar nicht darauf gewartet haben, dass wir behördlicherseits kostenlos vorverteilen, sondern sich auf eigene Kosten bereits im Vorfeld mit Tabletten ausgestattet haben."
    Von Anfang an gab es auch kritische Stimmen zu der kostenlosen Jodverteilungsaktion - sowohl aus der Politik als auch aus den Verwaltungen anderer Städte in Nordrhein-Westfalen. Diese Kritik sieht Markus Kremer aber gelassen.
    "Es gibt Menschen, die sagen: Ihr macht da genau das Richtige und es gibt Menschen die sagen, passt auf, dass ihr nicht in unnötiger Art und Weise Sorgen und Ängste schürt durch diese Vorverteilung. Wir denken, dass wir mit dem, was wir bisher gemacht haben, vor allem auf Basis der sehr sachlichen Information im Vorfeld, das wir auf einem guten Weg sind, zwischen einer völlig unangebrachten Panikmache auf der einen Seite, aber nicht angebrachtem Nichtstun auf der anderen Seite."
    Eher eine hilfslose Geste
    Egal, wie man nun an die Jodtabletten kommt, ob auf eigene Kosten oder mit einem Bezugsschein: Apothekerinnen wie Wiebke Moormann aus Aachen legen Wert darauf, die Kunden sicherheitshalber noch einmal über die Risiken aufzuklären:
    "Wir machen schon eine umfangreiche Beratung bei der Abgabe, es ist schon wichtig, dass es nicht prophylaktisch genommen werden soll. Also, es ist ein absolutes Notfallmedikament."
    Deshalb sollte es nur genommen werden, nachdem die Behörden die Bevölkerung dazu aufgefordert haben.
    So groß aber die Angst der Menschen vor der Gefahr ist, die von dem maroden belgischen Atomkraftwerk ausgeht, das nur 70 Kilometer von Aachen entfernt ist, die kostenlose Verteilung von Jodtabletten durch die Behörden sehen auch viele Menschen in der Region skeptisch. Viele betrachten sie als eine etwas hilflose Geste, denn die Kommunen im Grenzgebiet können ebenso wenig erreichen, dass das belgische Atomkraftwerk abgeschaltet wird wie der Bund. Auch das könnte ein Grund sein, warum noch nicht alle Menschen, die Anspruch darauf haben, sich ihren Jodvorrat gesichert haben.
    Eine Packung für die ganze Familie kostet etwa 15 Euro
    Straßenumfrage: "Ich glaube, das ist eine Scheinvorsorge; Ich weiß nicht, ob das nicht nur eine Beruhigungsmaßnahme für die Bevölkerung ist, ich selber habe es noch nicht gemacht; Weil ich mehr der Meinung bin, dass es da ist, um die Leute zu beruhigen, und nicht wirklich hilft, wenn was passiert; Ich finde es positiv, weil ich finde, es sollte jedem ermöglicht werden diese Tabletten zu kriegen; Ich denke es bringt nicht sonderlich viel, wenn wirklich ein Unfall passiert".
    So richtig überzeugt sind viele Bürger von der Vorsichtsmaßnahme der Behörden also nicht. Im Fall einer atomaren Katastrophe wären sie aber wenigstens vor Schilddrüsenkrebs geschützt. Nur noch heute können Bezugsscheine für die Tabletten im Internet beantragt werden. Wer sich später für diese Vorsichtsmaßnahme entscheidet, muss sich die hoch dosierten Jodpräparate auf eigene Kosten in einer Apotheke besorgen. Das ist aber gar nicht so teuer – eine Packung, mit der man seine ganze Familie versorgen kann, kostet nur rund 15 Euro.