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Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie.

Mit Marcus Heumann am Mikrofon, guten Abend und willkommen. 40 Jahre ist es nun her, dass in beiden deutschen Staaten fast gleichzeitig "Der geteilte Himmel" von Christa Wolf veröffentlicht wurde. Damit betrat eine Autorin die literarische Szene, die sich seitdem einer treuen Leserschaft in Deutschland Ost wie West gleichermaßen sicher sein kann - und alleine das macht Christa Wolf schon zu einer besonderen Schriftstellerin. Auch in den tiefsten Zeiten des Kalten Krieges gelang es interessierten Kreisen nie, die persönliche Integrität des langjährigen SED-Mitglieds Christa Wolf in Frage zu stellen. Anders als die späte Anna Seghers hat sie ihren literarischen Ruf auch nie durch politische Auftragswerke korrumpieren lassen. Ihr Verhältnis zum politischen Experiment DDR aber war bis zuletzt ein kritisch-solidarisches - wie auch die erste Christa-Wolf-Biographie belegt, die jetzt im Kindler Verlag erschienen ist. Thekla Wolff stellt sie Ihnen vor.

Thekla Wolff | 27.05.2002
    Mit Marcus Heumann am Mikrofon, guten Abend und willkommen. 40 Jahre ist es nun her, dass in beiden deutschen Staaten fast gleichzeitig "Der geteilte Himmel" von Christa Wolf veröffentlicht wurde. Damit betrat eine Autorin die literarische Szene, die sich seitdem einer treuen Leserschaft in Deutschland Ost wie West gleichermaßen sicher sein kann - und alleine das macht Christa Wolf schon zu einer besonderen Schriftstellerin. Auch in den tiefsten Zeiten des Kalten Krieges gelang es interessierten Kreisen nie, die persönliche Integrität des langjährigen SED-Mitglieds Christa Wolf in Frage zu stellen. Anders als die späte Anna Seghers hat sie ihren literarischen Ruf auch nie durch politische Auftragswerke korrumpieren lassen. Ihr Verhältnis zum politischen Experiment DDR aber war bis zuletzt ein kritisch-solidarisches - wie auch die erste Christa-Wolf-Biographie belegt, die jetzt im Kindler Verlag erschienen ist. Thekla Wolff stellt sie Ihnen vor.

    Es ist naheliegend, über Christa Wolf ein Buch zu schreiben. Über die fünfzig Jahre ihres literaturpolitischen Engagements gibt es in Aufsätzen, Essays, Reden, Interviews, Briefen, Zeitungsartikeln, in Archiven und nicht zuletzt in ihren Büchern reichlich Material: ihr öffentliches Leben liegt vor uns wie ein offenes Buch. Jörg Magenau hat es nun unternommen, dieses Buch zu schreiben: als politische Biographie einer Autorin, die sich in die Kämpfe ihrer Zeit stets eingemischt habe und an deren Leben entlang, man die Geschichte der DDR noch einmal erzählen könne. Ein Vorhaben, das Christa Wolf zunächst ablehnte, schließlich aber doch unterstützte: in Gesprächen in ihrem Pankower Arbeitszimmer, bekam Magenau Geschichten und Anekdoten aus erster Hand, zudem Briefe und Zeugnisse aus dem nicht öffentlich zugänglichen Christa-Wolf-Archiv der Akademie der Künste. Auch gewährte ihm Christa Wolf Einblick in die Koffer voller sogenannter "Opfer-Akten", die die Staatssicherheit über sie führte. Magenau hat Splitter und Mosaiksteinchen ihres Lebens zusammengetragen und herausgekommen ist eine 450 Seiten umfassende Fundgrube zum differenzierten Verständnis der Autorin – und der DDR-Geschichte. Aber über Christa Wolf zu schreiben, berge auch Schwierigkeiten, so der Verfasser:

    "Es ist nicht leicht, sich nach dem Ende der DDR begreiflich zu machen, was so viele Intellektuelle dazu brachte, trotz offensichtlicher Fehlentwicklungen, ihrem Staat gegenüber loyal zu bleiben. Warum hielten sie so lange an einer Utopie fest, die an die Existenz der schäbigen DDR gekoppelt war? Was machte es möglich, die Idee so hartnäckig von den Zumutungen der Wirklichkeit abzuschotten? Warum folgte auf jede schlechte Erfahrung mit dem Machtapparat und auf jeden endgültigen Bruch, jede 'Ernüchterung’, doch wieder das Arrangement? Alle Konflikte von einst verengen sich im Nachhinein auf diese Frage. Das ist ebenso unvermeidlich, wie es die Ernsthaftigkeit der geführten Auseinandersetzungen auf ungebührliche Weise relativiert."

    Christa Wolfs Widersprüchlichkeit, das ihr wie vielen DDR-Schriftstellern eigene Schwanken zwischen Loyalität zur Partei und dem ihr eigenen Verlangen nach Wahrhaftigkeit, ihr pädagogisches Ethos, ihr Bemühen um Ehrlichkeit, Integrität und moralische Eindeutigkeit, irritiert und hat immer auch Spötter auf den Plan gerufen. Ihre Moral scheint für viele einen saueren Beigeschmack zu besitzen; ihre leisen, ernsten Töne scheinen nicht mehr zeitgemäß. Reich-Ranicki bezeichnete sie einmal als "humorloseste Schriftstellerin Deutschlands" und tatsächlich sind kaum solche Fotografien von ihr bekannt, wie in Magenaus Buch zu finden : Christa Wolf lachend am Kaffeetisch im September 1978.

    Früher Idealismus im Sozialismus der 50er Jahre und Treue zum DDR-Staat bis zu dessen Zerfall, scheinen mit zunehmendem Abstand im Nach-Wende-Deutschland schwer nachvollziehbar. Das Festhalten an Utopien seltsam rückständig, der Erziehungsgedanke eher peinlich und die Rolle, die die DDR ihren Schriftstellern zumaß, kaum noch verständlich. Kaum verständlich auch die Bedeutung, die Künstler in der DDR als Orientierungs- und Wegweiser erlangten; wieviel Diskussionsstoff ihre Bücher oder Theaterstücke lieferten. Einen Höhepunkt an öffentlicher Beachtung erfuhren die Intellektuellen noch einmal im November 1989. Auf der legendären Kundgebung auf dem Alexanderplatz sprach auch Christa Wolf:

    "Ja: Die Sprache springt aus dem Ämter- und Zeitungsdeutsch heraus, in das sie eingewickelt war, und erinnert sich ihrer Gefühlswörter. Eines davon ist 'Traum'. Also träumen wir mit hellwacher Vernunft. Stell Dir vor, es ist Sozialismus und keiner geht weg! (Beifall) Und dies ist für mich der wichtigste Satz dieser letzten Wochen – der tausendfache Ruf: Wir – sind – das – Volk! (Beifall) Eine schlichte Feststellung. Die wollen wir nicht vergessen."

    Das Festhalten am Sozialismus, der Glaube an dessen Reformierbarkeit, war jedoch nicht mehr der Wille des Volkes, mit dem sich Christa Wolf wie viele andere Intellektuelle an diesem Tag noch im Gleichklang sah. Den Staat, den sie noch 1987 als ihr Kampffeld bezeichnet hatte, an dem sie sich Zeit ihres sozialistischen Lebens schreibend abgearbeitet hat und den sie nicht verlassen wollte, gaben gerade Jüngere leichten Herzens auf. So leicht konnte sich die Generation, der Christa Wolf angehörte, meist nicht von der DDR verabschieden.

    Zu "Kampfgenossen der Regierung" in den 50er Jahren erhoben, erhielten die Intellektuellen in der frühen DDR geradezu staatstragende Funktion: dem sozialistischen Realismus verpflichtet, schreibend "den neuen Menschen des Sozialismus" zu stärken – der Staat nahm seine Denker in die Verantwortung. Der Dichter Johannes R. Becher wurde erster Kulturminister und politisches Engagement zum Tagesgeschäft der Schriftsteller. Privilegien waren ein gern gewährtes Zugeständnis, solange die Literatur ganz im Geiste des sogenannten "sozialistischen Realismus" die neue Gesellschaft beförderte. Den Staat beschreibt Magenau als "Erzieher, die Politiker in Elternfunktion und die Schriftsteller als Pädagogen an der Menschheitsverbesserungsfront". Kritik am real existierenden Sozialismus war jedoch nicht erwünscht. Das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 kam einer Kampfansage an kritische Künstler gleich und zog einen kulturpolitischen "Kahlschlag" nach sich.

    Christa Wolf, zwei Jahre zuvor als Kandidatin ins Zentralkomitee der SED gewählt und mit dem Nationalpreis III. Klasse für den "Geteilten Himmel" staatlich geehrt, schwankt auf dem 11. Plenum zwischen Parteidisziplin und Unbehagen. In ihrer Rede äußert sie sich jedoch deutlich gegen die vorherrschende Parteimeinung. Ihr war klar – so Magenau – dass sie sprechen musste, dass sie nicht mehr hätte schreiben können, wenn sie geschwiegen hätte.

    "Die Leute werden sich drehen um 180 Grad und werden alles abdrehen. Sie werden nicht nur jeden nackten Hals in jedem Fernsehspiel zudecken, sie werden auch jede kritische Äußerung an irgendeinem Staats- oder Parteifunktionär als parteischädigend ansehen und sie tun es schon. So ist die Sache. Es ist nicht richtig, von diesen negativen Erscheinungen in unserer Kulturpolitik auszugehen, eine Debatte zu entfachen, die Schriftsteller in eine Defensive zu drängen, so dass sie immer nur beteuern können: Genossen: wir sind nicht parteifeindlich. (...) Und man darf nicht zulassen, dass dieses freie Verhältnis zum Stoff, das wir uns in den letzten Jahren durch einige Bücher, durch Diskussionen und durch bestimmte Fortschritte unsere Ästhetik erworben haben, wieder verloren geht."

    Dass die Partei immer recht habe, zu dieser Überzeugung könne sie nicht mehr kommen, schreibt Christa Wolf drei Jahre später in ihr Tagebuch. Doch noch 1976 versichert sie, die Prägung, die sie durch die Partei erfahren habe, sei durch nichts zu tilgen, ihr verdanke sie die entscheidensten positiven Erfahrungen, aber auch die schärfsten Konflikte. Als die Biermann-Ausbürgerung die Gemüter bedrückt und die Schriftsteller zum ersten öffentlichen kollektiven Protest bewegt, ist Christa Wolf bemüht, der Partei immer wieder ihre Loyalität zu beweisen. Natürlich sei keine Gruppenbildung beabsichtigt gewesen, beschwichtigt sie bei einem höchst geheimen Treffen der Partei mit den Schriftstellern in der Wohnung des Schauspielers Manfred Krug, und gesteht ihre Treue zur Partei: sie habe alles gemacht, was ihr geraten worden sei, was dazu gedient habe, ihre Stellung zu diesem Staat deutlich zu machen, sie habe Preise abgelehnt und sich in Diskussionen "drüben" wacker für die DDR geschlagen.

    Die Wortwahl zeigt die intime Nähe zwischen Geist und Macht, eine fast familiäre Vertrautheit. So beschreibt Magenau denn auch die DDR als Familie, in der Hausbesuche der Parteiobersten bei Schriftstellern und Künstlern an der Tagesordnung waren. Auf dem "kleinen Dienstweg" versuchten wiederum die Schriftsteller Einfluss zu nehmen, so bittet etwa Christa Wolf Honecker um die Entlassung inhaftierter Jugendlicher, die gegen die Ausbürgerung Biermanns protestiert hatten. Der Parteichef lädt Wolf ein und sagt ihr die Freilassung zu, fordert sie jedoch auf, das Land nicht wie so viele Intellektuelle zu verlassen. "Bleib doch, wir wissen ja, es ist eine schwierige Zeit, aber da müssen wir durch", soll Honecker gesagt haben – erinnert sich Christa Wolf im Gespräch mit Magenau. Auch Margot Honecker wird nachgesagt, sie habe Biermann in seiner Wohnung aufgesucht, um ihn zu bitten, bravere Lieder zu singen. Zensor und Zensierte am gemeinsamen Küchentisch, die DDR als Wohngemeinschaft, wo Eva-Maria Hagen zu später Stunde den Parteioberen Biermann-Lieder vorsingt und Horst Sindermann vertraulich familiär "natürlich unser Wölfchen, wer denn sonst" geäußert habe. Jörg Magenau schildert auch die Begleitumstände des VI. Schriftstellerkongresses 1969, auf dem Christa Wolfs "Nachdenken über Christa T." heftig angegriffen wird:

    "Absurderweise wurden auf dem Kongress mehrere hundert Exemplare der 'Christa T.' verkauft. Die Autorin signierte das verbotene Buch in der Eingangshalle, während es drinnen im Saal denunziert wurde. (...) Selbst die Funktionäre gaben sich, nachdem die öffentliche Schelte absolviert war, in der Mittagspause jovial. Klaus Gysi grüßte freundlich und winkte das Buch nun durch: der Rummel sei vorbei. Kurt Hager wollte plötzlich nichts mit all dem zu tun gehabt haben."

    Einen Hang zur Ein- und Unterordnung sowie eine Autoritätsgläubigkeit und Angst vor Widerspruch sei ihrer Generation geblieben, gibt Christa Wolf in einer Rede 1987 zu bedenken. Vielleicht ist diese Nähe zur Parteifamilie auch ein Wunsch nach Geborgenheit, zumindest hat es ihr diese Nähe immer unmöglich gemacht, sich gegen den Staat aufzulehnen. Loyalität und Parteitreue auf der einen Seite, der Wille zur Wahrhaftigkeit und ästhetischen Eigenständigkeit auf der anderen, ein Spagat zwischen Disziplin und persönlichem Unbehagen, der für Christa Wolf lebensbestimmend wurde. Ihr Verhältnis zur Partei ist nach vielen Erschütterungen und Rückzügen durch einen langsamen, jahrzehntelangen Ablösungsprozess gekennzeichnet, der manch' einem zu zögerlich vorkam. Höhnisch wurde sie in den 90ern als "Staatsdichterin" bezeichnet, eine frühe IM-Tätigkeit schien diese Einschätzung der Medienöffentlichkeit zu bestätigen. Tatsächlich tritt sie erst im Juni 1989 aus der SED aus, einen Schritt, den Jörg Magenau wie folgt beschreibt:

    "Christa Wolf begriff ihren Parteiaustritt demnach eher als moralischen Entschluss. Sie vollzog ihn wie einen Kirchenaustritt als Gewissensentscheidung und möglichst geräuschlos. Sie wollte der SED nicht durch eine demonstrative Aktion schaden. Die eingeübte Parteidisziplin funktionierte noch über die Mitgliedschaft hinaus. (..) Sie blieb auch zum Abschied loyal, denn ihr Ziel war klar: eine Alternative zum Kapitalismus."

    Es ist Magenaus Verdienst, ohne zu große Ehrfurcht, ohne zu große Erwartungen, ohne anzuklagen, aber auch ohne zu rechtfertigen, über Christa Wolf zu schreiben. Ihm gelingt eine differenzierte Betrachtung der politischen Karriere und der inneren Kämpfe der Autorin. Sein Buch liefert eine Grundlage zum Verständnis der DDR-Intellektuellen in ihrem Bemühen um einen Staat, dem sie sich oftmals erstaunlich lange aus politischer Überzeugung verbunden fühlten.

    Thekla Wolff über Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Veröffentlicht im Kindler Verlag Berlin, 449 Seiten zum Preis von 24 Euro und 90 Cent.