Donnerstag, 18. April 2024

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Johann Tetzel
Der Schurke der Reformation

Johann Tetzel gilt als die Antithese zu Martin Luther: Er war es, der jene Ablässe verkauft hat, die Luther anprangerte. Das Meiste, was über Tetzel bekannt ist, sind jedoch Legenden. Ist es also wirklich Tetzels Geldkiste, die heute in einem Museum in Braunschweig steht?

Von Christian Röther | 28.06.2017
    Historischer Holzstich "Tetzels Ablasszug" – der Dominikanermönch Johann Tetzel (1460-1519) beim Ablasshandel
    Historischer Holzstich "Tetzels Ablasszug" – der Dominikanermönch Johann Tetzel (1460-1519) beim Ablasshandel (imago/imagebroker)
    Der Elm, ein Höhenzug bei Braunschweig. Im Sommer 1517 soll hier Johann Tetzel unterwegs gewesen sein, der berühmteste Ablassprediger der Geschichte. Bei ihm konnte man sich von seinen Sünden freikaufen - und so den Petersdom in Rom finanzieren, aber natürlich auch Tetzel selbst und seinen Auftraggeber, den Kirchen- und Reichsfürsten Albrecht von Brandenburg. Doch Tetzel soll sein eigenes Geschäftsmodell zum Verhängnis geworden sein, erklärt Andreas Büttner vom Städtischen Museum Braunschweig: Tetzel wurde ausgeraubt.
    "Da kam den Dieben sein eigenes Ablasswesen zugute. Denn er vergab auch Ablassbriefe für Sünden, die man erst in der Zukunft beging."
    Der Legende nach haben die Räuber bei Tetzel einen Ablassbrief gekauft, um ihm dann schuldfrei seine Geldtruhe rauben zu können.
    "Wenn das Geld im Kasten klingt ..."
    100 Jahre später taucht die Truhe wieder auf, im nahegelegenen Schloss Süpplingenburg. Heute steht sie meistens im Archiv des Städtischen Museums Braunschweig. Die Truhe soll einer der legendären Tetzelkästen sein, in denen der Ablassprediger das Geld hortete.
    Der Tetzelkasten im Städtischen Museum Braunschweig
    Der Tetzelkasten im Städtischen Museum Braunschweig (Christian Röther/Deutschlandfunk)
    Die 500 Jahre alte Truhe ist noch gut in Schuss. Sie ist aus Eichenholz, mit Eisen beschlagen und natürlich abschließbar. Farblich bewegt sie sich zwischen schwarz, braun und rostrot - und sie ist etwa so groß wie drei Kisten Bier. Die Truhe wirkt zugleich vornehm und wuchtig. Man kann sich sehr gut ausmalen, wie Tetzel auf dem Marktplatz neben ihr steht und posaunt:
    "Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt."
    "Heute gibt es keinen Ablass mehr"
    Das soll Tetzel der Legende nach gepredigt haben. Heute darf man allerdings kein Geld mehr im Kasten klingen lassen. Das untersagt Peter Joch, Leiter des Museums:
    "Nein, es ist natürlich ein historisch wertvolles Stück, das wir hegen und pflegen und seiner Geschichtsträchtigkeit wegen sehr gut behandeln. Also heute gibt es keinen Ablass mehr."
    Gerade ist die Truhe aus New York zurückgekehrt, wo sie Teil einer Ausstellung war. Noch bis November ist sie nun im Braunschweiger Landesmuseum zu sehen. Ob Johann Tetzel diese Truhe allerdings tatsächlich verwendet hat, kann niemand sagen. Das ist eine Legende, wie fast alles, was wir über Tetzel wissen - oder auch nicht wissen. Dazu der Schriftsteller Bruno Preisendörfer, der sich intensiv mit der Reformationszeit auseinandergesetzt hat:
    "Was Tetzel für ein Mensch war, das weiß ich nicht. Das weiß niemand. Der Tetzel ist so eine von den Figuren, die vollkommen eigentlich verschüttet ist von dem, was über Tetzel gesagt wurde. Das fing schon zu seinen Lebzeiten an und hörte dann über die Jahrhunderte nicht auf. Er ist natürlich der Schurke im Stück."
    "Bauern fängt man nicht mit Feinheiten"
    In dem Stück, in dem Martin Luther den Helden spielt. Nur wegen Luther ist Tetzel heute noch bekannt. Er wäre wohl ein Ablassprediger unter vielen geblieben, hätte Luther seine Kritik am Ablasshandel nicht an Tetzel festgemacht. Tetzels Ablass war zu Luthers Entsetzen auch in Wittenberg sehr beliebt - und Luthers vernichtendes Urteil über Tetzel prägt unseren Blick bis heute, sagt Bruno Preisendörfer:
    "Ja, der Tetzel ist halt über die Dörfer gezogen, sozusagen, hat dann das Geld eingesammelt. Vermutlich war er tatsächlich da schon ein bisschen gröber als andere Ablassprediger. Aber wenn ich Bauern fangen will, dann kann ich das nicht mit Feinheiten tun. Wenn halt der Tetzel - weiß ich nicht - in Bayern herumgefahren wäre auf seinem Bollerwagen, dann hätte man ihn auch vergessen und dann wäre halt der Mensch, der da gerade in Sachsen und Thüringen herumgefahren wäre - dann wäre der der große Schurke."
    Tetzel starb an der Pest
    Johann Tetzel wurde wohl um 1460 geboren, in Pirna oder Leipzig. Sein Vater war Goldschmied, sagen die einen; Fuhrunternehmer, sagen die anderen. Jedenfalls zog Johann das Kloster vor und wurde Dominikaner. Tetzel verkaufte Ablässe für verschiedene Auftraggeber - oder organisierte zumindest den Ablasshandel. Er starb 1519 in Leipzig an der Pest.
    Kurz zuvor hatte ihm sein Gegenspieler Luther noch einen Trostbrief geschickt. Das ist gesichert, sonst gibt es aber eine Menge Legenden. Beim Spielen soll Tetzel betrogen haben, den Zölibat und die Ehen anderer gebrochen. Im Städtischen Museum Braunschweig, wo der angebliche Tetzelkasten steht, hat Leiter Peter Joch noch weitere Geschichten parat. Sie tragen bei zum Bild des Schurken:
    "Und zwar gibt es die Legende, dass es ein Geheimschloss in dieser Kiste gibt, dass man einen Nagelkopf hochheben muss, um eine Arretierung zu lösen. Wir haben das aus konservatorischen Gründen noch nicht ausprobiert, sind aber sehr gespannt. Vielleicht werden wir das Geheimnis irgendwann lüften, wie tatsächlich dann man an die Ablasskiste auch ganz inoffiziell kam, um vielleicht Geld herauszunehmen."
    Johann Tetzel soll also sogar noch beim Betrügen betrogen haben. Eine halbwegs positive Legende über ihn gibt es allerdings auch: Tetzel soll seine Ablässe gewissermaßen zu sozialen Tarifen angeboten haben. Arme mussten angeblich weniger tief in die Tasche greifen als Reiche. Zahlte der Kaufmann für den Totschlag - sagen wir - zehn Dukaten, konnte der Tagelöhner seine Seele vielleicht schon für fünf Dukaten aus der Hölle befreien.
    Der Braunschweiger Tetzelkasten ist aktuell im Landesmuseum Braunschweig zu sehen, in der Ausstellung "Im Aufbruch. Reformation 1517-1617". Die Ausstellung läuft noch bis zum 19. November 2017.