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John Banville: "Die blaue Gitarre“
Verlust und Vergangenheitsbewältigung

In seinem jüngsten Roman "Die blaue Gitarre" nimmt der irische Autor John Banville die Leser mit in die Welt eines gescheiterten Künstlers. Der Maler Oliver Otway Orme ist zerfressen von Ängsten, von Selbstzweifeln, von der Reue gegenüber den verpassten Chancen.

Martin Becker | 06.11.2017
    John Banville im Interview
    John Banville im Interview (imago / Alejandro Garcia)
    "Ich frage Sie, was hat es denn für einen Sinn, etwas zu stehlen, wenn niemand weiß, dass es gestohlen wurde, niemand als der Stehler selbst?"
    Seit seiner Kindheit ist Oliver Otway Orme ein Dieb. Als Kind stiehlt er eine Farbtube, völlig ohne jede Not. So fängt seine Malerkarriere an, und so hört sie letztlich auch auf: mit einem Diebstahl. Der schrullige Protagonist von "Die blaue Gitarre" hat den Nervenkitzel des Stehlens zum Prinzip erhoben. Und blickt nun zurück auf sein verwirktes Leben mit all seinen Verwicklungen und Verkorksungen. Dieser Oliver hatte mal alles: Großen materiellen wie künstlerischen Erfolg als Maler. Dazu ein Haus und eine Frau, die ihn liebte. Und jetzt? Bleibt ihm nur das bittersüße Gefühl des Scheiterns.
    "Malen war, genau wie Stehlen, ein endloses Bemühen um Besitz, und ich bin endlos daran gescheitert. Daran, das Hab und Gut von anderen zu stehlen, irgendwelche Szenen hinzuklecksen, Polly zu lieben: alles nur das Eine, letzten Endes."
    In "Die blaue Gitarre" rechnet ein Künstler mit sich selbst ab. Und zwar in aller Unerbittlichkeit. Er hat aufgehört zu malen und wird auch sein letztes Bild dem Galeristen aus den Händen reißen und zerstören. Er hat einem arglosen Freund die Ehefrau ausgespannt, wiederum wie ein Dieb. Er ist zerfressen von Ängsten, von Selbstzweifeln, von der Reue gegenüber den verpassten Chancen. Und er blickt nüchtern und gnadenlos auf sich selbst, auf dieses elende Menschlein, zu dem er geworden ist und das er, genau betrachtet, eigentlich immer schon war:
    "Ich bin keiner, auf den die Frauen sofort fliegen, nie gewesen, war schließlich das mickrigste Ferkel im Wurf. Ich bin klein und untersetzt, oder, um's unverblümt zu sagen, dick und mit großem Kopf und kleinen Füßen."
    Klagelied einer verkrachten Künstlerexistenz
    Da sitzt er also in seinem Kämmerlein, dieser arme Hund, und lamentiert sich um Kopf und Kragen. Das klingt im ersten Moment wenig originell. Doch hört man ihm tatsächlich gespannt zu, dem Klagelied dieser verkrachten Künstlerexistenz. Ein schier endloser Monolog über das Leben, das Sterben und die Liebe. Der Maler Oliver mäandert durch Zeit und Raum, kunstgeschichtliche Exkurse wechseln sich ab mit schmerzlichen Erinnerungen an die eigene Kindheit und vergangene Liebschaften. Der Verlust ist ein zentrales Thema im Roman des irischen Autors John Banville, ja, er ist vielleicht das Lebensmotiv des Protagonisten schlechthin. Seine Mutter hat dieser Oliver Orm früh verloren. Seinen Vater nicht viel später. Schließlich ist er nach weiteren tragischen Verlusten der Enge seiner Heimatstadt entflohen nach Südfrankreich, hat zusammen mit seiner Frau Gloria dort ein neues Leben begonnen – um am Ende doch nur wieder da anzulanden, wo er geboren wurde: In einer tristen irischen Küstenstadt der Nachkriegszeit, die im Roman namenlos bleibt.
    "Warum um alles in der Welt bin ich zurückgekehrt und bin hierhergezogen? Als junger Bursche konnte ich es, wie gesagt, gar nicht erwarten, endlich aus diesem Nest herauszukommen. Gloria meint, das ist, weil ich mich fürchte vor der großen Welt, darum hab ich mich in die Kleine hier zurückgezogen. Sie mag schon recht haben, aber doch nicht ganz. Ich fühle mich wie ein Archäologe der eigenen Vergangenheit, der sich durch zig Schichten von Schiefer und Katzensilber gräbt und niemals bis zum Kern vordringt."
    Es ist schon bemerkenswert, wie John Banville es schafft, uns seinen Protagonisten schmackhaft zu machen: Dieser furchtbare Jammerlappen, dieser feige Dieb, dieser narzisstische Egomane, der sich die ganze Zeit nur und ausschließlich um sich selbst dreht, wird einem im Laufe des Romans tatsächlich sympathisch und wächst einem regelrecht ans Herz. Was nicht zuletzt an der Sachtheit liegt, mit der sich der Roman der wirklich großen Tragödie im Leben dieses Malers nähert: Seine Frau und er haben ein Kind verloren. Es kam schon krank auf die Welt und starb nach nur wenigen Jahren. Ein geradezu unbeschreiblicher Schmerz, der sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht und für den John Banville immer wieder sprachliche Bilder findet, die anrührender kaum sein könnten:
    "Wir fühlten uns, als stünden wir ohne Schlüssel vor unserer Haustür, als würden wir wieder und wieder klopfen, und drinnen sei nichts zu hören, nicht mal ein Echo, als sei das ganze Haus bis hoch zur Decke angefüllt mit Sand, mit Lehm, mit Asche."
    Frauen als Objekte der Sehnsucht
    Und doch: So atemberaubend zart sich manche Szenen des Romans auch lesen: "Die blaue Gitarre" ist gleichzeitig auch oftmals leider furchtbar manieriert. Das fängt bei der direkten Ansprache der Leserinnen und Leser an, die der Protagonist mit ins Boot holen möchte. Und wird durch die gefühlt inflationär vielen "Achs" und "Ohs" nicht besser, mit denen der Maler seine Emphase versieht. Und richtig problematisch wird das Buch da, wo es um ein zentrales Motiv geht: Um die Liebesgeschichten des Helden. Frauen taugen in Banvilles neuem Roman nämlich nur zu Objekten der Sehnsucht. Die Liebes-Beschreibungen klingen arg nach 19. Jahrhundert, und überhaupt spielen die weiblichen Figuren im Prinzip nur dann eine Rolle, wenn es um Erfüllung oder Nicht-Erfüllung sexueller oder emotionaler männlicher Begierde geht. Natürlich, wir erleben die ganze Geschichte aus der Perspektive eines egomanischen Malers – aber dennoch, wenn es in den allzu schwärmerischen Kitsch abdriftet, dann hilft es auch nichts, dass die Hauptfigur sich selbst mitunter fast ironisch ermahnt:
    "Ich weiß, ich weiß, Sie schütteln kichernd den Kopf, und Sie haben ja recht, ich bin ein hoffnungsloser Fall, ein schwachsinniger Trottel."
    So klappt man dieses Buch schließlich mit sehr gemischten Gefühlen zu: Einerseits spielt John Banville virtuos auf seiner blauen Gitarre und schafft es auch, uns in die tragische Welt eines gescheiterten Künstlers hineinzuversetzen mit all seinen skurril-melancholischen Figuren, die ihn umgeben. Andererseits aber verharrt der Roman oft genug bei mitunter geradezu peinlichen Altmännerfantasien. Was umso bedauerlicher ist, als die starke Grundgeschichte mit ihren zarten Zwischentönen diese allzu typisch Männer-jammerigen Akkorde gar nicht nötig gehabt hätte.
    John Banville: "Die blaue Gitarre", aus dem Englischen übersetzt von Christa Schuenke, Kiepenheuer & Witsch, 351 Seiten, 22 Euro.