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John: Behörden mauern bei Aufarbeitung der NSU-Mordserie

Bei der Aufarbeitung der rechtsradikalen NSU-Mordserie machen die Behörden keine Fortschritte, sagt Barbara John. Die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer kritisiert eine Blindheit gegenüber dem Rechtsterror und die fehlende Bereitschaft, Fehler einzugestehen.

Silvia Engels im Gespräch mit Barbara John | 19.02.2013
    Jasper Barenberg: Er will künftig mitreden, wenn es darum geht, die Morde der rechtsterroristischen NSU aufzuklären. Umfassende Unterstützung jedenfalls hat Joachim Gauck zugesagt beim Treffen des Bundespräsidenten mit den Angehörigen der Opfer gestern im Schloss Bellevue. Deutschland darf nicht vergessen, Vorurteile müssen bekämpft werden, Fehler werden Konsequenzen haben - das waren seine Botschaften. Ein Schatten lag dennoch auf der Veranstaltung, weil einige Angehörige abgesagt hatten. Wie sie das Treffen erlebt hat, das hat meine Kollegin Silvia Engels Barbara John gefragt, lange Jahre lang Ausländerbeauftragte in Berlin, seit einiger Zeit die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer.

    Barbara John: Doch als sehr eindrücklich, weil es ein sehr persönliches Treffen auch war zwischen dem Bundespräsidenten und vielen Familien. Nach dem gemeinsamen Essen und nach der Ansprache von Joachim Gauck gab es doch an den kleinen Tischen noch Einzelgespräche, wo sie berichten konnten über ihre Schicksale.

    Silvia Engels: Sie hatten ja im Vorfeld Verständnis für die Absage einiger Angehöriger geäußert. Die hatten ja zum Teil befürchtet, überhaupt keine Zeit für ein intensives Gespräch mit Bundespräsident Gauck zu haben. War dem dann so, oder wurde es dann, wie Sie schildern, doch persönlicher?

    John: Ja das war der Grund der einen Absage. Also ich bin nicht sicher, ob Herr Gauck nun Zeit hatte, mit allen 25 Familien, die etwa da vertreten waren - es waren ja ungefähr 60 Menschen da -, zu sprechen. Das kann ich nicht sagen. Natürlich waren die Gespräche kurz. Aber der zweite Grund war ja auch, dass die Familie aus Hamburg sagte, wir brauchen jetzt Taten, wir brauchen nicht unbedingt das Mitleid. Also das klingt schroff, nur wir müssen einfach die Lage der Menschen sehen. Wir dürfen hier keine Danksagungen erwarten und keine Gesten der Zufriedenheit, denn wenn zuerst der nächste Angehörige ermordet wird und dann werden Sie noch jahrelang verdächtigt, möglicherweise selbst beteiligt zu sein, dann lässt man Sie zehn Jahre allein und dann erklären die Ermittlungsbehörden, wir haben alles richtig gemacht, also da kann man dann schon ungehalten reagieren. Insofern müssen wir das aushalten, das sind wir den Opfern auch schuldig.

    Engels: Wie ging denn Joachim Gauck damit um?

    John: Es ist gar nicht erwähnt worden. Mich haben einige der Familien gefragt, ich habe es ihnen erklärt und das war eigentlich kein Thema.

    Engels: Sie selbst stehen ja als Ombudsfrau seit mehr als einem Jahr in regelmäßigem Kontakt mit den Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors. Welches sind denn für die meisten derzeit die Hauptprobleme?

    John: Ja es gibt immer noch sehr viele familiäre Probleme, von Einbürgerungsproblemen, Schwierigkeiten, dass da bestimmte Dinge nicht erfüllt werden, bei Älteren kann die Deutschprüfung nicht absolviert werden, weil man in dem Alter eben nicht mehr Deutsch lernen kann und dann geht das nicht mit der Einbürgerung. Also das muss noch alles besprochen werden. Es gibt immer großzügige Länderregierungen und doch sehr rigide, das ist sehr unterschiedlich. Das ist ein langer Kampf und es geht um Wohnungsfragen und um andere sozialhilferechtliche Dinge. Aber vieles ist da zu regeln. Was sie jetzt bewegt ist der Prozess, an dem doch viele teilnehmen wollen, und viele wollen sogar regelmäßig teilnehmen ...

    Engels: Sie sprechen von dem Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Frau Zschäpe.

    John: ... an dem Prozess, der jetzt am 17. April am Oberlandesgericht München beginnen wird. Viele wollen dahin und sie haben darum gebeten, dass sie da auch geschützt werden können - etwa vor Rechtsradikalen, die dann in ihre Nähe rücken und mögliche Parolen ablassen. Solche Ängste bewegen sie natürlich und sie möchten auch, dass das ermöglicht wird, dass sie da hinfahren können. Das muss ich sehen, es muss auch einen Ablaufplan geben. Also ich bin doch erstaunt darüber, dass sie sich so diesem Prozess stellen wollen, aber das zeigt natürlich, dass sie unbedingt die Frage beantwortet haben wollen, die bisher unbeantwortet geblieben ist: Warum sind wir da ausgesucht worden, was ist anders als bei den anderen, warum ist unser Kind, unsere Tochter, unser Sohn ermordet worden? Das ist das, was sie herausfinden wollen.

    Engels: Denken Sie denn, es wird möglich sein, dass die Behörden hier einen speziellen Schutz für die Angehörigen der Opfer zur Teilnahme an diesem Prozess bereitstellen können?

    John: Ja ich kann mir vorstellen, dass man da Logistikorganisatorisches natürlich macht, dass sie auch einen Raum haben, in den sie sich zurückziehen können. Das ist meine Aufgabe in den nächsten Tagen, das Oberlandesgericht anzuschreiben und darum zu bitten. Das muss ihnen möglich gemacht werden, denn sie sind ja alle Nebenkläger, sie sind mit ihren Anwälten da vertreten, und wenn sie nun persönlich erscheinen wollen, dann ist das ihr gutes und ein wichtiges Recht für sie.

    Engels: Das ist jetzt die individuelle Ebene. Werfen wir einen Blick auf die politische Ebene. Der Vorsitzende der türkischen Gemeinde, Kolat, hat heute [Anm. der Redaktion: 18.02.13] im Zusammenhang mit den NSU-Morden Innenminister Friedrich vorgehalten, Informationen zurückzuhalten. Haben Sie auch für so etwas Anhaltspunkte?

    John: Das kann ich jetzt im Einzelnen nicht sagen, was Herr Kolat damit meint. Aber was ich immer wieder erlebe, wenn ich im Untersuchungsausschuss bin, oder darüber lese, ist, dass natürlich die Behörden selber mauern, dass sie nie zugeben, dass sie etwas falsch gemacht haben, sondern wie gesagt, sie werfen sich da keine Fehler vor aus damaliger Sicht und insofern wird natürlich das verborgen, was damals nicht geklappt hat, und das ist natürlich kein gutes Zeichen. Das heißt, da ist auch keine Bereitschaft, sich zu ändern, denn wenn ich Fehler zugebe, dann weiß ich, beim nächsten Mal mache ich es anders.

    Engels: Vor dem Hintergrund des NSU-Terrors wird ja auch viel über politische Konsequenzen in Form von Straffung der Geheimdienste und eine bessere Informationsverzahnung zwischen den Behörden beraten. Sehen Sie hier echten Fortschritt?

    John: Na bisher noch nicht. Es gibt Aussagen, dass es weniger Verfassungsschutzämter geben soll, sodass die Zusammenarbeit auch zwischen den existierenden besser ist, dass es Gesetze geben soll, die die Zusammenarbeit erzwingen. Das ist alles richtig, man muss Strukturen ändern. Aber wenn die Haltungen sich nicht ändern, dann ist das alles für die Katz, und ich denke, dass auch die Haltungen derjenigen, die ermittelt haben, natürlich nicht so waren, wie sie in einer Einwanderungsgesellschaft sein müssen, nämlich offen und nicht von vornherein immer sagen, die Ausländer sagen nie die Wahrheit, die arbeiten mit der Polizei einfach nicht zusammen. Das zeugt natürlich von Blindheit gegenüber Rechts und von Vorurteilen gegenüber den Einwanderern.

    Barenberg: Barbara John, die Ombudsfrau für die Angehörigen der NSU-Opfer, im Gespräch mit meiner Kollegin Silvia Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.