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John Cage und die Bildende Kunst

Der US-amerikanische Künstler John Cage stellte früh Genregrenzen radikal infrage. Wie produktiv der Komponist, Musiker, Philosoph und Literat dabei auch die Bildende Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste, zeigt nun die Akademie der Künste in Berlin.

Von Carsten Probst | 01.04.2012
    Visuelle Arbeiten von John Cage waren kein bloßes Beiwerk zu seinem musikalischen Werk, kein eitles Hobby, sondern Ausgangspunkt und Quelle zahlreicher musikalischer Inspirationen. Seine Arbeiten hauptsachlich auf Papier, mitunter aber auch auf anderen Materialien werden selten allein gezeigt, oft in Gemeinschaftsausstellungen mit Künstlern des Informell oder im Zusammenhang mit spirituellen Themen, weil Cage sich ja oft und gern zum Einfluss des Zen auf sein Werk bekannte. Konzentriert man sich aber tatsächlich auf seine visuellen Arbeiten, wie es diese Ausstellung tut, erschließt sich der buchstäblich multimediale Kosmos von Cages Denken und seine enorme innovative Wucht in vielen Bereichen gleichsam wie von selbst. Immer wieder betonte Cage schließlich auch, dass die Medien, derer er sich bediente, wie auch das Element des Zufalls, das er in ihnen und in ihrer fließenden Kombination sucht, kein Selbstzweck sind, keine hübsche, avantgardistische Fluchtbewegung vor der Realität sind.

    Für Cage waren sie "Mittel zum Zweck, um neue Fragen zu stellen". Er war zugleich der Erste, der diese Auflösung der Grenzen zwischen verschiedenen Genres wagte. Experimenteller Tanz und Performance, präparierte Instrumente, Einbeziehung von Plattenspielern, Radio- und TV-Geräten, automatisches Zeichnen von Partituren, Klangkunst und die Betonung des Räumlichen und eine neue Rolle für die ausführenden Musiker und das Publikum, das alles lässt uns heute vermutlich an die fünfziger, sechziger Jahre denken, aber Cage machte es seit den Dreißigern und Vierzigern, er fand es von selbst in der Kombination von Bildender Kunst, Klangexperimenten und Spiritualität. Und so formuliert es auch diese Ausstellung. Cages Quellen und Inspirationen waren Dada und das Bauhaus, Josef und Anni Albers, Joyces "Finnegans Wake" und Hans Arp und Gertrude Stein und überhaupt vieles, was er in der multimedialen Zeitschrift "Transition" seit den dreißiger Jahren vorfand, dazu die Kubisten und der Blaue Reiter, insbesondere die meditativen Gesichter in den Malereien Alexej Jawlenskis, später auch Informalisten wie Mark Tobey. All diese Namen sind ausnahmsweise kein prominentes Name-Dropping, sie gehören dazu, untrennbar mit dem offenen Charakter von Cages Werk und seinen Aneignungen verbunden.

    Das Ganze wirkt heute deshalb so selbstverständlich, weil Vernetzung heute vor allem als elektronischer Alltag geläufig ist. Cages mediale Vielfalt aber zeitigte enorme Einflüsse inhaltlicher Art, allen voran auf Fluxus, auf Joseph Beuys, auf Konzept Kunst und Minimal, später auch auf spiritualistisch orientierte Künstler wie Günther Uecker oder auch auf Gerhard Richters Begriff von Abstraktion. Was schnell ermüden könnte, verdichtet diese Berliner Ausstellung auf engem Raum. Sie verzichtet völlig auf große Gesten der Geisterbeschwörung, sondern wirkt wie eine aufgeräumte Gedankenwerkstatt. Die Bezüge liegen geordnet da und sind doch immer noch höchst lebendig, aktuell, bereit, neu entdeckt, neu umgesetzt zu werden, alles andere als historisierend. Schon das ist eine Freude für den Besucher. Natürlich ist es auch ein Glück, dass die Ausstellung von Wulf Herzogenrath kuratiert wurde, der das Material und die Idee erst zum sprechen bringt. Dank seiner Kenntnis und Umsicht darf man hier wie en passant auch gleich einige Spitzenwerke erleben, deren Glanz leider immer noch dem Gros der Kuratoren in Deutschland entgeht: wie die Webbilder von Anni Albers oder die informellen Meditationsbilder von Morris Graves. In nobler Selbstbeschränkung hat man einen zweiten Saal als "Raum für John Cage" belassen, in den man nur durch die Glastüren hineinschauen kann. Er ist leer.