Dienstag, 19. März 2024

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John Maus' viertes Album
Apokalypse auf der Funny Farm

Er liebt elektronische Klangtexturen, hat einen Doktortitel und ist fasziniert vom Ende der Zeit: Der US-amerikanische Musiker John Maus. All das vermischt sich auf seinem Album "Screen Memories" zu einer düsteren digitalen Musikmelange aus selbst geschriebenen Algorithmen, die sich auch im "Blade Runner"-Soundtrack wohl gefühlt hätte.

Von Dennis Kastrup | 21.10.2017
    Die Hand einer Person ist, die mit Computer und Mischpult arbeitet.
    Bei seinen Kompositionen setzt John Maus auch selbst geschriebene Algorithmen ein. (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    Sechs Jahre zwischen zwei Alben sind eine lange Zeit im schnellen Musikgeschäft. Doch John Maus brauchte sie unbedingt.

    "Ich habe die ersten zwei Jahre damit verbracht, die Universität zu beenden. Musik habe ich total beiseite gelegt."

    Er widmete sich seiner akademischen Ausbildung, erlangte den Doktortitel in Politischer Philosophie, schrieb zwei Jahre an neuen Stücken, um diese zwei weitere Jahre lang noch einmal akribisch zu bearbeiten. Am Ende war er so produktiv, dass für 2018 bereits ein Nachfolger angekündigt wurde.

    "In Popmusik fokussiert man sich immer weniger auf abstrakte Ideen wie Harmonien und Melodien. Es dreht sich mehr denn je um den Klang des Klangs. Auch ich habe mir erhofft, damit etwas Aufregendes zu erzeugen. Das geht natürlich besonders gut, weil man heute digitale Computer benutzen kann, um diese spannungsgeladenen und analogen Modularsynthesizer zu kontrollieren."
    "Jeder Künstler muss mit den am weistesten entwickelten Ideen arbeiten"
    Für diesen Koppelungsprozess hat sich John Maus wieder in sein abgeschiedenes Zuhause in Minnesota zurückgezogen. Er selber nennt den Ort "Funny Farm". Dort konnte er sich auf das konzentrieren, was er am liebsten macht: Mit seinen Synthesizern herumexperimentieren.
    "Ich habe mit all diesen verschiedenen Möglichkeiten herumgespielt. Es ist doch für jeden Künstler und Musiker unbedingt notwendig, mit den am weitesten entwickelten Ideen zu arbeiten."

    Wenn der große und schlaksige Mann über seine Keyboards spricht, verliert er sich oft in Gedanken. Man hat das Gefühl, die Begeisterung für ihre Klangvielfalt schwappt über und mündet in einem unkontrollierbaren Schwall von Worten. Maus ist bekannt dafür, seine Musik ausgiebig zu diskutieren. Doch beim Thema des Albums wird er plötzlich ganz ernst und fokussiert.
    Auf der Bühne trägt John Maus einen Kampf aus: mit der Welt und sich selbst
    Auf der Bühne trägt John Maus einen Kampf aus: mit der Welt und sich selbst (Steve Mullenbach)
    Vergangenheit und Gegenwart vereint im Instinkt
    "Es ist apokalyptisch. Mich fasziniert das Konzept von dem Ende der Zeit, so wie es immer wieder in der Vergangenheit überdacht wurde. Darum geht es irgendwie, an der Schwelle zur Ewigkeit zu sein: die Simultanität der Vergangenheit und Gegenwart in einem Instinkt."
    Mit dem düsteren Stück "The Combine" beginnt das Album und versetzt den Hörer sofort in diese Endzeitstimmung. Was genau er mit "The Combine" meint, lässt er auch im Interview offen. Das Wort hat im Englischen mehrere Bedeutungen: Es kann der Mähdrescher sein, der das Feld erntet. Oder auch ein Großkonzern. Beides passt, wenn er singt "Ich sehe es kommen. Es wird uns alle zu einem Nichts machen!"
    Obwohl John Maus neuronale Netzwerke und selbst geschriebene Algorithmen benutzt, um seine Musik zu schreiben, steht er der Technologie aber kritisch gegenüber. Sie ist Bestandteil seiner apokalyptischen, fast schon verschwörerischen Vorstellungen.
    "Wenn etwas Unmenschliches existiert, eine Art kontrollierende Kraft, dann kann sie nur mit denselben digitalen Hilfsmitteln ausgeübt werden, die auch wir benutzen. Wenn wir aber Feuer mit Feuer bekämpfen, sollten wir uns das aneignen und auch ihr Spiel spielen."
    Diesen Kampf mit der Welt und auch mit sich selber erlebt John Maus immer wieder auf der Bühne. Er verausgabt sich, schreit, schlägt sich mit den Fäusten auf den Kopf, als wolle er seine Dämonen vertreiben. Mit dem Publikum spricht er kein Wort, aber nicht aus Unfreundlichkeit. Es ist seine Unsicherheit. Er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen. Schon immer. Dieses Leiden auf der Bühne zu sehen ist faszinierend. Es hat etwas Heldenhaftes. Auch deshalb lieben ihn die Kritiker.
    "Ich kann gar nicht fassen, dass ich so etwas überhaupt live machen durfte, denn es ist für mich bis zu einem bestimmten Grade auch peinlich."