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Jom Kippur
Ein Land steht still - fast

Heute Abend beginnt Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Israel versinkt 25 Stunden lang in frommer Stille. Es wird gebetet und gefastet, um Vergebung und Versöhnung gefleht. Nur die Armee macht keine Pause.

Von Julio Segador | 29.09.2017
    Zwei orthodoxe Juden im Jerusalemer Viertel Mea Shearim: Einer betet gegen eine Mauer, der andere schwingt ein Huhn über seinem Kopf
    Orthodoxe Juden bei Vorbereitungen auf Jom Kippur (AFP / Patrick Baz)
    Mit dem Fahrrad auf der Schnellstraße nach Jerusalem, oder joggend auf der Stadtautobahn von Tel Aviv, vielleicht sogar mit Roller Blades – Verrückt? Nein, ganz und gar nicht – zumindest nicht an Jom Kippur. Ganz Israel kommt zur Ruhe, die Autos bleiben in den Garagen, Busse und Bahnen in ihren Depots. Nicht einmal die Flugzeuge landen oder heben ab. Es erscheinen keine Tageszeitungen. Geschäfte, Restaurants und Kinos bleiben zu.
    Jom Kippur, das Versöhnungsfest, ist der höchste jüdische Feiertag. Von Freitag- bis Samstagabend – 25 Stunden lang - bitten die gläubigen Juden in aller Welt um die Vergebung ihrer Sünden. Und Israel versinkt in frommer Stille. Der 78-jährige Elazar Gottlieb ist ein streng religiöser Jude, der an Jom Kippur einem festen Rhythmus folgt.
    Er sagt: "Ich faste, und bete in der Synagoge, den ganzen Tag. Nachts lege ich mich vier Stunden schlafen, danach gehe ich wieder in die Synagoge. Ich esse und trinke während dieser Zeit nichts."
    Für Elazar Gottlieb ist dieses strenge Ritual an Jom Kippur – wie er selber sagt - kein Problem. Für seine Frau Deena, die vor 45 Jahren aus den USA nach Israel kam, ist es nicht ganz so einfach.
    Sie gibt zu: "Ich habe Hunger. Und ich vermisse meinen Kaffee. Manchmal knurrt mir schon der Magen. Aber da hilft einem schon das Beten. Man besinnt sich auf die wirklich wichtigen Dinge. Man ist nicht abgelenkt. Wir benutzen an dem Tag auch kein Handy. Wir denken über das Leben nach. Was war, was sein wird."
    Essen und Trinken, körperliche Kontakte, - die meisten Juden üben sich an Jom Kippur in strenger Askese. Bei orthodoxen Gläubigen ist selbst Baden und Duschen verpönt. Ebenso das Tragen von Lederschuhen, was schnell als Luxus interpretiert werden könnte. Händler von Plastik- und Leinenschuhen machen daher vor dem Feiertag ein gutes Geschäft.
    Jom Kippur ist wichtiges Brauchtum
    Jom Kippur wird selbst von Juden eingehalten, die es sonst mit den religiösen Bräuchen während des Jahres nicht so genau nehmen. Die 23-jährige Luna aus Tel Aviv versucht an dem Tag einfach zur Ruhe zu kommen.
    "Als ich noch streng religiös lebte, hatte dieser Tag für mich eine große Bedeutung", erzählt sie. "Jetzt geht es mir mehr um die Selbstüberprüfung. Ich schaue, wo ich mich verbessern und wie ich im neuen Jahr ein besserer Mensch werden kann."
    Jom Kippur ist der jüdischen Tradition nach wie ein vorgezogenes Gericht Gottes. Und jeder versucht zu bestehen. Indem man Gott für seine Verfehlungen um Vergebung bittet, und die Nachbarn um Entschuldigung.
    Eitan aus Tel Aviv ist ein Israeli für den Jom Kippur dagegen keine größere religiöse Bedeutung hat. Er genießt die Ruhe und die leeren Straßen:
    "Für mich ist Yom Kippur einfach ein zusätzlicher Urlaubstag. Ein Tag, an dem ich mit dem Fahrrad auf allen Straßen fahren kann, ohne dass mich die Autos stören. Das ist das Beste."
    Wie sehr das öffentliche Leben in Israel an Jom Kippur still steht zeigt eine Untersuchung der israelischen Umweltbehörde. Während des Feiertages geht die Luftverschmutzung in Städten wie Tel Aviv oder Jerusalem drastisch zurück, zum Teil um bis zu 90 Prozent.
    Keine Pause macht an dem Feiertag allerdings die israelische Armee. Sie bleibt in Bereitschaft. Eine Folge des Jom Kippur Krieges im Jahr 1973. Damals griffen an dem Feiertag Syrien und Ägypten Israel an. Das Land hat das bis heute nicht vergessen.
    Am Samstagabend, nach 25 Stunden, ist dann die Zeit der Einkehr vorbei.
    Der Ton aus dem Schofar, dem Widderhorn, beendet Jom Kippur. Es ist vorbei, rufen die Juden, und feiern das Ende des Festtages mit einem üppigen Mahl.