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Jón Gnarr
Ein Clown im Rathaus

Jón Gnarr ist seit 2010 Bürgermeister von Reykjavík - obwohl er sich nicht wirklich für Politik interessiert. Über sein politisches Experiment hat er nun ein Buch geschrieben. Lesenswert für alle, die sich inspirieren lassen wollen von jemandem, der etwas verändern will, ohne sich selbst zu verändern.

Von Marlis Schaum | 27.01.2014
    So hört es sich an, wenn er lacht, der Mann, der anders sein will als andere Politiker.
    "Hi, I am Jón Gnarr, I am the mayor of Reykjavik."
    Jón Gnarr, der amtierende Bürgermeister von Reykjavík, der Hauptstadt von Island. 47 Jahre alt, rotblonde Punkfrisur. Schulabbrecher, Taxifahrer, Komiker und Vater von fünf Kindern. Mit derselben Frau.
    Ein Bürgermeister, der Politik eigentlich nie interessant fand. Der in Island erfolgreich war als Bassist einer Punkrockband und als Schauspieler. Einer, der sich gerne mal als Frau verkleidet und pinkfarbene Anzüge trägt. Und jetzt - ist er müde. Nach fast vier Jahren im Amt:
    "Ich bin müde im Kopf, mein Kopf ist ständig so voll - ich vermisse die Leere. Keine Verantwortung, keine Sorgen, die Leere - den Tod! Ich war noch nie zuvor so müde. Natürlich hatte ich auch schon mal extrem viel zu tun, bevor ich Bürgermeister war. Aber das hier, das hört nie auf, das geht immer weiter. Sogar wenn ich im Urlaub bin, kann ich nicht wirklich entspannen. Es hört einfach nicht auf."
    Bis zum 16. Juni muss er noch durchhalten, dann endet seine Amtszeit. Noch einmal antreten will er nicht:
    "Viele waren enttäuscht, als sie das gehört haben. Ich sage Ihnen dann, sie sollen lieber froh sein, dass ich Bürgermeister war. Ich höre jetzt vor allem deshalb auf, weil ich während dieser Zeit so viel hiten angestellt habe, so viele Dinge, die ich eigentlich machen möchte. Ich habe Ideen für Projekte, ich habe angefangen zu schreiben ich vermisse die Comedy und das Schauspielern."
    Politisches Experiment im Rathaus
    Ein politisches Experiment sei das gewesen mit seiner Partei und dem Bürgermeisteramt, sagt Jón Gnarr. Darüber hat er ein Buch geschrieben: 176 unterhaltsame und nachdenkliche Seiten. Eine Art Überblick über wie-er-wurde-was-er-ist und was ihm wichtig ist im Leben:
    "Ich bin Anarchist. Aber glaube ich deswegen ernsthaft, dass sich der Traum von der idealen Gesellschaft, in der jeder auf jeden Rücksicht nimmt und jeder die Rechte des anderen respektiert, real verwirklichen lässt? Eine Gesellschaft, in der man keine Regeln braucht, weil alle so gut und reif und intelligent sind? Nein, das glaube ich nicht. Deshalb habe ich es mir in puncto Demokratie und Politik bisher auch eher in der passiven Haltung bequem gemacht. (...) Egoismus, Aggression und Unmäßigkeit haben mich abgeschreckt.
    Bis zum Bankencrash in Island. 2009. Als das Land quasi zahlungsunfähig war und die Bürger wütend wurden.
    "In diesen Wochen und Monaten war Politik praktisch das einzige Gesprächsthema. Die Politiker hatten versagt. Waren Idioten und Arschlöcher. (...) Was fehlte, war etwas wirklich Neues. Etwas anderes als unsere eingefahrene, stinklangweilige Parteipolitik. (...) Es war höchste Zeit, dass die Politiker sich von ihren vorgefertigten Phrasen trennten und das starre, überkommene Rechts-Links-Denkschema aufgaben. Und was machst Du, wenn Du zwischen zwei Möglichkeiten wählen sollst, von denen beide gleich schlecht sind? Du erfindest eine Dritte."
    Jón Gnarr gründet zusammen mit Freunden die "Beste Partei". Die "verrückteste, abgefahrene Partei, die jemals das Licht der Welt erblickte", schreibt er. Über Facebook, Youtube und Blogs macht sie auf sich aufmerksam. Jón Gnarr ist der Frontmann. Ein landesweit bekannter und umstrittener Komiker, der im Wahlkampf alles aufs Korn nimmt, was etablierte Parteien machen:
    "Jedes Mal, wenn eine andere Partei irgendein Wahlversprechen verkündete, setzten wir uns zusammen und überlegten, wie wir das toppen könnten. Die Links-Grüne Allianz versprach Kindern und Jugendlichen freien Eintritt in die Schwimmbäder - wir konterten mit freiem Eintritt für ALLE - INKLUSIVE kostenlosen Handtüchern."
    Klingt albern? Ja. Aber die Ironie trifft bei den Bürgern von Reykjavík einen Nerv. Sie trauen den etablierten Parteien nicht mehr. Die Partei von Jón Gnarr dagegen verspricht unter anderem ...
    "... jegliche Art von Korruption zu bekämpfen - indem wir sie öffentlich und vor aller Augen betreiben."
    Vier Jahre realpolitischer Ernst
    "Ich mag Nonsens und Rumalbern und gute Comedy. In guter Comedy steckt mehr Wahrheit als die Leute so denken. Sie unterschätzen sie. Nur weil man lustig ist, bedeutet das ja nicht, dass man etwas nicht ernst nimmt",
    sagt Jón Gnarr. Das Ergebnis: 34,7 Prozent der Stimmen bei den Stadtparlamentswahlen in Reykjavík 2010. Und danach: vier Jahre Kommunalpolitik, in einer Koalition mit den Sozialdemokraten und viel realpolitischem Ernst. Angesichts des riesigen Schuldenbergs musste Gnarr auch schwierige Entscheidungen treffen. Etwa, als es um die Rettung eines städtischen Energiekonzerns ging und Mitarbeiter entlassen werden mussten. Als Oberbürgermeister verantwortete Gnarr auch die Zusammenlegung von Schulen, um Betriebskosten zu sparen. Er richtete außerdem eine Onlineplattform ein - für mehr direkte Demokratie in der Stadt. Umfragen zufolge würden ihn heute noch mehr Menschen wählen als 2010.
    "Das Beste daran war, die althergebrachten Traditionen herauszufordern. Ich liebe das. Ich war immer dann am glücklichsten, wenn andere Politiker und die Medien mich attackiert haben. Wenn sie versucht haben mich zu brechen, damit ich den Job quittiere. Sie haben mich den 'Clown im Rathaus' genannt und dass ich peinlich sei und gar nicht fähig den Job eines Bürgermeisters auszuüben. Wenn ich sehe wie viel Zeit und Energie die da reingesteckt haben und merke, dass mich das überhaupt nicht berührt, dann freue ich mich einfach darüber, dass ich diesen Effekt habe - allein indem ich traditionelle Regeln breche und ich selbst bin."
    Jón Gnarr sagt, er habe den Leuten eine Alternative zur traditionellen Politik zeigen wollen. Und dass diese Alternative funktionieren kann. Nicht nur in Island.
    "Alternative Politik, die nicht auf Negativität basiert. Im Gegenteil. Statt negativer, brutaler und dummer Politik eine Alternative, die auf Intelligenz basiert. Auf Kommunikation, Humor und Menschlichkeit."
    Jón Garrs Buch liest sich schnell und unterhaltsam und trotzdem bleibt etwas hängen. Es ist lesenswert für alle, die sich inspirieren lassen wollen von jemandem, der versucht hat, etwas zu verändern, ohne sich selbst zu verändern.
    "Das Wichtigste ist: Wir dürfen lachen. Wir dürfen Fehler machen. Wir entwickeln uns weiter. Und dabei muss man auch Spaß haben dürfen. Marilyn Monroe hat mal gesagt: Es ist besser, total lächerlich zu sein, als total langweilig."
    Jón Gnarr: "Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!! Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte"
    Klett-Cotta Verlag, 176 Seiten, 14,95 Euro