Albtraum Ambrosia

Zehn Kommunen kämpfen gegen eine Pflanze

07:52 Minuten
Petra Lange vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg (Märkisch-Oderland) untersucht im Jahr 2006 eine Beifuß-Ambrosia-Pflanze (Ambrosia artemisiifolia) untersucht. Die Ambrosia-Pflanze macht Allergikern schwer zu schaffen. Die Beifußblättrige Ambrosie hat das weltweit stärkste Pollenallergen. Ausgelöst werden Tränen, Augenjucken, Kopfschmerzen und Heuschnupfen. Die Pflanze stammt ursprünglich aus Nordamerika, hat sich aber mittlerweile in weiten Teilen Europas ausgebreitet.
Die Ambrosia-Pflanze macht Allergikern schwer zu schaffen. Die Beifußblättrige Ambrosie hat das weltweit stärkste Pollenallergen. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Patrick Pleul
Von Ernst-Ludwig von Aster · 07.05.2019
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Den alten Griechen galt Ambrosia als Speise der Götter. Bürgermeister in Brandenburg sehen in der Pflanze hingegen eine Gesundheitsgefahr: Sie ist vermehrungsstark und hochallergen. Seit Jahren versuchen Kommunen, das Unkraut zurückzudrängen.
Schilf wiegt sich im Wind, Weiden knospen, ein paar Enten ziehen ihre Bahnen auf dem Hirschteich. Karsten Schreiber tritt ans Ufer, atmet tief durch.
"Wenn man den ganzen Tag in der Verwaltung sitzt, ist es auch mal angenehm, eine kleine Runde zu drehen."
Gerade mal drei Minuten Fußweg sind es vom Rathaus zum Ufer. Von seinem Bürgermeisterbüro zum Dorfteich. Ein perfekter Entspannungstrip für die Mittagspause. Und gleichzeitig ein Kontrollgang.
"Jetzt schaut man schon, gerade Thema Ambrosia, schaut man schon genauer hin."

Bedrohung für Finanzen und Gesundheit

Ambrosia – in der griechischen Mythologie war das die Speise der Götter. Unerreichbar für die Menschen. Für Karsten Schreiber, den Bürgermeister der Großgemeinde Kolkwitz, ist Ambrosia eine Heimsuchung. Eine Bedrohung für die Kommunalfinanzen. Und für die Gesundheit. Eine hochallergene Pflanze, auch genannt beifußblättriges Traubenkraut, die sich immer weiter ausbreitet.
"Ambrosia?"
"Ambrosia!"
"Habe ich gehabt."
Ein Nachbar grüßt über den Zaun. Die Harke in der Hand. Die Gartensaison beginnt. Und damit die Jagd auf Ambrosia.
"Und hier hinten, denke ich, das ist aber ein so großes Kraut. Und da hatte ich das in der Zeitung gesehen. Und da dachte ich, das sieht ja genauso aus, da musste das eben schnell rausreißen."
"Ja klar."
"Auge sei wachsam."

Forderungskatalog von zehn Bürgermeistern

Zufrieden nickt der Bürgermeister. Er kann Unterstützung gebrauchen. Und nicht nur er. Zusammen mit neun Amtskollegen aus Südbrandenburg hat Schreiber einen Brief an die Landesregierung in Potsdam geschrieben. Die Bürgermeister bitten um Hilfe, warnen vor einem Anstieg der Allergien in der Region und vor einer "Kostenexplosion im Gesundheitssystem".
Rein geht es ins Rathaus. Seit einem Jahr Schreibers Arbeitsplatz. Als Bürgermeister. 17 Ortsteile – knapp 10.000 Einwohner, das ist die Großgemeinde Kolkwitz. Kaum im Amt, holte Schreiber schon die Ambrosia ein.
"Bei uns auf dem Motocrossgelände, da kam die Ambrosia massiv zum Wachsen und zum Blühen."
Schreiber hatte zuvor noch nie von der Pflanze gehört, er recherchierte im Internet. Und staunte: Die ersten Ambrosia-Samen kamen wahrscheinlich aus Nordamerika, eingeschleppt über verunreinigtes Vogelfutter. Die ausgewachsene Pflanze wird bis zu zwei Meter hoch, jede bildet bis zu 60.000 Samen. Und die können jahrelang im Untergrund überleben.
"Und haben dann auch am Anfang den zeitlichen Rahmen ein bisschen verpasst. Und die Ambrosia war da fast schon am Blühen gewesen."

Hochallergene Pflanze

Und wenn die Pollen erstmal fliegen, dann entfaltet die Pflanze ihr ganzes allergenes Potential. Elf Pollen pro Kubikmeter Luft reichen, um starke allergische Reaktionen auszulösen. Zum Vergleich: Bei Gräsern braucht es fast 50 Pollen.
Im Erdgeschoss, in Zimmer 1.11 laufen die Fäden zusammen. In Sachen Ambrosia-Bekämpfung. Bei Martin Mathow, dem Fachbereichsleiter Ordnung und Sicherheit:
"Jürgen, bringste mal bitte den Plan zu Ambrosia runter."
Jürgen Rehnus, ein drahtiger Endfünfziger mit grauem Bart biegt um die Ecke. Legt eine Karte des Landkreises auf den Tisch. Überschrift: "Standorte mit Ambrosiabestand".
"Die blauen Punkte, das sind unsere Ambrosia-Standpunkte. Und je nach Größe, das sind die Anzahl der Pflanzen."

Jürgen Rehnus: Ansprechpartner für alle

Anwohner, Mitarbeiter vom Grünflächen-Amt – sie alle kontaktieren Rhenus. Wenn sie Ambrosia sehen. Rehnus kommt, guckt. Und schätzt. Eine ganz große Stelle ist das Motocrossgelände, wo hunderttausende Pflanzen wachsen, dann gibt es noch eine kleine Stelle mitten im Wald, da haben wahrscheinlich Jäger Futter ausgebracht.
Einzelpflanzen in Gärten, kleine Gruppen am Fahrbahnrand, Ambrosia-Monokulturen – Jürgen Rhenus hat alles gesehen.
"Ab bestimmten Dimensionen ist das Wegmachen so eine Sache. Wie willst Du 50.000 Pflanzen wegmachen? Da müsste ja die gesamte Gemeindeverwaltung eine Woche lang auf Knien durchs Feld rutschen."
Wenn sonst nichts geht, dann hilft nur Abmähen. Vor der Blüte. Das aber kostet aber Zeit und Geld. Und mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Pflanzen im nächsten Jahr wieder da. Eigentlich hilft da nur Erde beseitigen und entsorgen. Doch das kann niemand bezahlen.

Ambrosia-Bestände in Mais-Feldern

Auf den Gemeindeflächen können die Mitarbeiter durchgreifen. Große Teile der Ambrosia-Bestände aber wachsen inmitten von großen Mais-Äckern. Ohne dass die Landwirte sich darum kümmern:
"Wir haben es auch schon hingekriegt, nachdem der Eigentümer dieser Fläche nicht reagiert hat, sind wir selber mit dem Mäher durchgegangen durch sein Maisfeld. Oder auch Bürger haben sich selbst schon zur Wehr gesetzt mit 'nem Pflug und haben 'nen Hektar Mais umgepflügt von unserem Großlandwirt, der hat kein Ton gesagt."
Wild-Ost bei der Ambrosia-Bekämpfung. Irgendwo zwischen Gefahrenabwehr und Feld-Eroberung. Während viele Landwirte das Problem ignorieren, sind die Anwohner sensibilisiert.

Wachsame Bürger

Bei der Landfleischerei Turnow, nur 200 Meter weiter, wird Mittagstisch serviert. Porree-Eintopf für drei Euro, Sülze mit Röster und Remoulade für 4,40.
Eine Verkäuferin eilt ans Fenster, zeigt nach draußen, auf einen Kiesstreifen vor der Scheibe. "Da wuchs sie, die Giftpflanze", sagt sie.
"So ähnlich, wie Beifuss. Nee das isses nicht, dann isse weiter hinten."
Jetzt aber ist gerade nichts zu sehen. Zumindest nicht von hier drinnen. Die Verkäuferin eilt nach draußen, zeigt auf einen Grünstreifen vor den angrenzenden Einfamilienhäusern.
"Aber dann stand das da drüben, die Nachbarin oder die, aber da war ganz viel, aber da sage ich: 'Reißen sie die gleich mal raus!'"

Zehn Punkte und eine Warnung

In seinem Büro beugt sich Karsten Schreiber über das "Positionspapier zur Ambrosiabekämpfung in der Niederlausitz". Drei Seiten, zehn Punkte, eine Warnung:
"Die Gefahr besteht wirklich, dass die Ambrosia sich explosionsartig ausbreitet."
Darum haben sich zehn Kommunen zusammengetan. Gemeinsam gegen die Ambrosia. Und für mehr Unterstützung vom Land Brandenburg.
"Zehn Kommunen, zehn Punkte, die uns wichtig waren. Aber natürlich ist wie immer das Hauptproblem, wie überall, das liebe Geld. Das hatten wir ja eigentlich als Hauptthema – dass Geld bereitgestellt wird, für die Kommunen, das war uns sehr wichtig."
Weitere Punkte: Eine Melde- und Bekämpfungspflicht, die Weiterführung eines Ambrosia-Atlas, die Entschädigung von betroffenen Landwirten, die Benennung eines verantwortlichen Ministeriums.

Debatte im Brandenburger Landtag

Über diese Forderungen debattierte dann auch im April der Landtag. Unisono sprachen sich die Parteien für eine besser Bekämpfung der Ambrosia aus. Finanzielle Unterstützung allerdings wollte den Bürgermeistern niemand zusagen:
"Da hat sich das Land nicht positiv geäußert. Es wird also nichts im Haushalt eingeplant. Es wird weiterhin über Lottomittel finanziert."
Also muss seine Kommune wieder einmal Mittel aus dem Lotto-Topf beantragen. Und hoffen, dass wenigstens Fortuna bei der Ambrosia-Bekämpfung hilft.
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